Braunschweig. Die Pläne sind von 2002, das Endlager soll 2027 in Betrieb gehen. Gegner kritisieren, dass bereits 35 Änderungen nötig wurden.

Jeder, der uns weismachen wollte, dass das Atom beherrschbar ist, im Stillen aber hoffte, durch das Einlagern tief unter der Erdoberfläche erst mal aus dem Schneider zu sein, wird jetzt von der Realität, von der Wahrheit eingeholt.

Das bemerkt unser Leser
Peter Reisse aus Wolfsburg

Zum Thema recherchierte
Andre Dolle

Die Debatte darüber, ob das geplante Endlager Schacht Konrad dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, ist fast so alt wie das Bergwerk selbst. Zwischen 1961 und 1976 bauten Kumpel 6,7 Millionen Tonnen Eisenerz ab. Das alte Bergwerk wurde spätestens seit den 80er Jahren als Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll gehandelt.

Aus dieser Zeit stammen bereits die ersten Pläne, den Planfeststellungsbeschluss erstellte die niedersächsische Landesregierung nach langem Kampf im Jahr 2002. Satte 25 Jahre später, 2027 also erst, soll der erste Atommüll in Schacht Konrad eingelagert werden. Dazwischen liegen 25 Jahre.

Die Linken sind Gegner des geplanten Endlagers – nicht nur in unserer Region. Hubertus Zdebel ist Atom-Experte der Linken-Bundestagsfraktion. Er kommt aus Münster, lässt bei Konrad in Salzgitter aber nicht locker, stellt immer wieder Anfragen an die Bundesregierung. Die Antwort auf seine letzte Anfrage datiert vom 23. Juli. Sie wurde noch nicht offiziell veröffentlicht, liegt unserer Zeitung aber vor. Zusammen mit einer ähnlichen Antwort auf eine Anfrage Zdebels von 2017 ergibt sich: Die Pläne für Konrad mussten schon 35 Mal geändert werden.

Weitere vier Änderungsverfahren hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit Sitz in Peine bereits beantragt. Auch diese Anträge wird das Bundesamt für Entsorgung (BfE) genehmigen. Für Zdebel aber sind die Änderungsverfahren ein Eingeständnis: „Bei Schacht Konrad handelt es sich um ein völlig veraltetes Projekt.“ Der Westfale mutmaßt: „Am Ende entsteht ein ganz anderes Atommülllager, als es 2002 vom niedersächsischen Umweltministerium genehmigt wurde.“ Ähnlich drückt es Ludwig Wasmus von der AG Schacht Konrad aus. Zdebel ist sich sicher: „Eine Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik wäre das Aus für das Endlager.“

Naturgemäß sieht BGE-Sprecherin Monika Hotopp dies nicht so. Die Änderungen seien notwendig, um Konrad stetig an den Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen, sagt sie. Das habe ja etwas Gutes und steigere das Sicherheitsniveau im geplanten Endlager.

Hotopp versichert, dass Schacht Konrad immer noch den ursprünglichen Planungen entspricht. Die Änderungen seien nur „unwesentlich“. Sie gibt zu: „Allerdings ist vor zwei Jahren eine neue Sicherheitsüberprüfung in Gang gesetzt worden.“ „Üsiko“ heißt das Verfahren. Das Kürzel steht für die „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad nach dem Stand von Wissenschaft und Technik“. Auch hier sei das Ziel, Konrad auf möglichst aktuellem Stand zu halten.

Nur legt die Politik beim noch zu findenden Endlager für hochradioaktiven Atommüll ganz andere Maßstäbe an als bei Schacht Konrad. Beim weiteren Endlager ist ein altes Bergwerk ausgeschlossen. Der Atommüll soll rückholbar sein – der leicht- und mittelradioaktive Müll in Konrad wird jedoch mit Beton in Containern verschlossen.

Linken-Politiker Zdebel sagt dazu: „Schacht Konrad ist der Beweis, dass die Bundesregierung sich weigert, den vielbeschworenen Neuanfang in der Endlagerpolitik wirklich einzuleiten.“ Wasmus von der AG Schacht Konrad legt nach: „Die BGE hält auf Gedeih und Verderb an Konrad fest, obwohl sie es eigentlich besser weiß.“

Dass Kritiker kaum Chancen haben, verdeutlichte Ex-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Interview mit unserer Zeitung: „Schacht Konrad ist rechtskräftig planfestgestellt als Endlager für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung. Dabei bleibt es.“

Konrad ist das einzige genehmigte Endlager in Deutschland. Die Zwischenlager sind voll. Geht es nach der Politik, würde Schacht Konrad lieber heute als morgen in Betrieb genommen. Zdebel schwant: „Am Ende wird es eine alte Anlage mit lauter Hilfskonstruktionen bleiben, die niemals dasselbe Sicherheitsniveau erreichen kann wie ein neues, extra zu diesem Zweck errichtetes Atommüll-Endlager.“

Das ist Schacht Konrad:

Bis 1976 wurde in Schacht Konrad Eisenerz gefördert. Ab 2027 soll im alten Bergwerk in Salzgitter Atommüll eingelagert werden. Die beiden Schächte werden saniert, Schacht Konrad 2 für die Einlagerung des Atommülls vorbereitet.

Der Atommüll stammt in erster Linie aus deutschen Kernkraftwerken und Forschungsreaktoren, wo er seit mehr als 40 Jahren im laufenden Betrieb erzeugt wird. Er fällt auch bei ihrem Abriss an. Derzeit lagert der Müll oberirdisch in Zwischenlagern wie in Karlsruhe. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Schutzanzüge und Anlagenteile, deren Oberflächen kontaminiert sind.

Das Endlager Konrad wird 303 000 Kubikmeter mittel- und schwachradioaktiven Atommüll aufnehmen. Rund 90 Prozent der in Deutschland anfallenden radioaktiven Abfälle gehören in diese Kategorie. Sie enthält 0,1 Prozent der Radioaktivität, die für immer entsorgt werden soll. Für die anderen 99,9 Prozent der Radioaktivität, also für den hochradioaktiven Atommüll aus den Kernkraftwerken, gibt es noch kein Endlager in Deutschland.

Der Widerstand gegen Konrad war groß, flachte in den vergangenen Jahren etwas ab. 290 000 Einwender brachten ihre Bedenken im Zuge des Planfeststellungsverfahrens zum Ausdruck. Ganze 75 Tage lang dauerte der Erörterungstermin. 2002 schließlich wurde Schacht Konrad nach jahrzehntelanger Planung genehmigt. Das geplante Endlager wird seit 2008 umgerüstet und die für die Einlagerung des Atommülls vorgesehenen Tunnel werden komplett neu gebaut. Sie sind bis zu 1000 Meter lang. Etwa 1000 Menschen arbeiten aktuell auf 17 verschiedenen Baustellen über und unter Tage. Das unterirdische Labyrinth ist 40 Kilometer lang.

Mit Beginn der Einlagerung im Jahr 2027 sollen pro Woche im Schnitt zehn LKW mit je einem Container Konrad erreichen. Dazu 20 Eisenbahnwaggons mit bis zu 40 Containern.