Wolfsburg. Im Verlauf der ersten Tarifverhandlungen beim neuen Partnerunternehmen prallten Welten aufeinander.

Glaubt man den Berichten der IG Metall, dann hat sie die Belegschaft des VW-Zulieferers Brose Sitech vor einem tarifpolitischen GAU bewahrt. Bei den ersten Tarifverhandlungen des erst zu Jahresbeginn geschmiedeten Joint Ventures aus der VW-Tochter Sitech und dem fränkischen Familienunternehmen Brose ging es schon im Vorfeld hart zur Sache. Die Verhandlungsführer der Metaller berichten nun, dass die Arbeitgeberseite unter anderem eine 40-Stunden-Woche sowie andererseits eine 28-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich für andere Bereiche als Gegenleistung verlangt haben soll. Am Ende setzte sich die IG Metall mit ihren Forderungen für die Sitech-Belegschaften in Wolfsburg und Emden durch.

Sitech und Brose – unterschiedliche Tarifwelten

So unterschiedlich wie die Unternehmenskulturen waren, so unterschiedlich fällt jetzt auch das Verhandlungsergebnis für die beiden Belegschaften aus. Die von der VW-Mitbestimmungskultur geprägte Sitech wurde mit einem gänzlich anders gepolten Familienunternehmen verbunden. Beide Firmen sind Spezialisten für das Automobilinterieur. Die Sitech ist auf Sitzeinheiten spezialisiert, Broses Angebot ist weiter gestreut. Ziel war es, in einem sich wandelnden Markt Synergien zu erzielen und auf dem Weltmarkt zu expandieren. Allerdings fiel die Zusammenführung in eine schwierige wirtschaftliche Situation, die weiter besteht. Brose machte erstmals Verluste.

Neun Punkte, die es in sich hatten

So gesehen kam die Tarifauseinandersetzung zur Unzeit. „Während die Geschäftsführung der Brose Deutschland GmbH für ihre Beschäftigten deutschlandweit die Übernahme des Tarifergebnisses aus der Metall- und Elektroindustrie aus Bayern verkündet hatte, blieb die Verhandlungskommission der Arbeitgeberseite für Wolfsburg und Emden zunächst auf Konfrontationskurs. Gekrönt wurde das Schauspiel der Arbeitgeberseite dadurch, dass eine Steigerung der Entgelte nur gelte, wenn man zusätzliche Arbeitgeber-Forderungen akzeptiere“, schreibt die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Sie beschreibt das Szenario des Tarifkampfes so. Brose habe auch in der dritten Verhandlungsrunde auch die Neudefinition von Mehrarbeit sowie eine Verschlechterung von Kündigungsfristen ins Spiel gebracht. „Insgesamt legte die Brose Sitech hier einen Katalog von mehr als zwanzig neu zu regelnden Punkten auf den Tisch, von denen sie mindestens neun Punkte einer Lösung im Verhandlungsergebnis zuführen wollte – obwohl jene Punkte in Tarifverträgen mit der IG Metall fest geregelt sind und eben nicht gekündigt wurden. Nach sieben Stunden Verhandlung endete am 6. Dezember die dritte Zusammenkunft der Tarifakteure ergebnislos und verhärtet. Nachdem nunmehr weitere Warnstreiks und betriebliche Aktionen unmittelbar bevorstanden und auch Betriebsversammlungen stattgefunden haben, lenkte Brose Sitech in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in einer weiteren Verhandlung ein, um eine spürbare und teure Tarifeskalation zu vermeiden“, heißt es von Gewerkschaftsseite.

„Die Beschäftigten in Emden und Wolfsburg erhalten ein sattes Entgeltplus“

Das Unternehmen verständigte sich mit der IG Metall auf folgende Eckpunkte einer Tarifeinigung. Die Entgelte und Ausbildungsvergütungen steigen tabellenwirksam zum 1. Juni 2023 um 5,2 Prozent und um weitere 3,3 Prozent zum 1. Mai 2024. Außerdem erhalten die Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro, die in zwei Schritten ausgezahlt wird. Im Februar 2023 2.000 Euro, im Januar 2024 folgen weitere 1.000 Euro steuerfrei. Auszubildende erhalten jeweils die Hälfte. Zusätzlich können zukünftig alle Beschäftigten die tarifliche Zusatzvergütung in sechs freie Tage umwandeln. Verhandlungsführer Thilo Reusch zeigt sich sehr zufrieden: „Die Beschäftigten in Emden und Wolfsburg erhalten nunmehr ein sattes Entgeltplus.“ Für die Kolleginnen und Kollegen von Brose gilt das nicht in diesem Umfang. Tarifgebunden ist nur ein Standort, heißt es von der IG Metall. Dort gilt dann der Abschluss der bayrischen Metallindustrie. Ob das dem Zusammenwachsen der Partner zuträglich ist? Wohl kaum.

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