Braunschweig. Auf der Forstvereinstagung in Braunschweig diskutieren ab Mittwoch hunderte Forstleute über die künftige Nutzung unserer Wälder.

Wenn dieser Tage von einer „Zeitenwende“ die Rede ist, denken die meisten wohl nicht als erstes an die Deutsche Forstwirtschaft. Doch auch die Zunft der Forstleute sieht sich in einem massiven Umbruch. „Unsere Erwerbsgrundlage ist massiv eingeschränkt oder sogar ganz verschwunden“, erklärt Carsten Wilke, Präsident des Deutschen Forstvereins (DFV), bei einer Pressekonferenz in der Zentrale der Niedersächsischen Landesforsten in Braunschweig. Grund für die verzweifelte Lage der Branche ist der verheerende Zustand der deutschen Wälder. Wie kann die Forstwirtschaft trotz der Folgen von Klimawandel, Stürmen, Schädlingen aber auch einer teils verfehlter Bewirtschaftung in Zukunft noch einträglich sein? Diese Frage ist das Hauptthema der 70. Forstvereinstagung, zu der sich am heutigen Mittwoch bis zum Sonntag voraussichtlich über 800 Forstleute in Braunschweig einfinden.

Waldzustand – erschreckende Bilanz

Die Bestandsaufnahme ist erschreckend: Mehr als zehn Prozent der Waldfläche in Deutschland sei seit den aufeinander folgenden Dürrejahren ab 2018 abgestorben, berichtete Wilke. In Niedersachsen seien allein in den letzten drei Jahren weit über 50.000 Hektar Waldfläche betroffen, ergänzte Landesforsten-Präsident Klaus Merker. Die Waldböden sind ausgetrocknet, die Niederschläge reichen bei Weitem nicht aus, um den Wasserspeicher im Boden aufzutanken. Die Folge, nachzulesen in der aktuellen Waldzustandserhebung, ist eine erhebliche Kronenverlichtung. Mehr als jeder dritte Baum zeigte 2021 demnach deutliche Lücken in der Belaubung. Von den über 60 Jahre alten Bäumen, bei denen die Schäden besonders deutlich sind, hatten sogar 42 Prozent deutliche Verlichtungen. Das norddeutsche Flachland sei in besonderem Maße betroffen, sagte Wilke. „Von der unglaublichen Wucht dieser Ereignisse sind wir selbst überrascht.“

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Welchen Umgang mit dieser Krise diskutieren die Forstleute also? Schließlich lautet das Motto der Veranstaltung „Zeit für Innovation“. Einen Königsweg kann auch Wilke nicht erkennen. Der Forstvereinspräsident, der auch eine Abteilung des Hessischen Umweltministeriums leitet, sieht vor allem zwei Wege für die Forstwirtschaft, in Zukunft ein Einkommen zu sichern: Auf der einen Seite steht der „Umbau“ des Waldes, um auch künftig mit der Holzproduktion Geld verdienen zu können. Auf der anderen Seite steht eine Entlohnung der sogenannten Ökosystemleistungen des Waldes im Raum.

Forstvereinspräsident Carsten Wilke (links) und Dr. Klaus Merker, Präsident der Landesforsten, bei der Pressekonferenz zur Forstvereinstagung.
Forstvereinspräsident Carsten Wilke (links) und Dr. Klaus Merker, Präsident der Landesforsten, bei der Pressekonferenz zur Forstvereinstagung. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

„Die gesellschaftlichen Wünsche an die Wälder sind gestiegen“, erklärt Merker hierzu. Sowohl in puncto Natur- und Klimaschutz als auch beim Gewässerschutz und beim Thema Freizeitnutzung würden verstärkt „Erwartungen“ von außen an die Forstwirtschaft gerichtet. Damit verbunden stelle sich aber die Frage der Finanzierung. Für die wertvollen Beiträge, den der Wald zum Gemeinwohl leisten solle, fordere man eben auch eine „angemessene Honorierung“.

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Auch wenn es um Steuergeld geht – eine Subventionierung der Forstwirtschaft vermag Wilke in der geforderten Ausgleichszahlungen für eine weniger intensive Bewirtschaftung nicht zu erkennen. Zwar gibt er offen zu: „Diese Diskussion hat auch deshalb Fahrt aufgenommen, weil wir jetzt diese Notlage haben.“ Allerdings gehe es, anders als bei klassischen Subventionen, um einen echten Beitrag zum Gemeinwohl, der der Allgemeinheit auch etwas Wert sein müsse. Der Vorschlag geht also dahin, dass sich Waldbesitzer und Forstbetriebe den Schutz des Ökosystems Wald ein Stück weit abkaufen lassen.

Wilke: „Keine Denkverbote beim Waldumbau“

Beim Thema Waldumbau, forderte Forstvereinspräsident Wilke, dürfe es keine Denkverbote beim Einsatz von nicht-heimischen Baumarten geben. „Unseren heimischen Baumarten ist das heimische Klima abhanden gekommen“, sagte er. Die Forstbranche gehe mittlerweile von einem durchschnittlichen Temperaturanstieg um vier Grad Celsius bis zum Jahr 2080 aus. „Deshalb“, sagte er, „müssen wir auch die Anpflanzung nichtheimischer Baumarten prüfen, etwa Bäume aus wärmeren Klimaregionen“.

Umweltschützer dagegen setzen sich für eine naturnahe Bewirtschaftung der Wälder ein. In einem Positionspapier fordert etwa der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), auf neue Baumarten aus anderen Klimaregionen zu verzichten und keine großflächigen Holzernten mehr durchzuführen. Das Land müsse hier mit den Landesforsten, eine Vorbildfunktion einnehmen. Neben einem hohen Anteil an Laubbäumen sollten auch Alt- und Totholz in den Wäldern verbleiben, um von bedrohten Tierarten als Lebensraum genutzt zu werden. Durch Bejagung sollten junge Bäume vor Pflanzenbissen geschützt werden. In das Waldbauprogramm der Landesforsten „Löwe+“ sollten Anforderungen wie der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und der Aufbau strukturreicher Wälder ohne nicht-heimische Bäume aufgenommen werden.

Absage des Landesforsten-Chefs an Umweltverbände

Merker erteilte solchen Forderungen eine klare Absage. „Auf den Anbau nichtheimischer Arten zu verzichten oder diesen zu begrenzen, halte ich aus fachlicher Sicht für unangemessen“, sagte er. „Das wäre der Verzicht auf eine mögliche Lösung.“ Geht es nach dem Landesforsten-Chef, so sollen durch den Waldumbau „mehrstufige, gemischte Wälder mit verschiedenen Baumarten“ entstehen – „in ähnlicher Form, wie sie Friedrich Erdmann im späten 19. Jahrhundert entwickelt hat“. Erdmann, ein Förster, hatte ein Wirtschaftswaldbaukonzept für beinahe natürlich wachsende Mischwälder entworfen, wie es sie heute etwa im Landkreis Diepholz gibt. „Diese vitalen Mischwälder“, so Merker, sind unsere Hoffnungsträger“.

Auf die Frage, ob auch für die Forstwirtschaft mittelfristig eine Vereinbarung analog zum „Niedersächsischen Weg“ in der Landwirtschaft denkbar sei, äußerte sich Merker verhalten positiv: „Ein faires Miteinander sehe ich durchaus als zukunftsweisendes Modell.“ Eine entsprechende Vereinbarung sei aber vor allem eine Frage der Finanzierung. Beim „Niedersächsischen Weg“ einigten sich Landesregierung, Landwirtschaft und Naturschützer 2020 auf konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz.

Braunschweig – „Mekka der deutschen Forstwirtschaft“

Mit der Forstvereinstagung werde Braunschweig „für fünf Tage zum Mekka der Deutschen Forstwirtschaft“, blickte Wilke blumig auf die Tagung voraus. Auf dem Programm stehen zahlreiche Veranstaltungen, Fachseminare und Exkursionen. Während die meisten Formate dem angemeldeten Fachpublikum vorbehalten sind, will die Branche bei einem „Wald-Markt“ vorm Braunschweiger Rathaus auch mit der Öffentlichkeit in Dialog treten.

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Öffentliche Veranstaltungen der Forstvereinstagung

Wald-Science-Slam in der Volkswagen-Halle in Braunschweig, Do., 19. Mai, 20 Uhr

Waldmarkt auf dem Platz der Deutschen Einheit in Braunschweig, Freitag, 20. Mai, bis Sonntag, 22. Mai, jeweils von 10 bis 18 Uhr

Ökumenischer Dankgottesdienst im Braunschweiger Dom, Freitag, 20 Uhr

Der Eintritt zu den öffentlichen Veranstaltungen ist frei.