Braunschweig. Die Hürden für eine Verschreibung sind hoch. Beraterin sieht Nutzen für MS-Patienten. Oft werde denen aber unterstellt, nur kiffen zu wollen.

In unserem Porträt einer Braunschweigerin, die eine Cannabistherapie macht, berichtete diese über Schwierigkeiten, Ärzte zu finden, die die Substanz verschreiben. Offenbar ist die Patientin damit keine Ausnahme. Das bestätigt etwa Gudrun Beckner von der Braunschweiger Beratungsstelle der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft. Sie berichtet von mehreren ihr bekannten MS-Betroffenen in unserer Region, die gern Cannabis nehmen würden oder dies auch tun – aber halt illegal erworben. Ärzte sähen den Wunsch ihrer Patienten aber oft skeptisch.

Stimmt das? Der Braunschweiger Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Schneider-Rathert äußert sich jedenfalls sehr zurückhaltend. Zwar räumt er ein, eine Cannabis-Behandlung sei „in einzelnen Spezialfällen vielleicht sinnvoll“. Er selbst habe die Substanz aber noch nie verordnet. „Diese Therapie ist so selten indiziert, dass sie in die Hände von Spezialisten gehört.“

Anträge bedeuten hohen bürokratischen Aufwand

Blick in eine Produktionsanlage für medizinisches Cannabis im schleswig-holsteinischen Neumünster. Hoch gesichert und hinter dicken Stahlwänden simulieren LED-Lampen in acht Blühkammern Sonnenauf- und -untergänge bei idealen Wachstumsbedingungen.
Blick in eine Produktionsanlage für medizinisches Cannabis im schleswig-holsteinischen Neumünster. Hoch gesichert und hinter dicken Stahlwänden simulieren LED-Lampen in acht Blühkammern Sonnenauf- und -untergänge bei idealen Wachstumsbedingungen. © dpa | Christian Charisius

Ein anderer Braunschweiger Arzt berichtet im Hintergrundgespräch: „Die Zahl meiner Patienten, die gefragt haben, ob ich ihnen Cannabis verschreiben kann, ist überschaubar.“ Seiner Auffassung nach hätten die betreffenden alle den „durchsichtigen Hintergedanken“ gehabt, „bloß kiffen zu wollen“. Er habe allerdings auch eine Patientin, bei der er von selbst schon auf die Idee gekommen sei, dass eine Cannabistherapie ihr helfen könnte. Angesichts der bürokratischen Hürden einer solchen Therapie habe er diese bisher noch nicht vorgeschlagen – auch weil die Schmerzen der Frau bislang noch anders gelindert werden konnten. Cannabis-Therapien müssen bei der Krankenkasse beantragt und ausführlich begründet werden. Laut Gesetz steht Cannabis auf Rezept nur Schwerkranken offen. Zudem müssen andere therapeutische Möglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft sein.

„Dr. Joint“? Sorge ums ärztliche Renommée

Ein dritter Braunschweiger Arzt berichtet von seiner Sorge, durch das Verordnen von Cannabis dem eigenen Ruf zu schaden. „Wenn einer das verschreibt, macht das die Runde im Netz, und schon ist man berühmt – als Dr. Joint“, vermutet der Mediziner. Er wolle nicht, dass alle mit Interesse an medizinischem Cannabis, ob berechtigt oder nicht, ihm „dann die Bude einrennen“.

Lesen Sie auch:

Die MS-Beraterin Beckner sieht diese Ablehnung vor allem aus dem Blickwinkel ihrer Klienten – und durchaus kritisch. „Den PatientInnen wird unterstellt, einfach nur kiffen zu wollen“, berichtet sie. „Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der oberflächlich betrachtet genau in dieses Klischee passte. Tatsächlich half ihm der Joint, die Spastik in seinem Körper zu lösen – besser als ein Medikament.“ Statt auf dem Schwarzmarkt wolle der Mann die Substanz lieber legal, in sauberer und geprüfter Form erwerben. „Für meine KlientInnen sehe ich einen großen Nutzen im Einsatz von Cannabis zur medizinischen Therapie“, sagt sie. „Leider ist es sehr schwierig, es verschrieben zu bekommen.“

Lesen Sie auch: SPD-Mann Pantazis: Cannabis längst in Mitte der Gesellschaft