“VW hatte seine Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen. Wer das Recht bricht, darf damit keinen Reibach machen.“

„Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Eine Milliarde Euro. Das ist eine Summe, die wir Normalbürger uns kaum vorstellen können. Noch viel weniger wären wir (oder die allermeisten unserer Arbeitgeber) in der Lage, eine Geldbuße in dieser Höhe zu leisten. Bei Volkswagen gelten andere Größenordnungen. Der Wolfsburger Autobauer hat die höchste Strafzahlung, die in Deutschland jemals verhängt wurde, diese Woche klaglos akzeptiert. Und das aus gutem Grund.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig argumentierte plausibel. VW hatte seine Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen. Wer das Recht bricht, darf damit keinen Reibach machen. Und so wird der wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft.

Die spektakuläre Entscheidung der Staatsanwaltschaft erzeugt mindestens drei Effekte: VW erhält Rechtssicherheit zu einem vergleichsweise verkraftbaren Preis. Die Staatsanwaltschaft befreit sich von dem Vorwurf, der Rechtsbruch des Konzerns werde nach dem Motto „Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen“ nicht konsequent genug geahndet. Und die Bürger sehen, dass unser Rechtsstaat funktioniert.

Wohin nun mit dem Geld? Der Richterbund möchte die Milliarde für neue Richterstellen ausgeben, der Steuerzahlerbund die Schuldenlast drücken. Beides wären sinnvolle Verwendungen. Der auf lange Sicht vielversprechendste Vorschlag ist ein anderer: Angesichts der massiven Defizite, die unser Flächenland in digitaler Infrastruktur und Ausstattung unserer Bildungseinrichtungen hat, wäre die Investitionen in diesen Bereich sinnvoll. Das Sondervermögen des Landes ist zu mager ausgestattet.

Wer in Betracht zieht, dass zusätzliche Jobs und der Ersatz für wegfallende Arbeitsplätze vor allem in der Digitalwirtschaft entstehen dürften, muss an international konkurrenzfähigen Bedingungen interessiert sein. Davon sind wir im größten Teil Deutschlands weit entfernt. Auch klassische Produzenten und Dienstleister sind dringend auf digitales Know-How und leistungsfähige Infrastruktur angewiesen; Zukunftsthemen der Autoindustrie wie das Autonome Fahren sind ohne Hochleistungsdatennetze undenkbar.

So oder so ist die Milliardenverteilung eine Sachfrage, die man in Ruhe diskutieren sollte – was in Niedersachsen überdurchschnittlich häufig gelingt. Es mag auch am Temperament des Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) liegen, dem als „biertrinkendem Juristen“ nichts verhasster zu sein scheint als der Schaukampf. An der Berliner Koalition dürfte er wenig Freude haben. CDU und CSU sind so zerstritten, dass der seinerseits tief verunsicherte Koalitionspartner SPD staunend am Wegesrand steht. Was mag am Ende des Monats noch von der vierten Auflage einer Regierung Merkel übrig sein?

Befremdlich ist nicht, dass hart gestritten wird. Nach Jahren der Qual-Harmonie hat es etwas Befreiendes, wenn die Parteien mit allem Ernst um ein wichtiges Thema ringen. Auch das Scheitern einer Regierungskoalition muss Demokraten keine Sorgen machen. Wahlen führen zu Mehrheiten, die kein Selbstzweck sind. Wenn es am Konsens fehlt, ist der Machtwechsel notwendig. Ob eine Regierungsbildung 171 Tage dauern muss, steht auf einem anderen Blatt.

Nur wird der geneigte Beobachter den Verdacht nicht los, es gehe Innenminister Horst Seehofer und seiner landtagswahlkampfgestressten CSU vor allem um den Paukenschlag. Der musikalische Kontext bleibt diffus. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil beklagt, dass seine Partei noch immer nicht wisse, was denn in Seehofers ellenlangem „Masterplan“ stehe – ­bekannt sei nur die Absicht, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land Asyl hätten beantragen können. Klingbeil behauptet, nicht einmal CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder kenne den Inhalt. Dass Seehofer die schier endlose europäische Hängepartie um Grenzsicherung und Flüchtlingsverteilung beenden will, dürfte nicht nur am rechten Rand auf Sympathie stoßen. Politik macht sich aber angreifbar, wenn sich Streit auf das Ziel des Machterhalts verengt.

Die abnehmende Fähigkeit zu inhaltlicher Debatte, die in Gesellschaft und Politik zu beobachten ist, beschäftigte gestern auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Stephan Weil und Thomas Düffert, den Vorstandschef der in Hannover beheimateten Mediengruppe Madsack. Anlässlich des 125. Geburtstags von Madsack plädierten sie für einen unbequemen Berufsstand: Demokratie braucht unabhängige Journalisten als Begleiter, die Politik-PR und Programmatik unterscheiden, hart fragen und ausgewogen kommentieren.

Gerade Steinmeiers Mahnung an Journalisten und Verlage, diese Verantwortung wahrzunehmen, obwohl wirtschaftliche Zwänge schwer auf der Branche lasten, verdient die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, die sich Gedanken über die Zukunft unserer Demokratie machen. Wer glaubt, der Schluck aus der Parteienfinanzierungspulle und der Aufbau noch größerer PR-Stäbe mit einem Twitter-, Facebook- und Instagram-Ausstoß Trump’scher Dimensionen könne die Akzeptanz von Politik steigern, hat die Rechnung ohne den Bürger gemacht. Der misstraut jeglicher PR und glaubt auch den Journalisten nur dann, wenn sie ihre Arbeit sehr gut, sehr transparent und sehr am Bürger orientiert machen.

So fügte es sich wunderbar, dass der Ombudsrat unserer Zeitung am Donnerstag zur Diskussion seiner Zwischenbilanz lud. Seit zehn Jahren gibt es diese Instanz, die unzufriedene Leser anrufen können. Gemeinsam mit „Bild“- Ombudsmann Ernst Elitz behandelten Leser, Ombudsrat und Chefredaktion die Fragen, die über Vertrauen oder Misstrauen entscheiden. Es war ein lehrreicher Abend –­ und Gelegenheit für ein großes Dankeschön an Joachim Hempel. Drei Jahre lang hat er Leser und Redaktion mit Augenmaß und hohem Einsatz begleitet. Nun will er in Äthiopien helfen. Der Ombudsrat wird in neuer Besetzung nach der Sommerpause weitermachen, im Dienst der Leser und im Sinne Hempels und unseres ersten Ombudsrates Heinrich Kintzi.