Braunschweig. Der Bohlweg war am Montag rund drei Stunden lang gesperrt. Was die Passanten davon hielten, was die Aktivisten sagten und was die Polizei getan hat.

Zum dritten Mal haben Mitglieder der Klimaschutzbewegung „Letzte Generation“ am Montag eine Straße in Braunschweig blockiert. Bei der ersten Aktion im Mai hatte sich ein einzelner Mann auf dem Sachsendamm festgeklebt. Ein paar Tage später blockierten dann sechs Aktivisten die Wolfenbütteler Straße stadteinwärts. Nun folgte eine Blockade auf dem Bohlweg in der Braunschweiger Innenstadt.

Dort ging am Montagnachmittag nichts mehr. Elf Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ blockierten die Straße zwischen 15.50 Uhr und 19 Uhr in beide Richtungen. Die Polizei hatte die Einfahrt in den Bohlweg vom Kennedy-Platz her und ab dem Steinweg/Dankwardstraße gesperrt. Es kam in allen Richtungen zu Behinderungen.

Sieben Aktivistinnen und Aktivisten hatten ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Straße festgeklebt beziehungsweise sich aneinander festgeklebt. Gegen 17.40 Uhr begannen Polizeibeamte der Technischen Einsatzeinheit, sie von der Fahrbahn zu lösen – mit Speiseöl und Holzspatel. Die Polizei leitete Strafverfahren gegen alle Beteiligten ein.

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„Letzte Generation“ in Braunschweig: Wir brauchen jetzt sofort wirksamen Klimaschutz

Die Forderungen der Gruppe sind bundesweit dieselben: ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn sowie ein Tempolimit von 100 km/h. Die Reaktionen von Passanten fallen unterschiedlich aus. Viele äußern Unverständnis. „Penner!“, ruft ein Mann. „Schämt euch!“, meint ein anderer. Eine Frau sagt: „Das ist doch auch keine Lösung, was ihr macht.“

Axel Hake (53), einer der Aktivisten und Naturschutzreferent, erwidert: „Wir müssen jetzt gegensteuern! Das ist wahrscheinlich die letzte Chance, die wir noch haben.“ Anders lasse sich die Klimakatastrophe nicht mehr abwenden, ist der Braunschweiger überzeugt. Die Nutzung fossiler Energie müsse sofort drastisch eingeschränkt werden, zum Beispiel durch das Tempolimit. Die Passantin überzeugt er damit nicht. „Ihr müsst euch was anderes einfallen lassen“, sagt sie und geht weiter.

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Die Klimaaktivisten blockierten beide Seiten des Bohlwegs und forderten die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets und ein Tempolimit auf den Autobahnen.
Die Klimaaktivisten blockierten beide Seiten des Bohlwegs und forderten die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets und ein Tempolimit auf den Autobahnen. © Darius Simka/regios24

Braunschweiger Klimaaktivist: Wir haben schon viel erreicht

Hake und die anderen erklären immer wieder, was sie da tun, wenn jemand fragt. „Wie bei allen zivilen Widerstandsbewegungen geht es darum, Druck auf die Regierung auszuüben“, sagt er. Deutschland verfehle mit Ansage die ohnehin viel zu niedrigen Klimaziele. Aktuell breche die Bundesregierung die Verfassung und internationale Verträge – das habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahr eindeutig gezeigt.

Alle anderen Proteste der Klimabewegung, etwa die Kundgebungen von „Fridays for Future“ und die Aktionen von „Extinction Rebellion“, hätten nicht ausgereicht, um die notwendigen Schritte zum Klimaschutz einzuleiten, so Hake. Deswegen sei ziviler Widerstand unumgänglich. „Wir stören – immer gewaltfrei. Und wir haben schon viel erreicht!“

Polizeibeamte lösten die Aktivistinnen mit Speiseöl und Holzspatel vorsichtig von der Fahrbahn.
Polizeibeamte lösten die Aktivistinnen mit Speiseöl und Holzspatel vorsichtig von der Fahrbahn. © Bernward Comes

EDK: Letzte Generation nicht in die kriminelle Ecke stellen

Hake spricht von einer zunehmenden Solidarisierung und verweist zum Beispiel auf die Positionierung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich hatte vor wenigen Tagen Politiker aufgerufen, dem Beispiel der Kirche zu folgen und mit den Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ ins Gespräch zu kommen. Die Bewegung dürfe nicht in eine kriminelle Ecke gestellt werden. Ihre Anliegen müssten ernst genommen werden. Die Aktivisten stellten ihr eigenes Wohl zurück, um „gewaltfreien, zivilen Widerstand“ zu leisten, so Heinrich.

„Innerhalb der Klimabewegung hat sich bei vielen eine Ohnmacht breitgemacht, das Gefühl, man könne einfach nichts machen“, sagt Hake. Doch jetzt stellen sich ihm zufolge immer mehr Menschen hinter die „Letzte Generation“, weil sie spürten, dass sich eben doch etwas bewegen lasse.

„Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) muss sich endlich bewegen“

Der Ingenieur Thomas Schmidt (39) sitzt neben Axel Hake auf dem Bohlweg und zitiert UN-Generalsekretär António Guterres. Der hatte vor Kurzem anlässlich der UN-Klimakonferenz COP27 gemahnt: „Wir sind auf dem Highway in die Klimahölle und haben den Fuß auf dem Gaspedal.“ Es sei doch ein Leichtes, das 9-Euro-Ticket fortzuführen und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen, so Schmidt. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) müsse sich nur endlich mal bewegen.

Es gab viel Protest, aber auch Austausch: TU-Student Calvin Brandt (von rechts) und die Ostfalia-Studentinnen Alice Rossa und Tabea Ridthaler erläuterten ihre Beweggründe.
Es gab viel Protest, aber auch Austausch: TU-Student Calvin Brandt (von rechts) und die Ostfalia-Studentinnen Alice Rossa und Tabea Ridthaler erläuterten ihre Beweggründe. © Cornelia Steiner

Mehr über die „Letzte Generation“ in Braunschweig:

Ostfalia-Studentinnen beteiligen sich auch an der Aktion

Auch drei Studentinnen der Ostfalia-Hochschule (Soziale Arbeit) beteiligen sich an der Aktion. Tabea Ridtahler (24) sagt zum Beispiel: „Uns treibt die Überzeugung an, dass es hilft, was wir hier tun. Wir sind schon weit gekommen.“ Dass ziviler Widerstand zunächst Ablehnung provoziere, sei normal, meint sie. „Es dauert, bis die Kernaussagen durchgedrungen sind. Und wir merken doch, dass viele gut finden, wofür wir kämpfen. Klimaschutz ist in aller Munde.“

Alice Rossa (30), ebenfalls Studentin und Mutter von drei Kindern, betont: „Wir sind uns sehr bewusst, welche rechtlichen Konsequenzen auf uns zukommen. Aber wir stehen dazu.“ Auch Calvin Brandt, der an der TU Braunschweig Englisch und Geschichte (Lehramt, Master) studiert, bekräftigt: „Wir können nicht mehr abwarten.“

Ein älteres Paar geht vorbei und ruft den Aktivisten zu: „Tolle Aktion! Dankeschön!“ Es ist ernst gemeint. Und eine junge Frau unterhält sich mit Studentin Lilli (22), fragt nach ihren Beweggründen. Die Antwort: „Wir haben superviel Angst um unsere Zukunft, deswegen sitze ich hier.“ Es entsteht ein längerer Dialog, am Ende sagt die junge Frau: „Respekt! Ich find’s cool, dass ihr das macht!“

Die Polizei war mit vielen Einsatzkräften vor Ort, um den Bohlweg zu sperren.
Die Polizei war mit vielen Einsatzkräften vor Ort, um den Bohlweg zu sperren. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Massive Kritik nach Blockade auf Hauptstadtflughafen

Am Donnerstagnachmittag hatte die „Letzte Generation“ den Betrieb am Hauptstadtflughafen BER lahmgelegt. Fünf Starts mussten nach Angaben des Flughafens gestrichen werden. 15 geplante Landungen wurden umgeleitet. Das Landeskriminalamt Brandenburg ermittelt nun gegen die sechs Klimaaktivisten unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr, Störung öffentlicher Betriebe sowie Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung.

Es gab heftige Kritik. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Aktionen seien nicht nur unverständlich, sondern auch hochgefährlich. CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete die Teilnehmer an der BER-Aktion als „kriminelle Straftäter“.

Die Polizei war am Montagabend mit vielen Kräften auf dem Bohlweg und drumherum im Einsatz.
Die Polizei war am Montagabend mit vielen Kräften auf dem Bohlweg und drumherum im Einsatz. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Klimaaktivisten aus Polizei-Gewahrsam in Bayern entlassen

Die insgesamt 19 in Bayern in Vorbeuge-Gewahrsam genommenen Klimaaktivisten sind seit Samstag wieder frei. Die „Letzte Generation“ hatte am Freitagabend angekündigt, bis Ende dieser Woche auf weitere Aktionen in München und Berlin zu verzichten. Zuvor hatte die Münchner Polizei nach zwei aufeinander folgenden Blockadeaktionen Anfang November 13 Klimaaktivisten in einen in Bayern möglichen 30-tägigen Gewahrsam genommen.

Zur Begründung hieß es, dass die Betroffenen bis zum Ende des Gewahrsams am 2. Dezember ausdrücklich weitere Straftaten angekündigt hätten. Einer dieser Aktivisten war am 16. November in den Hungerstreik getreten. Vor einer Woche waren sechs weitere Aktivisten in Vorbeuge-Gewahrsam genommen worden.

Der Artikel wurde aktualisiert.

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