Walkenried. ÖPNV in Gefahr: Finanzkrise beim Bund bedroht die Verkehrswende. Das sind die Gründe, so will man im Harz um die Mobilität kämpfen.

Steht die Verkehrswende im Harz vor dem Aus? Werden Bahn und Bus aufgrund fehlender Gelder in der Zukunft keine Alternativen mehr für den Pkw sein können? Selten haben Auswirkungen des Haushalts des Bundes für so viel Angst in der Region gesorgt. Worum es geht? 350 Millionen Euro sind aus den Regionalisierungsmitteln für die Länder im Bundeshaushalt 2024 gestrichen. Die weitreichenden, vermutlich fatalen Folgen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Bereich Bahn haben auf Einladung des CDU-Stadtverbands Bad Sachsa und Gemeindeverbands Walkenried interessierte Bürgerinnen und Bürger mit dem bekannten Harzer Verkehrsexperten Michael Reinboth diskutiert.

Damit die Sorgen, Ängste, aber auch Forderungen insbesondere aus den Bereichen Bad Lauterberg, Bad Sachsa und dem Klosterort auch an die richtige Stelle kommen, nahmen zudem der CDU-Bundestagsabgeordnete Fritz Güntzler und der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Frölich an dem Treffen teil.

Was bedeutet die Kürzung der Regionalisierungsmittel?

  • Der Nahverkehr mit der Bahn und dem Linienbus galt lange Zeit als wesentliches Element zur Mobilitätswende und den geplanten Verringerungen des -Ausstoßes im Verkehrssektor
  • In den letzten Jahren sind aber neben Angebotsverbesserungen und einigen Reaktivierungen von Bahnstrecken vor allem auch stark steigende Ausgaben (vor allem Energie- und Personalkosten) im gesamten ÖPNV zu beobachten
  • Bund und Länder hatten sich daher im Jahr 2022 auf eine deutliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel, also der Gelder, die der Bund seit der Bahnreform 1996 grundgesetzlich garantiert, den Ländern für eine auskömmliche Gestaltung des Nahverkehrs auf der Schiene zur Verfügung stellt, geeinigt
  • Die Gelder sollten um eine Milliarde Euro angehoben und dann jährlich um 3 Prozent nach oben angepasst werden, um die steigenden Kosten aufzufangen
  • Aufgrund der Probleme mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2024 aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Ende des Jahres 2023 werden die Mittel nunmehr um 350 Millionen Euro gekürzt
  • Hinzu kommen deutliche Kürzungen beim Streckenausbau bzw. bei Neubauplänen im Bereich Bahn
Ein Zug fährt am Bahnhof in Walkenried vorbei. 
Ein Zug fährt am Bahnhof in Walkenried vorbei.  © HK | Thorsten Berthold

Was bedeutet der Rotstift auf Bundesebene aber für die Entwicklung in Niedersachsen? „Für das Jahr 2024 stehen bis zu 35 Millionen Euro weniger zur Verfügung - und das bei weiter steigenden Kosten“, erklärt Michael Reinboth, was auch von Fritz Güntzler und Christian Frölich bestätigt wird. „Das merken wir in diesem Jahr noch nicht so extrem, für dieses ist alles bereits bestellt“, betont der Harzer Verkehrsexperte. Der Schock werde seiner Ansicht nach im Jahr 2025 folgen. Nur durch Kürzung der Angebote oder aber deutlicher Anhebung der Fahrpreise werde man dem Finanzloch entgegenwirken können. „Das ist bitter, denn so treibt man die Menschen wieder dazu, den Pkw zu nutzen.“

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Und als würde diese Entwicklung noch nicht reichen, gebe es noch spezielle Probleme in Niedersachsen selbst im Bereich ÖPNV, die vor allem den ländlichen Raum hart treffen würden.

Sonderfall Niedersachsen: Darum treffen die Kürzungen bei den Geldern den Südharz doppelt hart:

  • Stand jetzt ist Niedersachsen im Vergleich aller Bundesländer an drittletzter Stelle, was die Erreichbarkeit des ÖPNV für seine Bewohnerinnen und Bewohner betrifft - nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern rangieren noch dahinter
  • Auf dem letzten Platz im Vergleich rangiert Niedersachsen sogar, wenn es um die Förderung des ÖPNV mit eigenen finanziellen Mitteln geht, sprich das Land gibt pro Einwohner die wenigsten Gelder für die Unterstützung von Bus und Bahn aus
  • Im Jahr 2023 waren es 119 Millionen Euro an Landesmitteln, die zur Verfügung gestellt wurden. Dies bedeutet neun Prozent aller Mittel entfielen auf den ÖPNV, der Bundesdurchschnitt liegt bei 24 Prozent
  • Niedersachsen zweigt zudem seit Jahrzehnten Regionalisierungsmittel des Bundes ab, um damit originäre Landesaufgaben wie den Schülerverkehr zu finanzieren.

Das Fazit von Michael Reinboth für diese Entwicklung ist eher düster: durch die Kürzungen der Gelder des Bundes in Kombination mit der Unterfinanzierung durch das Land Niedersachsen drohten nicht nur alle Fortschritte im Angebot und bei der Preisgestaltung, die namentlich auch im Harz zu verzeichnen seien (Hatix, 5-Euro-Ticket, Taktverkehr auf Buslinien), zunichtegemacht zu werden. „Es drohen in den kommenden Jahren erhebliche Einschnitte im Angebot, die den ländlichen Raum, ohnehin das Stiefkind der Entwicklung, gänzlich abhängen.“

Ein Linienbus wartet an einer Haltestelle in Wieda. 
Ein Linienbus wartet an einer Haltestelle in Wieda.  © FMN | Thorsten Berthold

Dem pflichtete auch der Bundestagsabgeordnete Fritz Güntzler bei. Es gehe bei einem Thema wie dem ÖPNV auch um die Daseinsvorsorge der Menschen, gerade auch im ländlichen Raum. Er könne den Unmut und das Unverständnis der Menschen verstehen, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes abgehangen fühle. Der ÖPNV sei eine völlig falsche Stelle zum Kürzen.

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Der Landtagsabgeordnete Christian Frölich konnte erklären, dass der Ministerpräsident von Niedersachsen bereits betont habe, dass das Land die Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln nicht auffangen könne. Er forderte daher, dass Bund und Land ihre Prioritäten besser ordnen müssten, beispielsweise beim Erreichen der Klimaneutralität. „Wir müssen das umsetzen, aber wir müssen uns von einer Überforderung bei den Zielen lösen.“

Um dem drohenden Negativszenario entgegenzuwirken, führte Michael Reinboth aus, wofür die Abgeordneten in der Landes- und Bundespolitik, aber auch generell die Menschen aus dem Harz kämpfen sollten: „Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass das jetzige Angebot erst einmal bestehen bleibt, das wäre schon ein Erfolg.“ Der Verkehrsexperte formulierte gemeinsam mit den Teilnehmern des Infoabends aber auch ergänzende Forderungen aus der Region in Richtung Berlin und Hannover.

Das sind die Forderungen und Ideen für die Aufwertung des ÖPNV in Bad Sachsa und Walkenried:

  • Im Bereich Bahnverkehr fehlt im Südharz ein Angebot von Spätzügen aus Richtung Göttingen (Stand jetzt fährt der letzte Zug Montag bis Donnerstag um 21.49 Uhr sowie Freitag bis Sonntag um 22.49 Uhr) und Nordhausen (täglich 22.39 Uhr).
  • Soweit eine Finanzierung der Züge für die Fahrtrichtung Nordhausen aus Thüringen nicht erfolgt, sollte ein Pendelverkehr bis und ab Walkenried eingerichtet werden. Bis bzw. ab Herzberg existieren diese Züge bereits und müssten nur 20 Kilometer bis Walkenried verlängert werden.
  • Ersatzweise könnten Kleinbusse in Herzberg von den letzten aus Göttingen und Braunschweig kommenden Zügen bis nach Bad Sachsa und Walkenried eingerichtet werden.
  • Nachbesserungsbedarf besteht im Bahnverkehr generell bei der Anbindung des Südharzes an Hannover über Northeim. Insbesondere die 25 bis 30 Minuten Zeit zum Umsteigen in Northeim sind unattraktiv.
  • Beim Busverkehr soll bei der Linie 471 Bad Sachsa - Bad Lauterberg an Samstagen um der Zwei-Stunden-Takt um zwei weitere Fahrtenpaare in der 16- und 18-Uhr-Lage sowie an Sonn- und Feiertagen überhaupt erst einmal mit drei Fahrten (10, 14, 18 Uhr) geschaffen werden je Fahrtrichtung.
  • Für den Sonn- und Feiertag wäre zum Test die Nutzung eines Kleinbusses denkbar.
  • Für Neuhof sollte mit den Verkehrsbetrieben Nordhausen gesprochen werden, die ihre Linie Mackenrode - Nordhausen über Neuhof führen könnten, um so eine weitere Anbindung zu schaffen.
  • Im Spätverkehr sollten die nach Bedarf verkehrenden Busse ab Herzberg bis nach Wieda und/oder Zorge weiterfahren, sofern Fahrgäste dorthin wollen. Bisher endet die Anbindung für beide Orte um 19 Uhr.

Denn - und darin waren sich alle Teilnehmenden des Abends einig - ein funktionierender ÖPNV wird gerade im ländlichen Raum gebraucht, um Zuwanderungen von Einwohnern zu schaffen, aber auch den immer wichtiger werdenden Tourismus zu stützen. „Wenn Bus und Bahn funktionieren, ist dies beste Wirtschaftsförderung für eine Region“, fasste Christian Frölich zusammen.

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