Braunschweig. Die Corona-Krise hat auch die Abläufe in den Arztpraxen verändert. Eine Allgemeinmedizinerin aus Groß Ilsede erklärt, was jetzt zu beachten ist.

Die niedergelassenen Ärzte in Deutschland haben sich nach den Worten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als „erster Schutzwall“ gegen die Corona-Epidemie bewährt. Sechs von sieben Patienten, die Covid 19 haben, würden von niedergelassenen Ärzten behandelt. Das stellt diese vor ganz besondere Herausforderungen: Sie müssen sich nicht nur um Infizierte kümmern, sondern auch die Regelversorgung aufrecht erhalten.

Wie das gelingt und warum auch Patienten mit anderen dringenden Gesundheitsbeschwerden trotz der Corona-Krise weiterhin eine Arztpraxis aufzusuchen sollten, erklärt Marion Renneberg im Interview. Die Allgemeinmedizinerin mit einer Praxis in Groß Ilsede ist unter anderem Vertreterin des Hausärzteverbandes im Kreis Peine und Vizepräsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.

Frau Renneberg, wie sieht derzeit der Alltag in Ihrer Praxis aus?

Die Wartezimmer sind nicht mehr so voll wie noch vor einigen Wochen. Das liegt zum einen daran, dass wir die Abläufe in der Praxis umgestellt haben, um das Risiko von Ansteckungen zu minimieren. Zum anderen meiden viele Patienten aus Angst vor einer Infektion den Besuch beim Arzt. Doch die Arbeit ist nicht weniger geworden: Wir haben die Videosprechstunden ausgebaut und beraten viel am Telefon. Auch müssen wir zuweilen improvisieren: Täglich lernen wir etwas über die Erkrankung Covid-19 hinzu. Das ist eine große Herausforderung.

Hausärzte hatten sich vor einigen Wochen mit einem dramatischen Appell an die Politik und Öffentlichkeit gewandt, dass Schutzkleidung fehlt. Hat sich die Lage inzwischen etwas entspannt?

Tatsächlich hat vor einigen Wochen noch jede Praxis verzweifelt versucht, an Schutzkleidung zu kommen. Es ging ja nicht nur darum, Ärzte vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, sondern auch die Praxismitarbeiter und die Patienten. Inzwischen scheinen die Praxen weitgehend versorgt zu sein, wenngleich es weiterhin einen enormen Mangel an Schutzmasken, aber auch an Desinfektionsmitteln und Schutzkitteln gibt. Nach Nähanleitungen für Gesichtsmasken werden deshalb nun auch Anleitungen für das Nähen von Schutzkleidung verschickt. Auch wenn die Lage derzeit nicht mehr so angespannt ist: Wir wissen nicht, wie sie sich in einigen Wochen entwickelt und müssen gewappnet sein.

Wolfsburg hat eine Maskenpflicht eingeführt, Braunschweig folgt ab Samstag. Niedersachsen will ab Montag mit einer landesweiten Regelung nachziehen. Verschärft die Pflicht nicht den Mangel an Schutzmasken im medizinischen oder pflegerischen Bereich?

In der Öffentlichkeit reicht es ja vorerst aus, wenn man einen Behelfsmaske trägt. Diese kann sich jeder nach Anleitung selber nähen oder es gibt inzwischen auch schon überall die Möglichkeit, genähte Masken zu erwerben. Wer sich diesen Schutz vor das Gesicht zieht, leistet einen kleinen Beitrag gegen die Ausbreitung des Corona-Virus, da so Flüssigkeitströpfchen abgehalten werden, die beim Niesen, Husten, Sprechen und Atmen entstehen.

Auch wir bitten unsere Patienten, nur mit Atemschutz in die Praxis zu kommen. Die besonderen FFP2- und FFP3-Masken, die weitreichender vor einer Infektion schützen, sind dagegen nach wie vor Mangelware und sollten nur medizinischem Personal oder Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stehen.

Ärzte riskieren mit ihrem Einsatz, auch sich selbst mit dem Coronavirus zu infizieren. Werden Sie inzwischen regelmäßig getestet?

Das Virus ist tückisch. Man kann einige Tage keine Krankheitsanzeichen haben, es aber trotzdem übertragen. Wenn ein Test heute negativ ausfällt, wiegt einen das deshalb noch nicht in Sicherheit – in zwei Tagen könnte das Ergebnis ganz anders aussehen. Man müsste also regelmäßig in kürzeren Abständen testen, um Gewissheit zu haben. Das wäre zwar wünschenswert, aber dafür fehlen derzeit schlichtweg noch die Kapazitäten.

Viele Patienten sind verunsichert: Sollen sie Arzttermine lieber verschieben? Oder dürfen sie jetzt wieder eine Praxis aufsuchen?

Im Februar und März traten saisonbedingt viele Infekte auf. Die Praxen waren voll und wir haben verzweifelt versucht Kontakpersonen sowie Personen, die sich in Risikogebieten mit Corona-Infektionen aufgehalten haben, herauszufiltern. Damit wir uns auf die Situation einstellen können, haben wir Patienten geraten, etwa Routineuntersuchungen zu verschieben. Hinzu kommt, dass Patienten aus Angst vor einer Infektion Termine abgesagt haben. Das hat dazu geführt, dass es ruhiger geworden ist in den Praxen und sich die Abläufe einspielen konnten. Inzwischen ist auch die Möglichkeit von Online-Sprechstunden erheblich ausgebaut worden, so dass viele Behandlungen und Beratungen jetzt über diesen Weg laufen können.

Mit welchen Beschwerden dürfen Patienten denn jetzt noch zum Arzt?

Patienten mit akuten und ernsthaften Gesundheitsbeschwerden oder wichtigen Vorsorge- und Impfterminen sollten nicht zögern, eine Arztpraxis aufzusuchen. Wer zu lange wartet, riskiert irreversible Schäden. Wer Blutverdünner nimmt, an Bluthochdruck oder Diabetes leidet, muss zum Beispiel weiterhin betreut werden.

Auch bei starken Schmerzen sollte man zu seinem Arzt gehen. Am besten ist es nach wie vor, sich telefonisch in der Hausarztpraxis zu melden – oder sich außerhalb der Sprechzeiten an die einheitliche Rufnummer des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 zu wenden. Grundsätzlich gilt: Immer wenn der Patient in Not ist, sollte er lieber einmal zu viel anrufen und mit dem Arzt seines Vertrauens sprechen. Viele Arztpraxen haben Vorkehrungen getroffen, um Patienten mit Atemwegsinfektionen von den anderen Patienten zu trennen.

Fühlen Sie sich als Ärztin ausreichend von der Politik unterstützt?

Das Krisenmanagement der Regierungen ist in Ordnung – auch wenn ich es persönlich befürwortet hätte, mit den Lockerungen noch etwas zu warten. Jetzt können wir nur immer wieder an die Vernunft der Menschen appellieren, sich an die Auflagen zu halten: Soziale Kontakte zu reduzieren, die Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten und in der Öffentlichkeit einen Atemschutz zu tragen, wenn mehrere Menschen auf engerem Raum zusammenkommen. Nur so können wir Zeit gewinnen und eine zu schnelle Ausbreitung des Coronavirus verhindern – bis wir wirksame Medikamente oder sogar eine Impfung gegen das Virus haben.