Immer mehr Männer und Frauen ohne Lehramtsstudium wollen an Schulen unterrichten. Die Zahl der Quereinsteiger steigt.

Als studierte Naturwissenschaftlerin interessiere ich mich für den Quereinstieg ins Grundschullehramt. Leider wurde mir gesagt, dass ausgerechnet das Fach Sachkunde, das für mich in Frage käme, von dieser Möglichkeit ausgenommen wird. Warum ist das so?

Dies fragt uns eine Braunschweigerin, die anonym bleiben möchte.

Die Antwort recherchiert Michael Ahlers

Hannover. Mit einem „Fettnäpfchenradar“ und anderen Unterrichtseinheiten wurden in Berlin 400 angehende Lehrer vor Anfängerfehlern im Unterricht gewarnt. „Wir sollen während des Unterrichts nicht die Zeit aus dem Blick verlieren und unser Pensum schaffen“, zitierte die „Berliner Zeitung“ eine künftige Grundschullehrerin. Die Bundeshauptstadt ist seit Wochen wegen der hohen Zahl an Quereinsteigern in den Schlagzeilen. Weniger als ein Drittel der in Berlin neu eingestellten Grundschullehrer hätten eine Lehrerausbildung, heißt es.

Als Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) zum Schuljahresbeginn die aktuellen Zahlen auch zu Lehrern auf den Tisch legte, spielten Quereinsteiger ebenfalls eine wichtige Rolle. Von 1883 Einstellungen an den Schulen entfielen bereits 231 auf den „Quereinstieg“, 69 davon an Grund-, Haupt- und Realschulen. Die neueren Zahlen nach Abschluss des Einstellungsverfahrens bestätigen den Trend. Zwar konnte Niedersachsen mit 1921 Einstellungen die angepeilte 2000er-Marke fast einlösen, einigen Unkenrufen zum Trotz. Doch mit 245 kletterte auch die Zahl der Quereinsteiger in der Endbilanz noch einmal nach oben. Nach Angaben des Ministeriums liegt die Quote der Quereinsteiger derzeit bei rund 12,7 Prozent. 2016 hatte die Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) den Quereinstieg auch für Grundschulen geöffnet. „Auch in Zukunft werden wir aufgrund der Situation auf dem Bewerbermarkt auf Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern setzen“, sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). Nach der neuesten Statistik verzeichnen die Gymnasien mit 101 Einstellungen im Quereinstieg einen erheblichen Anteil. Laut eines „Merkblatts für den direkten Quereinstieg“ sind beispielsweise an Gymnasien Latein, Spanisch, Musik, Politik, Evangelische Religion, Mathematik, Physik, Chemie, Informatik und Kunst als Fächer besonders gefragt. Wer in den niedersächsischen Schuldienst will, braucht in der Regel einen Hochschulabschluss mit Mastergrad, den akkreditierten Master einer Fachhochschule oder einen gleichwertigen Abschluss. Die Befähigung muss außerdem mindestens einem Unterrichtsfach zuzuordnen sein.

Unsere Leserfrage kann das Kultusministerium ohne konkrete Kenntnis des Einzelfalls nur allgemein beantworten. Generell, so die Antwort, klappe es mit dem Quereinstieg, „wenn aufgrund der nachgewiesenen Studien- und Prüfungsleistungen davon ausgegangen werden kann, dass die jeweiligen erworbenen fachwissenschaftlichen Kenntnisse im Wesentlichen denen eines entsprechenden abgeschlossenen Lehramtsstudiums des jeweiligen Faches entsprechen“. Wie Sebastian Schumacher, Sprecher des Kultusministeriums, auf Nachfrage sagt, ist es nicht so, das Quereinsteiger grundsätzlich nicht beim Fach Sachkunde landen könnten.

Beim Philologenverband sieht man den Quereinstieg seit jeher mit gemischten Gefühlen. Niedersachsens Verbandschef Horst Audritz warnt schon länger vor einer Entwertung des Lehrerstudiums und einem Qualitätsverlust. „Das ist der Beweis, dass zu wenig Lehrer ausgebildet wurden“, sagt auch der FDP-Landtagsabgeordnete Björn Försterling. Die Gefahr des Scheiterns sei bei den Quereinsteigern vergleichsweise groß. Die Ressourcen, sie wie nötig eng im Unterricht zu begleiten, seien nicht vorhanden – sonst brauche man ja keine Quereinsteiger, sagt Försterling. Im Kultusministerium verweist man auf Fortbildungen und Unterstützung an den Schulen. „Nirgendwo werden Quereinsteiger so ins kalte Wasser geworfen wie in Niedersachsen. Wir brauchen dringend Qualifizierungskonzepte“, forderte jüngst die GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth. Nach Angaben der Gewerkschaft liegt die Abbrecherquote unter Quereinsteigern bei 50 Prozent. Das sei eine Zahl, die man weder bestätigen noch dementieren könne, heißt es dazu im Ministerium. Bewerber würden mit Besoldungsversprechen gelockt, die dann oft nicht eingelöst würden, nannte Rüdiger Heitefaut von der GEW ein weiteres Problem. Die Folge: Frust beim Neu-Lehrer. „Das Kultusministerium prüft, wie wir in Zukunft den Zugang zum Quereinstieg weiter flexibilisieren können“, erklärt Minister Tonne. Die Strukturen müssten angepasst werden, um Quereinsteiger als festen Teil des Systems adäquat einzubinden.

Diese Ankündigung dürften viele eher als Drohung sehen. Doch Tonne sagt: „Dann ist der Quereinstieg nicht nur als Notlösung zu sehen, sondern als ein weiterer Schritt hin zu mehr Multiprofessionalität an Schulen und qualitativer Gewinn.“