Braunschweig. Wann hat das Töten in der Ukraine ein Ende? Hier die Antwort beim Ostermarsch in der Braunschweiger Innenstadt.

Nein, es ist nicht leicht für die deutsche Friedensbewegung in diesen Tagen. Aber für wen wäre es schon leicht derzeit.

Die Zahl der Toten in der Ukraine ist sechsstellig, und dabei ist es unerheblich, ob die Getöteten Ukrainer oder Russen sind. Es ist Krieg. Krieg in Europa. Und er hört nicht auf. Er eskaliert. „Die Waffen nieder! Mit Bertha von Suttner rufen wir: Die Waffen nieder!“, ruft Elke Almut Dieter immer wieder ins Mikrofon, während der Ostermarsch 2023 am Karsamstag durch die Braunschweiger Innenstadt zieht.

Nicht nur in der Friedensbewegung ist man uneins, wie diesem grauenvollen Kriegs-Geschehen zu begegnen ist. Alle sind gerade uneins.

Mahnungen, Warnungen vor einer Eskalationsspirale, die am Ende alle trifft.
Mahnungen, Warnungen vor einer Eskalationsspirale, die am Ende alle trifft. © Henning Noske

Jeder weiß: Russland hat vor mehr als einem Jahr die Ukraine überfallen. Ein Schock, ein Zivilisationsbruch. Alle wissen: Die Menschen in der Ukraine wehren sich, sie kämpfen um ihr Leben und ihre Freiheit. Und klar ist auch: Ohne die Waffenlieferungen des Westens wäre dieser Krieg bereits beendet oder schnell beendet. Russlands Präsident Putin hätte sein Ziel erreicht.

Da ist es wieder, das große Anliegen der Friedensbewegung, auch in Braunschweig: Frieden schaffen ohne Waffen

Das alles ist klar, doch was soll man tun? Weiter Waffen liefern? „Heute Panzer, morgen Flugzeuge, übermorgen deine Söhne“, steht auf einem Plakat, das beim Ostermarsch in Braunschweig mitgeführt wird. Das ist die Sorge, die Angst. Mahnungen, Warnungen. Vor einer Eskalationsspirale, die am Ende zum Atomkrieg und damit zum letzten Krieg führen könnte. Zum Ende.

Und da ist es wieder, das große Anliegen der Friedensbewegung, auch in Braunschweig: „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Bloß wie? Mit Verhandlungen. Unbedingt, bedingungslos. Soll man mit Verbrechern verhandeln? „Mit wem soll man sonst verhandeln?“, fragt mit Reiner Braun vom International Peace Bureau ein prominenter Veteran der deutschen Friedensbewegung an Ostern 2023 auf dem Braunschweiger Kohlmarkt. Einig müsse sie sich jetzt sein, die Friedensbewegung, einig, bloß nicht auseinanderdividieren lassen. Zu wichtig ist das jetzt. Zu gefährlich.

Ostermarschierer 2023, hier auf dem Schlossplatz in Braunschweig.
Ostermarschierer 2023, hier auf dem Schlossplatz in Braunschweig. © Henning Noske

„Mit Bertha von Suttner rufen wir: Die Waffen nieder!“, erklärt Elke Almut Dieter am Mikrofon wieder und wieder an diesem Samstagmittag in der City den Einkaufspassanten und Fußballfreunden auf dem Weg zum Heimspiel, während mehr als 200 friedensbewegte Menschen durch die Innenstadt ziehen, vom Kohlmarkt zum Ringerbrunnen, am Rathaus vorbei auf den Schlossplatz hinauf und dann vors Portal von St. Magni, wo später die Glocke läuten wird, die schon zum Westfälischen Frieden geläutet hat.

Es ist in dieser Frage sehr schwierig, Positionen zu finden, hinter denen sich wirklich alle versammeln können.

„Die Waffen nieder!“ – Elke Almut Dieter auf dem Kohlmarkt in Braunschweig.
„Die Waffen nieder!“ – Elke Almut Dieter auf dem Kohlmarkt in Braunschweig. © Henning Noske

Aber hinter Elke Almut Dieter vom Braunschweiger Friedensbündnis kann man hergehen. Die Lehrerin und Malerin aus Melverode hat an diesem Tag ein Mantra, ein menschliches Anliegen, mit Güte vorgetragen, sogar mit einem Lächeln, aber mit Nachdruck, der keinen Verstoß gegen die Menschlichkeit mehr dulden möchte. „Mehr als ein Jahr Krieg ist genug! Der Krieg ist ein Verbrechen. Waffen töten, sie sind extra dafür gemacht.“

„Hunderttausende sind in diesem Krieg schon getötet worden. Und mit jedem Tag sterben weitere …“

Vielleicht muss man sich das mit Elke Almut Dieter einfach mal klar machen, bevor es von einer Eskalationsstufe in die nächste geht. „Hunderttausende sind in diesem Krieg schon getötet worden. Und mit jedem Tag sterben weitere …“, sagt sie wieder und wieder.

Andererseits: Ermutigt ein „Die Waffen nieder!“ nicht doch auch den Aggressor, der ja nicht so friedensbeseelt ist, es wieder und wieder zu versuchen? Wen wird er sich wohl als nächstes vornehmen, bevor es dann wieder heißt: „Die Waffen nieder!“?

Wir haben es längst aufgegeben, in diesem Spannungsfeld nach einer gültigen Antwort zu suchen. Es gibt vermutlich keine, außer jenen, auf die wir uns nicht einigen können – und die sehr, sehr viele Opfer kosten. So oder so. Nehmen wir fürs Erste Elke Almut Dieters Friedensformel: „Die Friedensbewegung fordert von Politikern und Diplomaten die Erarbeitung eines für die Ukraine und Russland gesichtswahrenden Weges zu einem Waffenstillstand: ein Kompromiss, der langfristig auf eine europäische Friedenslösung mit einer souveränen Ukraine zielt.“

Wie gesagt: Hinter dieser Frau kann man hergehen, während ansonsten auch viel wirres Zeug erzählt wird.

Im Grunde genommen ist jetzt die Verzweiflung über das ganze Elend des Krieges mit Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Kindesentführung ins Feindesland so groß, dass die Friedensbewegung an Ostern 2023 aus ihren Wurzeln schöpft und zur Musik von Hannes Wader auf dem Kohlmarkt ganz bei sich ist, wenn das Lied vom toten Soldaten gesungen und mitgesummt wird: „Und du hast ihnen alles gegeben, Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.“

Das Wort zum Ostermarsch: Pfarrer Henning Böger vor St. Magni in Braunschweig.
Das Wort zum Ostermarsch: Pfarrer Henning Böger vor St. Magni in Braunschweig. © Henning Noske

Da musst du doch schlucken, das kann man nicht hinnehmen, dagegen muss man was tun. Brigitte Constein-Gülde rezitiert Bert Brecht auf dem Magnikirchplatz: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.“

Und dann kommt Brechts Zitat zum Tag: „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!“ Für Magni-Pfarrer Henning Böger ein Text (von 1952), den man auch heute noch in der Zeitung lesen könnte und sollte.

„Mit Bertha von Suttner rufen wir: … “, ruft Elke Almut Dieter auch auf dem Rückweg zum Kohlmarkt noch ein ums andere Mal an diesem Tag.

Als die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner am 21. Juni 1914 in Wien starb, waren es nur noch sieben Tage bis zum Attentat von Sarajevo – und sechs Wochen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein vier Jahre währender brutaler Stellungskrieg, eine Blutmühle, mit der auch der aktuelle Krieg in der Ukraine bereits verglichen wird. „ … Die Waffen nieder!“

Und sei es auch nur, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde.

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