Goslar. Experten erhoffen sich, durch eine atemgesteuerte Wegfahrsperre Trunkenheitsfahrten zu reduzieren. Der Verkehrsgerichtstag diskutiert darüber.

Bringt doch nichts. Dann lass ich jemanden pusten, der nichts getrunken hat...

Das schreibt unser Leser Marcus Pabst auf den Facebook-Seiten unserer Zeitung

Zu dem Thema recherchierten Dirk Breyvogel und unsere Agenturen

Die Einlassung unseres Lesers klingt plausibel, die Antwort des Experten Christian Kellner allerdings auch. Kellner, Hauptgeschäftsführers des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema „Alkolock“. Die atemgesteuerte Wegfahrsperre wird schon in vielen europäischen Ländern, aber auch in den USA oder Kanada praktiziert. Grundsätzlich gebe es Wege, das System zu manipulieren, sagen Experten. Kellner erklärt jedoch: „Ich gehe davon aus, dass bei der Diskussion auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar ab Mittwoch am Ende eine Empfehlung abgegeben wird, die die Wegfahrsperre nur in Kombination mit Kameratechnik vorsieht. Auf diese Weise kann man ausschließen, dass das System überlistet wird.“

Zudem, so Diplom-Pädagoge Kellner, wäre es sinnvoll, den Fahrer auch während der Fahrt wiederholt zu kontrollieren. „Nach einer gewissen Fahrzeit könnte eine weitere Aufforderung erfolgen, in das Gerät zu pusten. Wird dieser nicht Folge geleistet oder wird dann der Promille-Grenzwert überschritten, kann das Auto nicht wieder gestartet werden.“ Natürlich dürfe die erneute Kontrolle nicht passieren, während man sich fortbewegt, sondern in Pausenzeiten.

Wie funktioniert das System?

„Ein Alkohol-Interlock-System ist ein in ein Kraftfahrzeug eingebautes Atemalkohol-Messgerät in Kombination mit einer Wegfahrsperre“, sagt DVR-Geschäftsführer Christian Kellner.

Für wen käme ein Alkolock in Betracht?

Alkoholsünder, die mit mehr als 1,6 Promille erwischt werden, müssen zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), bevor sie ihre Fahrerlaubnis zurückerhalten. Fahrer, bei denen ein Wert zwischen 1,1 und 1,59 Promille festgestellt wurde, können den Führerschein hingegen in der Regel nach Ablauf einer Sperrzeit neu beantragen. Beim Verkehrsgerichtstag wird darüber diskutiert, ob diese Personen, wenn sie geeignet erscheinen, für bestimmte Zeit ein Alkolock-System nutzen können. Das kann laut dem DVR nur auf der Basis von Freiwilligkeit mit Antrag und nicht von Zwang erfolgen. Für „Wiederholungstäter“ sei das Warnsystem nicht gedacht, eher für Personen, die sich einmalig einen groben Fehltritt geleistet hätten und hoffen, mit der Anschaffung einer Wegfahrsperre und der Teilnahme an einer Verkehrspsychologischen Maßnahme einen Lernerfolg zu erzielen und dafür schneller den Führerschein zurückzuerhalten. Wer wiederholt alkoholisiert fährt und erwischt wird, darf nicht auf Zugeständnisse des zuständigen Gerichts hoffen, ist Kellner überzeugt. Interessant sei das System für Personen, die mit geringeren Promille-Graden erwischt wurden und bei denen keine MPU notwendig ist, sagen auch Verkehrsjuristen wie Rechtsanwalt Christian Funk von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins.

Wie viele Promillesünder wären davon betroffen?

Im Jahr 2017 gab es bundesweit knapp 3000 Unfallbeteiligte, bei denen Alkoholwerte zwischen 1,1 und 1,6 Promille gemessen wurden. In Deutschland starben in dem Zeitraum 230 Menschen, weil sie von einem Alkoholsünder angefahren wurden. Laut dem DVR wurden mehr als 4500 Menschen schwer verletzt.

Welchen Nutzen versprechen sich Experten und Politik?

Beim ADAC geht man davon aus, dass ein Alkolock zusammen mit einer psychologischen Begleitung die Betroffenen dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern. Die Wahrscheinlichkeit dürfte sinken, dass sie erneut alkoholauffällig werden, sagte ein Sprecher. Ein Pilotversuch wäre sinnvoll. „Vision Zero, also die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten auf null zu senken, ist und bleibt unser Ziel“, sagt Stefan Heimlich, Vorsitzender des Auto Club Europa (ACE). Alkolocks könnten dabei helfen.

Das Niedersächsische Verkehrsministerium erklärt gegenüber unserer Zeitung, man unterstützte Maßnahmen, die alkoholbedingte Unfälle reduzieren und damit die Verkehrssicherheit verbessern. Dies gelte auch für die Erprobung beziehungsweise Einführung atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren.

Mit Blick auf die Initiative der Großen Koalition in Berlin, durch den Koalitionsvertrag die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Alkolock-Systeme zu schaffen, teilt das Ministerium mit: „Ob und unter welchen Rahmenbedingungen – etwa was den Teilnehmerkreis, die Fahrzeug- und Führerscheinklassenklassen sowie Datenschutzbestimmungen betrifft – ein solches Verfahren eingeführt werden könnte, ist noch unklar und bedarf weiterer Prüfung.

Was kostet der Einbau?

Wer sich als Privatperson ein Gerät einbauen lässt, muss mehrere tausend Euro auf den Tisch legen. In Skandinavien können Alkolock-Systeme auch gemietet werden. Das wäre laut DVR auch für Deutschland eine Option, wenn die Geräte für bestimmte Personengruppen vorgeschrieben werden sollten.

Gibt es Erfahrungen mit Alkolocks?

Studien aus den USA und Schweden belegen nach Angaben des DVR, das Trunkenheitsfahrten mit eingebauten Alkolocks seltener werden. Es habe sich aber auch gezeigt, dass die Zahl der Alkoholfahrten steigt, sobald das System ausgebaut ist. Der ACE weist darauf hin, dass in Frankreich, Finnland, den Niederlanden und in Polen bereits rechtliche Grundlagen für den Einsatz von Alkolocks in den Fahrzeugen besonders alkoholauffälliger Verkehrsteilnehmer geschaffen wurden.

Was sagt die Unfallforschung?

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) plädiert für eine EU-Richtlinie, wonach alle neuen Kraftfahrzeuge mit Alkolocks auszurüsten sind. „Europaweit könnten die Geräte dann so eingestellt werden, dass ab 0,5 Promille das Starten des Fahrzeugs nicht mehr möglich ist“, sagt UDV-Leiter Siegfried Brockmann. Ein Fahrer, der ohne ein solches Gerät führe, verstieße dann gegen das Gesetz.

Der Verkehrsgerichtstag in Goslar

Jedes Jahr Ende Januar kommen Juristen und Verkehrsexperten in Goslar beim Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) zusammen. Beim ersten Kongress im Jahr 1963 wurden 200 Teilnehmer gezählt, die über aktuelle Fragen des Straßenverkehrs und des Verkehrsrechts diskutieren wollten.

Seither ist der VGT nahezu ständig gewachsen. Inzwischen debattieren bis zu 2000 Experten die unterschiedlichsten Themen. In diesem Jahr geht es neben dem Thema Alkolock unter anderem um Dieselfahrverbote, LKW- und Busunfälle und automatisiertes Fahren.

In acht Arbeitskreisen treffen Richter, Staat- und Rechtsanwälte auf Wissenschaftler und Politiker sowie Spezialisten von Automobilclubs, Ministerien, Behörden, Unternehmen und Verbänden. Abschließend geben die Experten dem Gesetzgeber Empfehlungen für Neuregelungen im Straßenverkehr oder im Verkehrsrecht.

Da in den Arbeitskreisen häufig sehr gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen, beruhen diese Empfehlungen oftmals auf Kompromissen. Der VGT nimmt deshalb für sich in Anspruch, nicht einseitig für eine Richtung Partei zu ergreifen.

Frühere Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages wurden vielfach gesetzlich verankert – etwa die Herabsetzung der Alkohol-Promille-Grenze für Kraftfahrer, das Handyverbot beim Autofahren, das begleitete Fahren mit 17 oder höhere Bußgelder für Verkehrssünder.