Dietmar Schilff, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, hat eine klare Meinung zu den Kritikern an den Corona-Maßnahmen.

Seit Wochen leben wir in einem weltweiten Ausnahmezustand. Noch nie hatten wir eine Situation, in der solche Einschränkungen in unserer freien Gesellschaft verordnet werden mussten. Absoluten Vorrang hat das Leben und die körperliche Unversehrtheit überlagert von der Würde des Menschen. Und niemand, mit dem ich gesprochen habe, möchte die Entscheidungen der Politik derzeit übernehmen. Alles, was in dieser für uns alle absolut neuen Situation entschieden wird, sind Risikoentscheidungen.

Dietmar Schilff von der GdP Niedersachsen.
Dietmar Schilff von der GdP Niedersachsen. © Susanne Hübner, Susanne Huebner /Fotoagentur Hübner

Ich bin seit dem „Lockdown“ als Vertreter der Gewerkschaft der Polizei – auch über den DGB – in Gesprächen mit der Politik auf Bundes- und Landebene eingebunden und kann sagen, dass wir umfassend beteiligt werden, man unsere Argumente ernst nimmt und sich daraus auch etliche Veränderungen und Verbesserungen für die Menschen ergeben haben. Und das parteiübergreifend, denn immerhin sind neben der Großen Koalition im Bund fast alle Parteien (CDU/SPD/Grüne/Linke/FDP) auch in Landesregierungen vertreten. Und auch in den Kommunalparlamenten sitzen verantwortungsvolle Menschen, die zwar nicht alles über die Pandemie wissen können, aber die alles versuchen, um Schaden abzuwenden und Menschen in Not zu unterstützen. Ihnen seitens diktatorisches Handeln zu unterstellen ist unseriös, unsachlich und populistisch.

Oberste Priorität hat die Sicherheit der Menschen, sei es im Gesundheits- und Arbeitsschutz, in den Familien, im Bereich der Arbeit sowie auch bei der Inneren Sicherheit. Die nun auftretenden Widerständler gegen die Corona-Maßnahmen haben den Ernst der Lage offensichtlich nicht erkannt. Jeder hat irgendwann von den einschränkenden Maßnahmen genug, das ist menschlich und natürlich. Aber die getätigten Vorwürfe von Populisten und Verschwörern wie der „Bewegung Widerstand 2020“ sind vorsätzlich irreführend und gefährlich.

Wahrscheinlich würden diese Menschen auch einmal mehr nachdenken, wenn in ihrem unmittelbaren Umfeld Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte zu Schaden gekommen wären. Wie müssen Angehörige denken und fühlen, die gerade einen geliebten Menschen im engsten Kreis beisetzen mussten, wenn sie die unseriösen Forderungen der selbsternannten „Widerständler 2020“ hören. Und dann treten auch noch Personen in der Öffentlichkeit auf, die ihre kruden Auffassungen mit ihrer aktuellen oder ehemaligen beruflichen Tätigkeit verbinden.

Seit dem sogenannten „Lockdown“ hat neben vielen wichtigen Bereichen insbesondere auch die öffentliche Verwaltung und die Polizei eine systemrelevante Aufgabe. In den letzten Jahren wurde beim öffentliche Dienst und somit auch bei der Polizei bundesweit massiv eingespart, Personal abgebaut, die digitale Infrastruktur vernachlässigt und Investitionen zum Beispiel in marode Liegenschaften auf die lange Bank geschoben oder überhaupt nicht durchgeführt. Von einigen wurde der notwendige öffentliche Bereich auch als unflexibler „Apparat“ und als völlig überbezahlt dargestellt. Schon während der Bankenkrise, aber auch aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr von islamistischen Terrorgruppen, der Flüchtlingssituation 2015/2016 und nun aktuell in der Corona-Krise wird klar, dass ein gut aufgestellter öffentlicher Bereich notwendig ist, um das Gemeinwohl, die Bildung, ein gutes Gesundheitssystem, die öffentliche Daseinsvorsorge und die Innere Sicherheit zu gewährleisten. Das muss die Politik für die Bewertung nach Corona mit bedenken.

Für meine Kolleginnen und Kollegen in der Polizei ist die derzeitige Zeit wieder mal eine schwierige, da neben der originären Polizeiarbeit auch die von der Politik vorgegebenen Verordnungen überwacht werden müssen. Und es sollte auch den „Widerständlern 2020“ klar sein, würde die Polizei die Einschränkungen nicht überwachen, dann wären die Maßnahmen nicht so erfolgreich gewesen, um die Infektionszahlen zu reduzieren.

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Die Innenminister und -senatoren, die Landespolizeien und auch die Bundespolizei versuchen in Absprache mit den Gewerkschaften sowie den Betriebs- und Personalvertretungen, alles zu organisieren, damit die Einsatzfähigkeit der Polizei bestehen bleibt und die Beschäftigten sich nicht infizieren. Das ist nicht einfach, war es anfangs doch sehr schwierig, Schutzmateriealien zu erhalten. Die Polizeikräfte sind im täglichen Dienst ständig einer Infizierungsgefahr ausgesetzt, denn ein besonderer Sicherheitsabstand ist bei ihrer Arbeit nicht immer einzuhalten. Zum Glück ist die Infiziertenzahl bei der Polizei derzeit gering, so dass die polizeiliche Arbeit grundsätzlich funktioniert, auch aufgrund der hohen Einsatzbereitschaft der Menschen in der Polizei.

Absolut inakzeptabel ist das Vorgehen gegen die Polizei, die getätigten Angriffe sowie die digitalen Hasstiraden von den „Widerständlern 2020“ und anderer Klientel. Die Bilder und Informationen aus Berlin, Stuttgart und aus andern Städten, wo Polizisten/-innen vorsätzlich angehustet, angespuckt, beleidigt oder wieder einmal tätlich angegriffen worden sowie die im Netz verbreiteten Aufrufe zum Anspucken, um dadurch Polizeibeschäftigte zu infizieren und die geäußerten Verschwörungstheorien, sind Aufrufe zu Straftaten, gemeingefährlich und demokratiezerstörend. Ebenso wie auch Angriffe auf Medienvertreter absolut inakzeptabel sind.

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Solidarität und gesellschaftliches Engagement sowie Zurückhaltung und Seriosität sind weiterhin erforderlich. Daher zum Schluss mein Appell, sich sachlich und konstruktiv mit den bestehenden Problemen zu befassen und denjenigen, die sich nun als vermeintliche Demokratieretter aufspielen, nicht auf dem Leim zu gehen. Und mein Dank, auch im Namen der anderen Gewerkschaften, richtet sich an diejenigen, die trotz der psychischen Belastungen mithelfen, die Infektionen auf einem geringen Niveau zu halten und an alle in einem Ehrenamt oder einem Hauptamt Tätigen, die sich im Sinne unseres Gemeinwohls, unseres Zusammenlebens und unserer Demokratie engagieren. Bleiben Sie gesund!

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