Goslar. Händeringend suchen Kultusministerien Lehrkräfte. Der Nachwuchs ist rar. Die Attraktivität des Berufs geht gegen Null.

Zu wenig Personal, Abordnungen an andere Schulformen, regelmäßiger Unterrichtsausfall, viele Pauschalurteile und Qualitätsmängel insbesondere bei der Ausbildung... Themen gibt es genug, wenn von Lehrern die Rede ist. Horst Audritz (67) ist seit neun Jahren Vorsitzender des Philologenverbandes Niedersachsen. Frank Heine sprach mit dem Wolfenbütteler.

Deutschland hat zu wenig Lehrer, Niedersachsen hat zu wenig Lehrer. Warum will (fast) niemand mehr Lehrer werden?

Das hängt von vielen Faktoren ab, besonders von den Rahmenbedingungen für den Unterricht. Schüler sind schwieriger geworden, der Unterricht ist schwieriger geworden, weil die Kultusbürokratie immer mehr Rahmenbedingungen setzt. Es gibt eine Fülle von Reformen, die zu bewältigen sind: die inklusive Schule, Berufsorientierung wird bedeutend verstärkt, die eigenverantwortliche Schule, die Schulinspektion – es kommt ganz viel auf die Lehrkräfte zu.

Ein alter, zugegeben böser Spruch heißt: Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei.

Schön wär’s. Wenn sie denn freihätten, wäre es schön. Und recht haben sie natürlich erst recht nicht. Für alles, was sie tun, müssen Lehrer sich heutzutage mehr rechtfertigen, statt Arbeit und Unterricht zu verantworten. Das können sie allerdings eigenverantwortlich gut. Das muss auch verstärkt werden.

„Die Bezahlung ist nicht das wichtigste Kriterium für die Wahl des Lehrerberufs.“ Hat Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne mit diesem Satz recht?

Die Bezahlung ist immer ein Kriterium für die Berufswahl. Man muss von seinem Einkommen leben, eine Familie gründen und unterhalten können. Es kommt aber entscheidend auch auf die Rahmenbedingungen an. Da ist Bezahlung ein Aspekt, aber nicht der alleinige.

Was hat denn das Land Niedersachsen in der Vergangenheit konkret versäumt?

Das Land Niedersachsen hat – wie allerdings fast alle Bundesländer – versäumt, langfristig zu planen und den Lehrkräftebedarf über die 100-Prozent-Marke hinaus auszubilden und einzustellen. Wenn man nur mit hundert Prozent Unterrichtsversorgung rechnet, hat man logischerweise, sobald Schwankungen auftreten, nicht genügend Lehrer.

Nun sagen Statistiken des Ministeriums: An Gymnasien sieht es mit der Lehrerversorgung vergleichsweise gut aus. An der Grundschule sind große Lücken. Warum sträuben sich dennoch viele Gymnasiallehrer, an Grundschulen abgeordnet zu werden?

Das sind zwei Aspekte, die Sie ansprechen. Einmal, dass es den Gymnasien angeblich zu gut geht. Das ist eine Milchmädchen-Rechnung. Die Unterrichtsversorgung wird nach dem Pflichtunterricht berechnet und dem Zusatzbedarf – also Lehrerstunden, die man für Inklusion, Förderung und andere Maßnahmen benötigt. Wenn man das zugrunde legt, stehen die Gymnasien nicht etwa am besten da. Sie brauchen 90 Prozent der Unterrichtsversorgung für Unterricht, während andere Schulformen, zum Beispiel die Grundschule, nur 80 Prozent der Unterrichtsversorgung für den Pflichtunterricht braucht.

Wenn so viele Lehrer fehlen: Warum wird Teilzeit so gerne und so oft gewährt? Muss der Dienstherr nicht rigider vorgehen?

Klingt charmant, wenn man sagen würde: Es gibt keine Teilzeit-, es gibt nur Vollzeitstellen. Dann würde allerdings der Bedarf an Lehrkräften noch größer sein, weil viele nicht in den Beruf gehen würden.