Braunschweig. Für Familie Schindler lohnt sich der Anbau von Kartoffeln. Andere Landwirte kämpfen zunehmend mit Problemen. Experte fordert Vielfalt auf Äckern.

Anderorts sind die Landwirte noch dabei. Schindlers in Rolfsbüttel sind schon fertig mit dem Kartoffeln-Legen. Auf einer Fläche von rund vier Hektar baut die Familie dieses Jahr die nahr- und schmackhaften Knollen an: die gelbfleischige Linda, die rote Laura, die mehlige Granola, außerdem Cilena, Belana, Hansa und „Omas Goldstücke“. „Letztere gibt’s nur bei uns“, erklärt Sven Holste, der zusammen mit seiner Frau Tina den Schindlerschen Familienbetrieb in vierter Generation führt. „In Wirklichkeit verbirgt sich hinter den Goldstücken eine ältere Sorte. Aber welche genau, das ist unser Betriebsgeheimnis.“ Ihre Kartoffeln verkauft die Familie jede Woche auf den Braunschweiger Wochenmärkten – zusammen mit anderem Gemüse aus eigener Produktion. Bald auch wieder Spargel.

Leichte, sandige Böden sind ideal

Die Böden um das 300-Seelen-Dorf im südlichen Landkreis Gifhorn sind größtenteils idealer Kartoffelacker. „Hier in Rolfsbüttel haben wir dunkle Sandböden“, erklärt Holste. „In Richtung unseres Nachbarorts Didderse werden die Böden noch leichter.“ Vorzugsweise hier baut die Familie ihre Kartoffeln an. „Je leichter der Boden, desto weniger Arbeit hat man später beim Roden und desto weniger Probleme hat man mit Erdklumpen.“

Gleiches gilt für das Legen der Kartoffeln. Dass es in den vergangenen Wochen wenig geregnet hat, ist ihm hierbei zugute gekommen. Schindlers nutzen dafür ihre alte Kartoffellegemaschine der Firma Cramer – Baujahr 1957. Während Vater Sven auf dem Bock den Trecker über den Acker steuert, steht seine Tochter Lena (11) hinten auf der Maschine. Diese hat zwei große Behälter, die mit den Saatkartoffeln befüllt werden. An sich legt der Oldtimer die Kartoffeln selbsttätig in regelmäßigem Abstand in die zuvor geöffnete Ackerfurche. Fehlt aber doch mal eine Knolle im Takt, legt Lena von oben per Hand nach: Lücke geschlossen. Jeder Quadratmeter Acker wird so ausgenutzt. „Wir sind eben sparsam“, sagt ihr Vater.

Experte: Probleme im Norden der Region nehmen zu

Fragt man den Kartoffelexperten Jan Priesmeier, dann wird der Kartoffelanbau im Norden unserer Region – auch Rolfsbüttel gehört dazu – nicht einfacher. Der Agrarwissenschaftler ist Pflanzenbauberater bei der Landwirtschaftskammer im Bezirk Braunschweig. In Seesen am Harzrand betreibt der 32-Jährige einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb. Fast bescheiden sagt er: „Kartoffeln sind mein Steckenpferd.“

Zwar könnten die Bauern in den „kartoffellastigen Gebieten“ der Landkreise Gifhorn und Peine nach wie vor gut Kartoffeln produzieren, aber die Probleme nähmen zu, so Priesmeier. Ihm zufolge hat das verschiedene Ursachen: Zum einen werde die Palette der erlaubten Spritzmittel gegen Kartoffelkrankheiten, Schädlinge und Unkräuter immer kleiner. „Zum Schutz der Umwelt werden da einige Mittel abgeschossen, die wir eigentlich brauchen.“ Manche Probleme seien aber auch hausgemacht: „Im Gifhorner Raum etwa gibt es Flächen, auf denen extrem intensiv Kartoffeln angebaut werden“, sagt er. „Durch eine solche einseitige Nutzung hat man Krankheitserregern und Schädlingen, die auf Kartoffel spezialisiert sind, in die Hände gespielt.“ Um auf solchen Flächen weiter Kartoffeln anzubauen, müssten die Landwirte auf besondere, resistente Sorten zurückgreifen.

Experte: Die Fruchtfolge muss deutlich breiter werden

Noch wichtiger ist aus seiner Sicht aber, die Vielfalt auf den Äckern zu erhöhen. „Die Fruchtfolge muss deutlich breiter werden“, betont Priesmeier, „sonst wird uns der absehbare Wegfall vieler Pflanzenschutzmittel irgendwann schmerzlich einholen.“ Entscheidend sei es, zwischendurch andere Kulturen anzubauen, denkbar seien etwa Lupinen oder Soja. Um eine solche größere Vielfalt zu etablieren, brauche es aber auch Abnehmer und auskömmliche Preise für die dadurch erzeugten Produkte.

Auch bei seinen Landwirtskollegen versucht Priesmeier, Überzeugungsarbeit zu leisten. „Es wird meines Erachtens immer noch zu sehr auf den Ertrag geschaut“, bedauert er. Zwar kämen die industriellen Abnehmer in der Pommes- oder Chipsproduktion gut mit dem derzeitigen Modell zurecht, die Leidtragenden auf lange Sicht seien aber die Landwirte. Er wünscht sich mehr Offenheit: „Ich persönlich finde, wenn eine Sorte 10 oder 20 Prozent weniger Ertrag bringt, aber dafür deutlich besser schmeckt, ist das ein Gewinn.“ Leider hätten das noch nicht alle verstanden.

Goslar und Wolfenbüttel bei Saatguterzeugung „gut unterwegs“

Um die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheitserregern im Kartoffelanbau zu bremsen, kommt es auch auf „sauberes“ Saatgut an, also Pflanzkartoffeln, die frei sind von Viren und anderen Erregern. Deren Erzeugung werde in den „klassischen Kartoffelgegenden“ immer schwieriger, sagt Priesmeier. Deswegen tue sich nun einiges im fruchtbaren Süden unserer Region – dort wo traditionell Weizen und Zuckerrüben die „Cashcrops“ sind. „Auf vielen Böden dort standen jahrzehntelang keine Kartoffeln, deswegen gibt es die Probleme dort längst nicht im Maße wie im Norden“, erklärt er. Daher seien die Gegenden um Wolfenbüttel und Goslar mittlerweile „bei der Pflanzguterzeugung gut unterwegs“.

Auch Sven Holste betont die Bedeutung von „sauberem“ Saatgut. Aber das Legen der Kartoffeln ist für ihn freilich erst der Anfang. In 14 Tagen wird er die kleinen Dämme, unter denen die Saatkartoffeln auf dem Acker schlummern, mit einer anderen Maschine nachziehen und in Form bringen. „Es ist wichtig, dass die Dämme breit genug sind, damit die Kartoffeln später, wenn sie wachsen, nicht herausgucken“, erklärt er. Kämen sie an die Erdoberfläche und wären dem Sonnenlicht ausgesetzt, würden sie grün und damit unbrauchbar.

Außerdem hofft er auf Regen. Rolfsbüttel liegt nicht in einem Beregnungsgebiet. Das heißt, Schindlers sind komplett auf natürliche Niederschläge angewiesen. „Die letzten beiden Jahre mit ihren Dürresommern haben echt wehgetan“, sagt Holste. Zum Düngen nutzt der Familienbetrieb das, was bei der eigenen Haltung von Hühnern, Enten, Gänsen und Schweinen anfällt. Von einem anderen Landwirt im Dorf erhält er zudem Kuhmist. Auch über Mineraldünger führt Holste den Pflanzen Nährstoffe zu. Entscheidend sei das richtige Maß, sagt er. „Das finden wir heraus, indem wir uns regelmäßig Bodenproben angucken.“

Auch das Spritzen ist ein Thema. Holste zögert zunächst, darüber zu sprechen. „Nicht weil ich etwas zu verbergen hätte“, erklärt er. Aber er habe den Eindruck, dass manchen Verbrauchern jedes Verständnis für den Einsatz von Pflanzenschutz fehle. Dabei sei den meisten von ihnen wohl nicht einmal klar, dass es auch biologische Spritzmittel gebe, die in wenigen Tagen vollständig abgebaut würden. Soweit irgend möglich, setze er auf solche Mittel, um seine Pflanzen zu schützen.

Holste spritzt nach Bedarf, nicht vorbeugend

Da die Schindlers relativ überschaubare „Schläge“ bewirtschaften, können sie ihre Bestände gut im Blick behalten. In der Folge müssen sie, anders als Betriebe mit großen Flächen, nicht vorbeugend spritzen, sondern tun dies nach Bedarf. Der Hauptfeind sei die von Pilzen verursachte Krautfäule, so Holste. „Und wenn ein Befall da ist, muss ich etwas tun.“ Und das sei nun mal alle paar Wochen der Fall. Auch Kartoffelkäfern rückt Holste durch Spritzen zu Leibe. „Die Zeiten, in denen die Schulkinder auf den Acker geschickt wurden, um Kartoffelkäfer abzusammeln, sind nun mal vorbei.“ Gegen Unkräuter setzt er vor allem auf „eisenhaltige Mittel“, wie er scherzhaft sagt: Gemeint ist die gute, alte Hacke.

Die Kartoffelernte beginnt bei Schindlers Ende Mai. Im Vergleich zu anderen Landwirten, die Plastikfolie über ihre Äcker spannen, um früher zu ernten, ist das spät. „Alle wollen die ersten sein“, sagt Holste. Je früher die Kartoffeln, desto höher die Preise, die sie erzielen. Holste hat aber wenig Ehrgeiz, an diesem Wettlauf teilzunehmen – auch weil er es umweltfreundlicher findet, auf Kunststoff zu verzichten. „Dafür sind wir dann halt eben zwei bis drei Wochen später dran.“

Holste: So naturnah wie möglich produzieren

Holste verzichtet auch auf das „Totspritzen“ der überirdischen Kartoffelpflanze mit chemischen Mitteln. Damit die Kartoffeln im Boden eine feste Schale entwickeln, die sie später vor Verletzungen schützt, muss die oberirdische Pflanze allerdings abgestorben sein. Schindlers erreichen das auf die alte Art – durch „Abflegeln“, also Häckseln des Grüns. 14 Tage später sind die Knollen „schalenfest“ und können gerodet werden. Die letzten holen Schindlers Ende Oktober aus der Erde, um sie dann – „unbehandelt und lebendig“ – im klimatisierten Kartoffelraum zu lagern.

„Wir versuchen, so naturnah wie möglich zu arbeiten“, betont Holste überzeugt. Warum er nicht auf „bio“ umstelle? „Um dafür die Anforderungen zu erfüllen, wäre der Aufwand für uns zu hoch“, erklärt er. Etwa wäre es ihm dann nicht länger möglich, mit anderen konventionell wirtschaftenden Bauern in Rolfsbüttel jahrweise die Äcker zu tauschen. Um das Gütesiegel „bio“ zu erhalten, ginge das nur im Zusammenspiel mit Biobauern.

Für Holste funktioniert es auch so. Da er all seine Kartoffeln selbst auf dem Markt verkauft, ist er immer in Kontakt mit seinen Kunden, denen er gern erklärt, wie er produziert. Geht es nach ihm, dann kommt es beim Kartoffelanbau vor allem auf das Fingerspitzengefühl an. Bei allem, was er tue, sagt er, gehe es ihm letztlich immer auch um den Geschmack.