Der Naturschutzbund ruft jährlich zur Vogelzählung auf – daran gibt es Kritik.

Vögel im Winter in einer Stunde zu zählen, kann ja nur zu falschen Zahlen führen. Haben die Beobachter überhaupt das Fachwissen, all die Vögel zu unterscheiden?

Das fragt Klaus Albert Höller aus Braunschweig.

Die Antwort recherchierte
Stephanie Memmert

Braunschweig. Bundesweit hat der Nabu Mitte Januar zur Teilnahme an einer „Stunde der Wintervögel“ aufgerufen. Im eigenen Garten, auf dem Balkon oder im Stadtpark sollten Teilnehmer eine Stunde lang die Vögel beobachten und von jeder Vogelart die höchste Anzahl notieren, die in diesem Zeitraum zu sehen war. Eine Stunde lang die Vögel zu zählen, könne nach Ansicht unseres Lesers aber nur zu falschen Zahlen führen. Die Zählergebnisse seien daher, so Höller, „mit Sicherheit entfernt von der Wirklichkeit“ und ergäben „ein Scheinbild“.

Zu dieser Kritik sagt Lars Lachmann, Vogelschutzexperte des Nabu (Berlin): „Die Sorge des Lesers, dass die Stunde der Wintervögel keinen wissenschaftlichen Wert habe, ist unbegründet. Die Bedenken beruhen vor allem auf dem Missverständnis, dass es Ziel der Aktion sei, eine vollständige Erfassung aller Vögel des Gartens durchzuführen. Dies wäre jedoch – selbst für Experten – niemals möglich.“ Stattdessen geht es laut Nabu darum zu erfassen, wie viele Vögel innerhalb einer Stunde entdeckt werden können.

Klaus Albert Höller aber meint, dass die Beobachter ohne den Gesang der Vögel auf das Sehen angewiesen seien: „Viele Vogelarten zeigen sich aber manchmal tagelang gar nicht, obwohl sie sich mit Sicherheit irgendwo im Garten aufhalten.“ Dazu sagt Rolf Jürgens, Vorsitzender des Nabu-Gruppe Schöppenstedt im Kreis Wolfenbüttel, der seit Jahrzehnten schon Vögel beobachtet: „Die Vögel im Garten oder im Park, die da sind, zeigen sich auch. Allerdings fehlen hier derzeit noch alle nordischen Vogelarten, weil es zur Zeit in Skandinavien und in Russland genauso warm ist wie bei uns. Deshalb finden die Vögel dort auch noch Nahrung und haben sich noch nicht auf den Weg zu uns gemacht.“ Dazu zählten zum Beispiel Seidenschwänze, Rot- und Wacholderdrosseln.

Höller hingegen bezweifelt, dass die Beobachter überhaupt das Fachwissen hätten, die Vögel zu unterscheiden: „Wer kann schon zwischen Haus- und Feldsperlingen auf die Schnelle unterscheiden? Oder war es doch eine Heckenbraunelle?“ Jürgens hält dagegen: „Für die Zählung gibt es beim Nabu einen Flyer mit Bildern der wichtigsten Vogelarten.“ Für Smartphones gebe es eine App. Ein Fernglas sei bei der Beobachtung ebenfalls hilfreich. „Und wer es ganz genau wissen will, kann auch ein Fachbuch zu Rate ziehen.“

Lachmann räumt ein, dass die Ergebnisse der Vogelzählung niemals verwendet würden, um irgendeinen Gesamtbestand an Vogelarten hochzurechnen: „Stattdessen werden die Zahlen der jeweils innerhalb einer Stunde erfassten Vögel, die einen standardisierten Vergleichswert darstellen, verglichen. Da der Anteil übersehener Vögel prinzipiell von Jahr zu Jahr gleich bleibt, kann man aus den Veränderungen der Zahlen gemeldeter Vögel genauso wie bei anderen Monitoring-Programmen sehr gut feststellen, ob eine Art häufiger oder seltener als in anderen Jahren auftritt.“ Daher stimmten auch die Vogel-Bestandstrends, die sich aus den Ergebnissen der Aktionen „Stunde der Wintervögel“ und „Stunde der Gartenvögel“ im Mai ergäben, sehr gut mit denen aus anderen Vogelerfassungsprogrammen überein.

Die Amsel sei hier allerdings eine Ausnahme: Deren Rückgang sei bisher nur durch die Nabu-Gartenvogelzählungen dokumentiert, während andere Erfassungsprogramme, deren Ergebnisse jedoch einige Jahre verzögert veröffentlicht würden, zumindest bisher noch von stabilen oder gar wachsenden Beständen in unseren Städten und Dörfern ausgingen.