Wolfsburg. . Grizzlys-Trainer Hans Kossmann spricht über die Gegenwart, seine Vergangenheit, lässt aber seine Zukunft offen.

Als Retter in der Not geholt, sollte Hans Kossmann die strauchelnden Grizzlys zurück in die Spur bringen. Der gebürtige Kanadier ist seit dem 23. Oktober Cheftrainer des Wolfsburger Eishockey-Erstligisten, folgte auf den glücklosen Pekka Tirkkonen. Seitdem war Kossmann fast unentwegt im Einsatz, seine Mission erfüllte er bislang aber nur zum Teil. Die Grizzlys sind weiter DEL-Vorletzter, spielen aber besser als vorher – und statistisch etwas erfolgreicher.

Über seine Arbeit, sein Leben, seine Vergangenheit und seine Zukunft sprach der 56-Jährige im großen Exklusiv-Interview mit unserer Zeitung.

Herr Kossmann, als Sie in Wolfsburg zugesagt hatten, sagten Sie vor Ihrer Abreise nach Deutschland in einem Interview: „Ich gehe ins Ungewisse.“ Heute, zweieinhalb Monate später, haben Sie da Gewissheit?

Oh ja. Wenn ich die Situation im Vorfeld mehr studiert gehabt hätte, hätte ich gesehen, dass es in diesem Jahr schwierig wird. Aber trotzdem hat es mir mehr oder weniger Spaß gemacht, mit dieser Gruppe zu arbeiten. Obwohl wir nicht unser bestes Eishockey gezeigt haben, haben die Spieler zusammengehalten und versucht, das Beste zu geben. Ich bereue meine Entscheidung nicht. Die deutsche Liga ist sicher etwas Neues für mich. Aber es tut auch gut, neue Mannschaften, Spieler und Städte zu sehen. Das Eishockey in der DEL ist viel nordamerikanischer geprägt als in der Schweiz. Bis jetzt hat es mir gefallen.

Außer den vielen Ausfällen – was macht die Arbeit bei den Grizzlys so schwierig?

Manchmal spielt man zwei, drei Wochen und denkt, man ist nicht weit entfernt von dem, was man sehen will. Und dann kommt man wieder zwei Wochen völlig unter die Räder und merkt, dass es große Schwankungen in der eigenen und bei anderen Mannschaften gibt, die mal schlagbar sind und dann kurz darauf wieder nicht, wenn sie ihr bestes Eishockey zeigen. Das hat man auch aktuell gesehen.

Es gibt ein Zitat von Ihnen, das lautet: „Manchmal sind die Trainer nicht so schlau, wie wir denken. Manchmal muss man es einfach der Mannschaft überlassen.“ Haben Sie das Konzept auch in Wolfsburg schon ausprobiert?

Ja, aber ganz ohne Taktik geht heutzutage nichts mehr. Das moderne Eishockey ist geprägt von vielen Informationen. Als Trainer muss man manchmal vorsichtig sein, dass man den Spielern nicht zu viele Informationen gibt, sonst behalten sie am Schluss überhaupt nichts richtig. Man muss versuchen, drei, vier Sachen gutzumachen. Und dann müssen die Spieler zum Schluss immer noch spielen. Die Schwierigkeit ist, das richtige Maß zu finden, wie viel man vorgeben kann und wie viel man den Spielern selbst überlassen muss.

Und wie viel Freiraum geben Sie Ihrer Mannschaft?

Wir überlassen ihr immer noch etwas, aber geben natürlich auch gewisse Regeln vor.Eine wichtige Vorgabe ist, dass wir mit der Scheibe spielen und sie nicht zu oft dem Gegner überlassen. Und dass wir gut in den gefährlichen Zonen spielen. Mehr oder weniger haben wir das auch gut gemacht. Leider haben wir trotzdem zu oft verloren.

Am vergangenen Wochenende nach der Heimniederlage gegen Krefeld sagten Sie mit Blick auf die erhoffte Play-off-Teilnahme: „Die Bahn ist abgefahren.“ Ändert das etwas daran, wie Sie die Mannschaft in den verbleibenden Spielen einstellen?

Ja, die Einstellung ändert sich ein bisschen. Bis zum vergangenen Wochenende hatte ich die Mannschaft hart gepusht. Nun ist es aber mathematisch sehr schwierig, auch wenn es noch möglich ist. Ich versuche jetzt, das Beste mit dieser Mannschaft herauszuholen, ohne dass wir uns gegenseitig kaputtmachen.

Mittlerweile kennen Sie die DEL und haben festgestellt: Was lässt sich vom in der Schweiz erprobten System Kossmann nach Deutschland übertragen?

Ich habe Vertrauen gewonnen in das, was mein Trainerstab und ich hier gemacht haben. Nach zwei Monaten gemeinsamer Arbeit haben wir eine gute Basis gelegt. Wir spielen strukturierter und sorgfältiger mit der Scheibe als am Anfang meiner Zeit hier. In vielen Matches waren wir dabei. Das finde ich recht positiv. Manche Trainer können nur in einer bestimmten Liga arbeiten. Aber ich habe das Gefühl, dass es für mich auch hier recht gut funktioniert hat. Auch wenn die Resultate das nicht immer widerspiegeln.

Sonst hätten Sie es wahrscheinlich bereut, dass Sie nicht einfach nur daheim in Deep Cove Ihre Garage am Haus weitergebaut haben.

(Lacht) Genau, das kann ich immer noch machen.

Sind Sie passionierter Handwerker?

Ich würde es nicht gern auf einer Baustelle acht Stunden jeden Tag machen müssen, aber für sich selbst zu Hause ist es ganz gut für die Seele.

Wie sieht denn Ihr Leben in Kanada aus?

Wir waren auch zurück nach Kanada gegangen, um der Familie wieder näher zu sein. Ich war 35 Jahre in Europa gewesen. Alle sind älter geworden. Leider ist am vergangenen Wochenende meine Mutter gestorben, ausgerechnet in der Zeit, in der ich nicht zu Hause bin. Das hatte ich vermeiden wollen. Zum Glück hatte ich sie in diesem Sommer noch sehen können. Meine Mutter war auch ein Grund dafür, dass wir zurück nach Kanada gegangen waren. Manchmal ist es gut, wieder ein bisschen Nähe zur Familie zu haben. Meine Schwiegermutter, Onkel und Tanten wohnen auch nicht weit von uns weg.

Mein herzlichstes Beileid zum Tod Ihrer Mutter...

Danke, aber zurück zu Ihrer Frage: Der Sommer bei uns ist traumhaft. Wir leben am Meer, es ist noch ziemlich ruhig dort.

Das klingt nach Idylle, aber, wie ich gelesen habe, haben Sie Krieg mit Ihren Nachbarn...

(Schaut verdutzt) Mit den Nachbarn?

Ja, ich habe da etwas für Sie mitgebracht, das Ihnen bestimmt auf die Sprünge helfen wird (stellt einen Beutel mit Walnüssen auf den Tisch).

(Grinst) Oh ja, Krieg mit den Eichhörnchen in diesem Sommer! Aber den habe ich auch verloren (lacht herzhaft).

Berichten Sie doch mal, was war da los?

Es gibt zwei Walnussbäume bei uns in der Nachbarschaft. Der größere und gesündere steht in unserem Garten, war deshalb das Ziel Nummer 1.

Aber auch der Gemüsegarten Ihrer Frau musste dran glauben...

Genau. Alles, was man bei uns anbaut, muss man abschirmen, sonst kommen Rehe, Hasen und Eichhörnchen.

Die Rehe konnten Sie ja mit Wassersprengern abwehren, hieß es.

Aber nur kurzfristig. Ich hatte erst einen Wassersprenger mit Bewegungsmelder installiert, das klappte einen Tag. Dann stellte ich einen zweiten Sprenger und später noch einen dritten auf. Bei den Rehen funktionierte das einigermaßen. Aber die Eichhörnchen ließen sich davon nicht lange beeindrucken.

Sie wirken sehr naturverbunden. Haben Sie denn auch in Wolfsburg schon ein paar schöne Plätzchen gefunden, um in der Natur zu sein?

Leider noch nicht. Aber ich hatte auch noch nicht viel Zeit gehabt.

Wie verbringen Sie sonst Ihre knappe Freizeit?

Meine Frau und ich haben kleinere Ausflüge unternommen. Ich habe einen Cousin in Berlin, den haben wir an Weihnachten besucht. Zudem waren wir mal in Magdeburg.

Haben Sie denn neben der Heimwerkerei noch andere Hobbys?

Ich fahre gern Rad, jogge und angele. Beim Angeln war ich zuletzt aber selten. Auch bei uns in Kanada wird es immer schwieriger, etwas zu fangen, weil immer mehr Leute kommen.

Wie gefällt es Ihnen eigentlich in Deutschland?

In Europa allgemein gibt es immer etwas zu genießen: Kultur, Reisen, Wein, Essen. Dinge, die ganz anders sind als in Kanada. Man findet immer einen schönen Ort, den man in Ruhe genießen kann.

Ihr Leben ist alles andere als ruhig, sondern eher aufregend. Sie gingen als 23-Jähriger in die Schweiz zum Eishockeyspielen und arbeiteten nebenbei in einer Gewürzfabrik. Erzählen Sie mal...

Ich hatte eigentlich ein zweijähriges Studium zum Geometer, also Landvermesser, absolviert und spielte nur noch nebenbei Eishockey. Dann las ich zufällig in der Zeitung Swiss Canadien Revue, dass in der Schweiz Eishockeyspieler mit Schweizer Wurzeln gesucht wurden. Mein Vater war ja einst von dort nach Kanada ausgewandert. Also ging ich dort hin und arbeitete in Zug in einer Gewürzfabrik in der Abfüllerei in meinen ersten Jahren in unteren Ligen. Später musste ich das dann nicht mehr.

Sie spielten erfolgreich in der dritten und zweiten Liga der Schweiz. Warum hat es denn nie für die erste Liga, die Nationalliga A, gereicht?

Wenn ich früher in die Schweiz gegangen wäre, hätte es das bestimmt. Aber ich hatte mit 18 aufgehört zu spielen und habe während des Studiums zwei Jahre nur zum Spaß wieder angefangen. Die Pause zwischendurch war zu lang gewesen.

Bei Ihrer letzten Spielerstation in Ajoie 1995/96 übernahmen Sie während der Saison den Trainerposten. Wie kam es?

Wegen einer gerissenen Sehne im Leistenbereich hatte ich schon eine Saison mit Spritzen gespielt. Die Verletzung heilte schlecht, die Schmerzen blieben. Als an Weihnachten unser Trainer ein besseres Angebot aus Lausanne angenommen hatte, dachte ich: Ich versuche das mal, denn ich wusste, mit meiner Leiste würde es nicht mehr besser werden.

Es war eine gute Entscheidung. In der Folge arbeiteten Sie erfolgreich als Assistenztrainer in Genf und Bern in der Nationalliga A und bekamen 2011 beim HC Fribourg-Gottéron Ihren ersten Chefcoach-Posten. Legendär ist dort Ihre für eine Schweizer TV-Doku aufgezeichnete Kabinenansprache während Spiel 5 in der Finalserie gegen Bern. Ihr Team lag nach dem ersten Drittel mit 0:2 zurück, als Sie explodierten. In 80 Sekunden sagten Sie 30-mal das englische Wort mit F. Dabei wirken Sie immer so gentlemanlike.

Eigentlich bin ich auch eher ein Gentleman. Aber wenn ich Sport treibe, bin ich sehr ehrgeizig. Ich musste mir alles immer hart erarbeiten, war immer heiß. Manchmal soll eine solche Ansprache die Mannschaft einfach wachrütteln.

Wie oft fällt denn das Wort mit F in der Grizzlys-Kabine?

(Lacht) Es fällt auch, aber in Wolfsburg ist das nicht so sehr nötig. Außerdem werde ich von Jahr zu Jahr immer ein bisschen milder (lächelt verschmitzt).

Apropos von Jahr zu Jahr... Im vergangenen Jahr führten Sie als Feuerwehrmann Zürich zum Schweizer Titel und mussten gehen, weil der Trainer für die neue Saison bereits vor Ihrem Engagement festgestanden hatte. Diesmal könnte es genau anders sein. Mit den Grizzlys verfehlen Sie Ihre Mission voraussichtlich, Ihr Vertrag läuft aus, aber eine Vertragsverlängerung scheint möglich. Können Sie sich das vorstellen?

Es ist alles offen. Ich kann mich jetzt nicht entscheiden. Das ist nicht nur eine Eishockey-Entscheidung. Meine Frau und ich waren ja auch aus familiären Gründen zurückgekehrt nach Kanada. Wir schauen nur noch von Jahr zu Jahr. Ich bin nicht mehr an dem Punkt, dass ich als Trainer die Sicherheit eines Drei-Jahres-Vertrags brauche. Sondern es geht auch darum, ob meine Frau und ich die Zeit dort auch genießen können. Ich treffe die Entscheidung nicht allein. Schauen wir, wie wir mit den Grizzlys abschließen, und dann nehme ich mir Zeit zum Nachdenken über alle Aspekte.

Gab es denn schon Gespräche mit Manager Charly Fliegauf darüber?

Nicht viele. Ich habe Charly meine Position erklärt und möchte abwarten, was am Saisonende läuft.

Was meinen Sie mit „was läuft“?

Dass es nicht nur die eine Entscheidung ist. Sondern zum Beispiel auch die, wo meine Frau und ich uns zukünftig sehen. Sportlich kann es in Deutschland auch schnell in die andere Richtung gehen. Mit neun Ausländern im Aufgebot kann man schnell viel ändern. Drei, vier Volltreffer – und man bekommt eine ganz andere Mannschaft.

Sind Sie denn in die Kaderplanung für die neue Saison eingebunden?

Noch nicht. Wir hatten wenig Zeit in den vergangenen Wochen. Charly will mit mir reden, und ich helfe gern, wenn ich kann. Aber ich glaube, das ist eher sein Job. Er hat genügend Erfahrung. Trainer ist ein Vollzeitjob. Ich versuche nicht, auch noch Manager zu spielen. Wenn ich schon unterschrieben hätte, würde ich das Thema sicher ernster nehmen. Denn jeder Trainer hat seinen Stil und wünscht sich die richtigen Spieler, diesen umzusetzen.