Braunschweig. Weniger Holzgewinnung, mehr Artenschutz: Der scheidende Forstvereinspräsident Carsten Wilke sieht seine Zunft im Umbruch.

Wälder in schlimmem Zustand, eine schwierige Ertragslage, wachsender Erwartungsdruck aus Gesellschaft und Politik: Die Forstwirtschaft steht am Scheideweg. Seit Mittwoch, 18. Mai, trifft sich in Braunschweig fünf Tage lang die Zunft der Forstleute zur 70. Deutschen Forstvereinstagung, um Strategien im Umgang mit der Krise zu diskutieren. Carsten Wilke war langjähriger Präsident des gemeinnützigen Vereins, der die Standes- und Interessenorganisation der Forstleute ist. Am Mittwochabend wählte die Mitgliederversammlung Prof. Ulrich Schraml, Leiter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg zu Wilkdes Nachfolger. Im Interview erklärt der scheidende Präsident, worüber Forstleute hierzulande streiten, warum ihm der anstehende Generationswechsel Mut macht – aber auch, welche Wege aus seiner Sicht in Sackgassen führen.

Die Tagung in Braunschweig hat sich das Motto „Zeit für Innovation“ gegeben. Wenn man alle Hoffnungen auf Innovationen setzt, steckt dahinter oft, dass man sich mit vorhandenen Mitteln nicht mehr zu helfen weiß. Trifft es das – mit Blick auf die Forstwirtschaft?

Wir haben es mit vielen Ungewissheiten zu tun. Das kann man kaum bestreiten. Klar ist aber, dass wir den Wald umbauen müssen. Das desolate Erscheinungsbild der Wälder im Harz, um ein regionales Beispiel zu nennen, ist Ihren Lesern ja bestens bekannt. Die dortigen Fichtenwälder, an denen viele Menschen Wohlgefallen hatten, sind verschwunden. Und sie werden auch nicht zurückkehren. Sie zurückzuholen, womöglich noch auf großer Fläche, wäre ein grober fachlicher Fehler. Fichten brauchen ein kühles, gemäßigtes, niederschlagsreiches Klima. Das haben wir aber schlicht nicht mehr. Deswegen lautet die erste Frage: Welche heimischen Baumarten können an diese Stelle treten? Unser Blick geht aber auch über die heimischen Arten hinaus. Wir brauchen einen neuen, innovativen Zugang zur Waldbewirtschaftung – mit der Baumartenwahl als zentraler Frage. Diese Entscheidungen, die hier anstehen, prägen den Wald für die nächsten 60, 70, 80, ja bis zu 200 Jahre. Deswegen ist diese Frage alles andere als trivial. Wir brauchen neue Lösungen. Dazu gehören neue Mischungsformen – in einem größeren Umfang als wir das bisher gewohnt waren.

Umweltverbände sehen den Anbau nichtheimischer Baumarten kritisch. Sie fordern eine naturnahe Bewirtschaftung, um die Wälder widerstandsfähiger gegenüber Klimaveränderungen zu machen. An welche Innovationen denken Sie – außer dem Waldumbau?

Carsten Wilke, scheidender Präsident des Deutschen Forstvereins, sieht die deutsche Försterschaft vor einem notwendigen Generationswechsel – mit tiefgreifenden Veränderungen.
Carsten Wilke, scheidender Präsident des Deutschen Forstvereins, sieht die deutsche Försterschaft vor einem notwendigen Generationswechsel – mit tiefgreifenden Veränderungen. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Wir beobachten eine kontinuierliche Zunahme der Wünsche und Ansprüche, die die Bevölkerung an den Wald stellt. Dabei geht es um ganz Unterschiedliches: Viele denken zuerst an den Wald als Naturraum für Biodiversität – also als Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten – und fordern entsprechende Schutzmaßnahmen. Der Wald spielt auch eine große Rolle im Wasserregime, sowohl beim Schutz vor Hochwasser als auch bei der Trinkwassergewinnung. Viele Wasserförderungsanlagen befinden sich im Wald. Hinzu kommt der Bodenschutz: Flächen, auf denen es keinen ausreichenden Bewuchs gibt, neigen bei starken Regenfällen zur Erosion. Denken Sie nur an die schrecklichen Ereignisse im Ahrtal und daran, wie viel Boden dort weggeschwemmt worden ist. Und nicht zuletzt ist der Wald nicht erst seit der Pandemie ungemein wichtig für die Freizeitgestaltung, das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen. Man erholt sich im Wald, man besucht ihn mit den Kindern, man wandert oder fährt Mountainbike.

All diese Leistungen entstehen im Wald. Sie werden von Forstbetrieben erbracht – sei es durch aktives Tun oder durch aktives Unterlassen. Deshalb müssen wir einen Einstieg finden, dass diese Leistungen auch bezahlt werden. Diese Forderungen der Forstbetriebe sind mittlerweile auch in der Politik angekommen. Sie sind hochaktuell und bilden folglich auch einen Schwerpunkt unserer Tagung.

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Die klassische Einnahmequelle der Forstwirtschaft ist die Vermarktung des Rohstoffs Holz. Die gesellschaftlichen Erwartungen dagegen gehen eher in Richtung einer weniger intensiven wirtschaftlichen Nutzung. Wie heiß wird unter Forstleuten darüber diskutiert? Nach außen erscheint es manchmal so, als sei man überwiegend nicht bereit, vom traditionellen Weg abzurücken.

Ich kann Ihnen sagen, dass darüber unter Forstleuten sehr heiß diskutiert wird. Um den grundsätzlichen Befund, dass wir nicht so weiterwirtschaften können wie früher, kommen wir alle nicht herum.

Gerungen wird bei uns vor allem um das richtige Maß. Dabei geht es etwa um die Frage, wie radikal die Abkehr von bestimmten Baumarten sein muss. Können wir uns etwa die Fichte in begrenztem Umfang hier oder da noch leisten? Im Mittelpunkt steht aber die Frage: Wie viel Wald wollen wir von der Gewinnung des Rohstoffs Holz ausnehmen, um eine ausschließliche Ausrichtung auf Fragen der Artenvielfalt und der Lebensräume zu ermöglichen? Und: Wo finden die Forstbetriebe eine angemessene Kompensation für solche Rücksicht­nah­men? Entlang dieser Linien ist die Fachdiskussion ausgesprochen lebhaft. Aus den verschiedenen Lagern haben wir auch entsprechende Fachleute zu unserer Tagung eingeladen. Es wird sehr spannend sein, das zu beobachten.

Neben der Fachdebatte ist das aber auch eine politische Debatte. Am Montag hat die Konferenz der Agrarminister getagt – und sich ausschließlich dem Thema Wald gewidmet. Aus meiner Sicht ist das ein echtes Novum. Es sind aber genau dieselben genannten Pole, die dort diskutiert werden.

Holzwirtschaft oder Entschädigung für die Ökosystemleistungen des Waldes – also de facto das Unterlassen von Holzwirtschaft zum Wohl der Allgemeinheit?

So ist es.

Und wo stehen wir bei der Beantwortung dieser Frage?

Dass eine solche Kompensation kommen muss, ist ein breiter Konsens über alle politischen Lager hinweg. Jetzt geht es um die Details und die konkrete Ausformung. Eine Möglichkeit wären die klassischen, aus der gemeinsamen Agrarpolitik der EU abgeleiteten Förderungen, die wir auch in der Forstwirtschaft bereits haben. Umgesetzt wird das in Deutschland über das sogenannte Gesetz zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK). Dieses finanzielle Standbein könnte man in Zukunft weiter ausbauen. Eine andere Herangehensweise wäre über den Handel von Emissionsrechten. Die Gelder aus dem Kauf von Emissionszertifikaten fließen ja in den Energie- und Klimafonds. Auch er wäre eine denkbare Basis, um die Leistungen der Forstbetriebe zu honorieren.

Welche Auswirkungen hätten die unterschiedlichen Wege?

Die GAK arbeitet im Wesentlichen mit ganz konkreten Maßnahmen. Also: Waldumbau, andere Baumarten wählen, Schutzmaßnahmen ergreifen. Das andere Modell geht eher in die Richtung, den Wald in seiner Flächenwirkung zu betrachten – und seine Leistungen zu honorieren. Wir reden hier übrigens nicht zwangsläufig über ein Entweder-Oder. Auch Kombinationen und Zwischenlösungen sind denkbar. Das ist eine heiße Debatte. Aber der politische Wille, die Leistungen anzuerkennen und die Waldeigentümer zu unterstützen, ist klar erkennbar. Und ich finde es richtig, dass sich der Grundsatz durchgesetzt hat, dass für diese öffentliche Leistung auch öffentliches Geld eingesetzt wird.

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Auch ich sehe manche Subventionen durchaus kritisch. Aber hier geht es um eine echte Leistung, die für die Allgemeinheit erbracht wird. Ohne jetzt auf die Landwirtschaft zu schimpfen, konnte man als Bürger doch teilweise den Eindruck haben, dass hier seitens der EU viel Geld gezahlt wurde, ohne dass es eine nennenswerte Gegenleistung im öffentlichen Interesse gab. Das hat sich mittlerweile geändert. Aber über lange Zeit waren ein Großteil der EU-Agrarfördergelder schlicht Transferleistungen – Flächenprämien, mit denen keine besonderen Auflagen oder Verpflichtungen zur Rücksichtnahme verbunden waren. In eine solche Situation darf die Forstwirtschaft nicht kommen.

Die Deutschen nehmen viel Anteil am Schicksal ihrer Wälder. Das zeigt auch der Erfolg von Autoren wie Peter Wohlleben, die eine naturnahe Waldbewirtschaftung fordern. Warum treten Sie mit dieser Gruppe nicht stärker in den Dialog, mit öffentlichen Diskussionsrunden, etwa im Rahmen Ihrer Tagung in Braunschweig? Sie sagen ja selbst, dass auch innerhalb der Forst-Community heiß debattiert wird.

Diese Konfrontation, die Sie beschreiben, kann man nur durch Dialog auflösen. Ich glaube auch, dass die Waldbesitzer und Forstbetriebe hierin gar nicht so schlecht sind. Die Angebote der Waldpädagogik oder die Walderlebnispfade sind nur zwei von vielen Beispielen, die gerade Niedersachsen zu bieten hat. Aber Sie haben recht: Wir müssen hier noch besser werden. Selbstverständlich haben die von Ihnen erwähnten Autoren ihren Erfolg nicht von ungefähr. Wir Forstleute haben noch Nachholbedarf darin, unsere Meinungsvielfalt darzustellen. Aber wissen Sie, was mich zuversichtlich stimmt? Wir haben im Forstverein einen erstaunlich massiven Zulauf an Nachwuchsmitgliedern. In den letzten Jahren sind rund 1000 junge Leute dazugekommen. Und die pflegen auch einen anderen Kommunikationsstil. Da sehe ich eine ganze Menge Ideen, Kraft und Schwung. Das wird ein echter Quantensprung. Den brauchen wir dringend.

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Inwieweit ticken diese jungen Forstleute anders als die Ihrer Generation?

Sie sind bereit, das große Spektrum an unterschiedlichen Interessen und Themen aufzunehmen, zu verarbeiten, Rückschlüsse daraus zu ziehen und auch in neuen Formen zu kommunizieren. Es ist das Privileg der Jugend, diese Dinge zu tun, und das ist gut so. Ich war früher auch einmal ein junger Wilder, aber jetzt bin ich ein alter Sack.

...der offenbar nicht abschreckend auf die Neumitglieder gewirkt hat.

Wenn Sie es sagen… (Schmunzelt)

Wie wird sich die deutsche Forstwirtschaft durch diese junge Generation verändern?

Ich glaube daran, dass es noch stärker in Richtung Kompensation von Ökosystemleistungen geht. Meine Überzeugung ist, dass die Wertschöpfung durch den Verkauf von Rohstoffen – und dazu zählt ja auch Holz – in einem hochindustrialisierten Land wie Deutschland immer schwieriger wird. Als Stärke unserer Wirtschaft hat sich zunehmend die Weiterverarbeitung und Veredelung von materiellen wie geistigen Dingen gezeigt. Schauen Sie sich dagegen die russische Wirtschaft an, die auf dem Export von Gas und Öl beruht! Leben kann man davon, aber Weltspitze wird man so nicht.

Natürlich haben auch unsere Mitarbeiter in der Forstwirtschaft Anspruch auf eine ordentliche Bezahlung, aber mit den Löhnen in vielen anderen Branchen können wir nicht mithalten. Hinzu kommt der tiefe Einschnitt durch die Schäden der letzten drei Dürrejahre. Die wirken wie ein Katalysator, der den Gesamtprozess beschleunigt. All das führt für mich zum Schluss: Die Forstwirtschaft in ihrer alten Gestalt allein als Rohstofflieferant wird nicht zurückkommen. Darauf stellen die jungen Leute sich ein.

Zur Person

Carsten Wilke war seit 2009 Präsident des Deutschen Forstvereins. 1960 in Gießen geboren, studierte er Forstwissenschaften in Göttingen und arbeitete anschließend in der Hessischen Landesforstverwaltung. Seit 2002 ist er Abteilungsleiter – zuständig für Forsten und Naturschutz – im Hessischen Umweltministerium.

Der Deutsche Forstverein (DFV) existiert seit 1899 und hat rund 6000 Mitglieder – überwiegend ausgebildete Forstleute, die in privaten und öffentlichen Forstbetrieben arbeiten. Den Kern der Arbeit des DFV bildet der fachliche Austausch unter Förstern.

Beim Forstvereinstag in Braunschweig ist Wilke nicht erneut zur Wiederwahl als Präsident angetreten. Zu seinem Nachfolger hat die Mitgliederversammlung des Vereins am Mittwoch Prof. Ulrich Schraml, den Direktor der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg, gewählt.