Braunschweig. Gülle aus Niedersachsens Vieh-Hotspots kommt kaum auf die Äcker der Region. Doch auch hier gibt es zuviel Nitrat im Grundwasser.

Das Viehfutter wird auf dem eigenen Acker angebaut. Der Mist der eigenen Tiere wandert aus dem Stall als Dünger zurück aufs Feld: Zumindest theoretisch bewegen sich die in der Landwirtschaft benötigten Nährstoffe in einem perfekten, geschlossenen Kreis. „In Gemischtbetrieben mit Viehhaltung und Ackerbau sind solche kleinräumigen Kreisläufe eine tolle Sache“, erklärt Michael Welling, Sprecher des Thünen-Instituts in Braunschweig, einer Forschungseinrichtung für ländliche Räume des Bundes. Er weiß von mehreren Höfen in der Region zu berichten, die solche Kreisläufe in die Tat umsetzen. Dennoch: Niedersachsen, Agrarland Nummer eins, ist von diesem Idealzustand als Ganzes weit entfernt. Offenkundige Beweise dafür sind die Belastung des Grundwassers mit Nitrat und die massiven Gülle-Überschüsse in den Landesregionen mit starker Viehhaltung.

Dass die überhöhten Nitratwerte mit dem Ausbringen von Dünger zu tun haben, daran besteht kein Zweifel. Zwar belasten auch Industrie und Verkehr das Wasser, jedoch bestreiten auch Vertreter der Landwirtschaft nicht die besondere Verantwortlichkeit ihrer Branche. Linda Tendler, Agrarwissenschaftlerin und Düngeberaterin in der Braunschweiger Bezirksstelle der Landwirtschaftskammer (LWK), betont: „Zwar gibt es im Einzelnen verschiedene Gründe für Grenzwertüberschreitungen. Aber beim Großteil rühren sie von den jahrzehntelangen Austrägen der Landwirtschaft – das ist Fakt.“

An welchen Orten die Nitratwerte im Grundwasser problematisch sind, geht aus den „roten“ nitratsensiblen Gebieten hervor, die das Land Niedersachsen ausweist. 39 Prozent der Landesfläche fallen darunter. Hier wird der kritische Wert von 50 Milligramm pro Liter Wasser überschritten. Als sensibel gelten auch bereits Werte ab 37,5 Milligramm Nitrat – wenn die Tendenz steigt. Die EU-Kommission hat Deutschland deshalb Druck gemacht, seine Landwirte zu verpflichten, in den „roten“ Febieten mit 80 Prozent des errechneten Düngerbedarfs auszukommen. Ein Fünftel weniger als bisher: Viele Betriebe fürchten deshalb entsprechende Ertragseinbußen.

Das Land misst Nitratwerte an 1085 Messstationen

Die 1085 Stationen, an denen die Werte gemessen werden, sind in Landeshand. „Dieses Netz gibt einen Überblick über die Beschaffenheit des Grundwassers und ist repräsentativ für die Flächennutzung“, heißt es dazu aus dem Umweltministerium in Hannover. Dagegen kritisieren Bauernvertreter, etwa auf den Demos der Gruppierung „Land schafft Verbindung“, das Messnetz sei zu grob. Die Messwerte – und damit, ob man als als Landwirt in einem „roten Gebiet“ lande – habe man nicht immer in der Hand, sagt auch Tendler. Es gebe „da teils sehr kuriose Einzelfälle“. Dennoch vertraut sie grundsätzlich der Kompetenz des messenden Landesbetriebes. „Das Problem der Grundwasserbelastung ist nun mal real. Und die Verantwortung der Landwirtschaft ist da.“

„Rote“ Gebiete: Die Karte unserer Region zeigt, wo der Nitratgehalt des Grundwasser über 50 Milligramm pro Liter liegt. Hauptursache der überhöhten Werte ist das Ausbringen von Dünger.
„Rote“ Gebiete: Die Karte unserer Region zeigt, wo der Nitratgehalt des Grundwasser über 50 Milligramm pro Liter liegt. Hauptursache der überhöhten Werte ist das Ausbringen von Dünger. © Landentwicklung und Agraförderung Niedersachsen | Landentwicklung und Agraförderung Niedersachsen

Keineswegs nur in den Gegenden mit intensiver Tierhaltung, sondern auch zwischen Harz und Heide gibt es „rote“ Gebiete. Hier arbeiten die Ackerbauern weniger mit „Wirtschaftsdünger“ – also Gärresten aus Biogasanlagen, Gülle und Mist aus der Tierhaltung – als mit industriell produziertem Stickstoff- oder Phosphat-Mineraldünger. „Der Zukauf von Mineraldünger wird auf kommunaler Ebene nicht erfasst, deswegen gibt es hier gewisse Unschärfen“, sagt Tendler. Sie schätzt das Verhältnis ad hoc auf drei zu eins. Dennoch setzen viele Betriebe auch Wirtschaftsdünger ein – bisher vor allem solchen, der regional anfällt.

Für die Belastung des Wassers ist es unerheblich, ob diese durch organischen oder mineralischen Dünger zustande kommt. Entscheidend, so Tendler, ist das Maß – und wieviel von den Nährstoffen die Pflanzen aufnehmen. Zwar sei die Düngewirkung von Gärresten, Güllen oder Mist schwerer kontrollierbar, jedoch sei auch beim Kunstdünger nicht immer zu steuern, wie viel Nährstoff in der Pflanze lande und wie viel im Grundwasser. Etwa hänge dies sehr stark von den Niederschlägen ab.

Nitrat-Überschreitungen in Gifhorn und Braunschweig

Die meisten Überschreitungen des Nitrat-Schwellenwerts in unserer Region wurden in den Landkreisen Gifhorn und Peine sowie in den kreisfreien Städten Salzgitter, Wolfsburg und Braunschweig festgestellt. Diese Verteilung der „roten“ Bereiche erklärt das Landesumweltministerium vor allem geologisch: Die kompakteren Böden im Süden hielten die Nährstoffe des Düngers besser zurück. Im Norden dagegen sind die Böden leichter und sandiger. Dadurch könne der Dünger hier schneller vom Regen „ausgewaschen“ werden und ins Grundwasser gelangen. Deshalb ist die Nitratbelastung des Grundwassers im nördlichen Bereich unserer Region tendenziell höher.

Noch immer wird mehr gedüngt als nötig. „Auch in der Region haben wir aktuell noch Stickstoffüberschüsse“, erklärt LWK-Expertin Linda Tendler. Sie geht aber davon aus, dass das Einsparpotenzial hier mittlerweile unterhalb von zehn Prozent liegt. „Die Landwirte haben das Ziel, bedarfsgerecht zu düngen“, ist sich Thünen-Sprecher Welling sicher. „Sie haben aber auch Angst, dass nicht genug Nährstoffe bei den Pflanzen ankommen.“ Daher, und weil die Düngerkosten relativ gering seien, handelten viele nach dem Motto: „Ich dünge lieber etwas mehr als zu wenig.“ Tendler hält dagegen: Der Preis für Kunstdünger bewege sich zwischen 60 Cent und einem Euro pro Kilo verfügbaren Stickstoffs. „Da kommen schnell 160 Euro pro Hektar zusammen. Das fällt ins Gewicht.“

Eiweißgehalt im Weizenkorn entscheidet über den Marktpreis

Besonders problematisch laut dem Umweltverband BUND ist die sogenannte „Spätgabe“ beim Weizen. Dessen Anbau spielt vor allem in der südlichen Hälfte unserer Region eine wichtige Rolle. Damit die Landwirte den besten Preis für ihren Weizen, müssen die Körner einen hohen Eiweißgehalt haben. Um den zu erzielen, bringen sie, wenn sich die Ähren bilden, eine Extraportion Stickstoffdünger aus. „Das Problem“, erklärt der stellvertretende BUND-Landesgeschäftsführer Tilman Uhlenhaut: „Nur etwa die Hälfte davon wird von der Pflanze überhaupt verarbeitet.“

Aus seiner Sicht ist die „Spätgabe“ beim Weizen „unsinnig“. Schließlich wisse man längst, dass „das Rohprotein, das durch die späte Düngung noch in die Pflanze hineingedrückt wird“, für die Backqualität gar nicht entscheidend ist. Dennoch orientiert sich der Getreidemarkt am Eiweißgehalt. „Diese Logik müssen wir unbedingt durchbrechen“, fordert er, „damit die Landwirte nicht mehr zu diesem Düngeverhalten gezwungen sind“. Auch aus Tendlers Sicht wäre es wünschenswert, dem „Dogma der Vergütung nach Eiweißgehalt“ abzuschwören. „Irgendeinen Indikator für Qualität, etwa die Backeigenschaften des Mehls, braucht es aber“, sagt sie und verweist auf Pilotprojekte in anderen Regionen, bei denen Mühlen die Lieferanten nach alternativen, gemeinsam festgelegten Kriterien bezahlten. „Solange die alten Qualitätsstufen aber weiter gelten, könnten strengere Dünge­regeln für die Weizenanbauer echte Nachteile bedeuten“, so Tendler. „Die Befürchtung ist, dass die Qualität der Erzeugnisse zurückgeht. Und der Weltmarkt setzt viele Landwirte unter Druck.“

Sorgen um schwindende Erträge teilt Umweltschützer Uhlenhaut nicht. Aus seiner Sicht werden die möglichen wirtschaftlichen Folgen in der Öffentlichkeit oft übertrieben. „Es ist keineswegs so, dass die Pflanzen verhungern, wenn sie unter dem errechneten Bedarf gedüngt werden“, sagt er und beruft sich auf eine Vorlage des Bundesministeriums für Landwirtschaft. Laut dem Papier führt eine Verringerung um 20 Prozent lediglich zu Ernteeinbußen von 3 bis 5 Prozent.

Der Versuch, Mineraldünger durch Gülle und Gärreste zu ersetzen

Während der Mineraldüngerabsatz in klassischen Ackerbauregionen wie dem Braunschweiger Land laut LWK bereits seit Jahren sinkt, wird zunehmend auch auf Wirtschaftsdünger aus den Viehhaltungshotspots im Nordwesten gesetzt. Dass diese Gegenden nach wie vor massive Gülle-Überschüsse haben, zeigt der Ende Februar vorgestellte „Nährstoffbericht für Niedersachsen“. Fünf Landkreise, Grafschaft Bentheim, Vechta, Cloppenburg, Oldenburg und Rotenburg (Wümme), immerhin zwei weniger als im Vorjahr, überschritten die jährlich zulässige Höchstmenge von 170 Kilo Stickstoff aus Wirtschaftsdüngern und Gärresten pro und Hektar.

Diese Viehhotspots haben ein Interesse daran, ihren Wirtschaftsdünger loszuwerden – an andere Regionen, wo sie Mineraldünger ersetzen könnten. Den Wunsch, den Einsatz von industriellem Kunstdünger zu verringern, gibt es tatsächlich. Als entscheidende Gründe nennt Tendler den hohen Energie- und Rohstoffaufwand der Herstellung. Um ein Kilogramm mineralischen Stickstoff-Dünger herzustellen, müssen ein Liter Mineralöl oder 0,6 Kilo Erdgas eingesetzt werden. Problematisch beim Phosphatdünger sei einerseits die häufige Belastung mit Schwermetallen, andererseits die Endlichkeit der benötigten Rohstoffe, bei denen man zudem von weit entfernten Weltregionen abhängig sei. Hauptproduzenten seien China und Marokko

Die Düngung mit Wirtschaftsdünger wie Gärresten und Gülle spielt laut Expertin Linda Tendler eine untergeordnete Rolle in unserer Region.
Die Düngung mit Wirtschaftsdünger wie Gärresten und Gülle spielt laut Expertin Linda Tendler eine untergeordnete Rolle in unserer Region. © dpa | Philipp Schulze

In ihrem „Verbundprojekt Wirtschaftsdüngermanagement“ untersuchte die LWK deshalb, inwieweit Mineraldünger durch Wirtschaftsdünger ersetzt und ein Nährstoffkreislauf der Regionen aufgebaut werden kann. Schließlich wandert auch ein guter Teil des Futtergetreides aus unserer Region in die Tröge der Schweine, Kühe und Hühner im Nordwesten. Für ihr Projekt befragte die Kammer 250 Betriebe in der Region zu ihrem Düngeverhalten und stand 15 „Pilotbetrieben“ drei Jahre lang mit Beratung und Expertise zur Seite, um herauszufinden, wie viel Wirtschaftsdünger – ohne neue Nachteile für Wirtschaftlichkeit, Umwelt, Verbraucher und Anwohner – verkraftbar ist.

Kapazität unserer Region, Gülle aufzunehmen, ist begrenzt

Das Ergebnis der Studie war ernüchternd: „Regionen wie unsere können nur einen kleinen Teil des im Nordwesten anfallenden Wirtschaftsdüngers verwerten“, erklärt Tendler. Maximal könne eine Menge von 60 bis 90 Kilo Gesamtstickstoff pro Hektar aufgenommen werden. Vor allem drei Gründe sprachen aus Sicht der Landwirte gegen mehr Gärreste und Gülle: Erstens können die Nährstoffe hier nicht so präzise dosiert werden wie beim Mineraldünger. „Gerade im spezialisierten Getreideanbau braucht man die Nährstoffe aber ganz zielgenau. Dieses bedarfsgerechte Düngen ist mit Wirtschaftsdünger ausgesprochen schwierig“, so Tendler. Zweitens war es für die Landwirte wenig attraktiv, den Dünger über große Distanzen anfahren zu lassen. Und drittens nannten sie die schwankende Qualität und mangelnde Homogenität als Problem. „Das ist eine wirkliche Herausforderung“, erklärt Tendler. Ein weiterer Minuspunkt: die Geruchsbelästigung. Aus all diesen Gründen, so die Düngeexpertin, kann unsere Ackerbauregion lediglich einen moderaten Beitrag leisten, den hohen Überschüsse im Nordwesten aufzufangen. Der Überfluss an Tierdünger bleibt also weiter ein ungelöstes Problem.

Aus Sicht des BUND-Vertreters Uhlenhaut ist die Idee eines gesamtniedersächsischen Nähstoffkreislaufs ohnehin nicht der richtige Weg: „Gülle und Gärreste einfach auf eine größere Fläche zu verteilen, ist keine Lösung.“ Er fordert, die „Tierkonzentration“ im Nordwesten herunterzufahren. „Wir müssen hier stärker über das richtige Maß nachdenken“, sagt auch Welling. Dass Niedersachsen zu marktfähigen Preisen Fleisch produziere, sei an sich gut. Dagegen spreche aber etwa das Gülleproblem. „Aber“, sagt er, „eine verringerte Tierhaltung täte uns auch aus anderen Gründen gut: Es wäre auch einfacher, die Haltungsbedingungen der Tiere weiter zu verbessern. Und: Weniger Fleisch zu essen, wäre auch gut für unsere Gesundheit.“