Braunschweig. Zum Abschluss der „Zukunftsfragen der Menschheit“ präsentiert Professor Joachim Ullrich vier dominante Wissenschaftsthemen.

Wie schätze ich ganz persönlich und fachlich die künftige Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung meines wissenschaftlichen Fachgebietes ein?

Ich sehe vier große Themenkomplexe, die uns in den kommenden Jahren in Atem halten werden: Digitalisierung, Entwicklungen in der Biotechnologie, die sogenannte Zweite Quantenrevolution und die globale Energiewende zur Bekämpfung des Klimawandels.

Dies gilt nicht zuletzt auch für die Metrologie und damit für die PTB, das nationale Metrologie-Institut in Deutschland. Der Wissenschaftsrat hat der PTB dabei in diesen Bereichen bereits heute eine oft weltweit führende Stellung in der Forschung bescheinigt, aber insbesondere im Bereich der Digitalisierung eine massive Verstärkung angemahnt.

Erstens: Die Digitalisierung wird die Art, wie wir arbeiten und leben werden, massiv verändern. Spätestens mit „Alexa“ ist sie auch im Wohnzimmer angekommen. Ein Kernelement ist die Entwicklung künstlicher Intelligenz, basierend auf neuronalen Netzen und dem Konzept des „deep learning“. Wenn die Entwicklung weitergeht wie bisher, könnten künstliche neuronale Netze bereits Mitte dieses Jahrhunderts über vergleichbar viele Neuronen verfügen wie das menschliche Gehirn. Vorangetrieben und genutzt wird diese Entwicklung bisher noch von einigen wenigen großen Unternehmen wie zum Beispiel Google. Die digitale Kompetenz muss in Europa und hier in Deutschland vertieft und in der Breite massiv gestärkt werden, nicht zuletzt in der Metrologie und damit in der deutschen Industrie. Dies ist notwendig, um den Industriestandort Deutschland auch in Zukunft auf höchstem Niveau zu erhalten.

Zweitens: Die Biotechnologie erlebt seit der Entdeckung des CRISPR/Cas-Verfahrens eine nochmalige Beschleunigung ihrer Entwicklung. Natürlich ist Frau Charpentier, die bis vor kurzem am HZI tätig war, jedem in Braunschweig ein Begriff. Wie jedes mächtige Werkzeug berührt das CRISPR/Cas-Verfahren, das eine besonders einfache Methode der genetischen Modifizierung darstellt, das Selbstverständnis der Gesellschaft. Sorgen vor Missbrauch stehen Hoffnungen auf positiven Fortschritt gegenüber. Eine besondere Hoffnung ist die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten mittels Gentherapie.

Drittens: Unter der Zweiten Quantenrevolution versteht man neben der gezielten Nutzung von Quantisierungen selbst die Nutzung der ungewöhnlichen Eigenschaften von Quantensystemen. Hierzu gehören „die spukhafte Fernwirkung“ (Einstein) durch Verschränkung und die gleichzeitige Überlagerung verschiedener Zustände. Anwendungsgebiete sind Quantencomputer, Quantenverschlüsselung, aber auch neuartige Quantensensoren und optische Atomuhren der nächsten Generation. Die Metrologie legt gerade mit die Grundlage für die Zweite Quantenrevolution: Im Jahr 2018 findet eine Neudefinition der Maßeinheiten wie Kilogramm und Ampère auf der Grundlage von Quantisierungen und Quanteneffekten statt. Die PTB, in deren Laboren vor rund hundert Jahren die Quantisierung der Welt erstmals entdeckt wurde, wird auch in Zukunft an der Spitze der Forschung vorangehen. Ein wichtiger Baustein ist hier zweifellos der von der PTB unterstützte Antrag zur Exzellenzinitiative von der TU Braunschweig und der Leibniz-Universität Hannover.

Viertens: Die zerstörerischen Hurrikane in der Karibik, aber auch Hochwasserereignisse in unserer Region, verweisen auf die Dringlichkeit einer globalen Energiewende angesichts des beginnenden Klimawandels. Hier erwarte ich deutliche technologische Fortschritte, von der Stromerzeugung bis hin, in weiterer Zukunft, zur emissionsfreien und nachhaltigen Mobilität. Die PTB ist bereits heute unter anderem in den Bereichen „regenerative Energieerzeugung“ und „Elektro-Mobilität“ aktiv, um die Unternehmen der Energiewende zu unterstützen und zu fördern. Um all diese Herausforderungen zu meistern, müssen die Kräfte der verschiedenen Akteure in unserem Wissenschafts- und Innovationssystem gebündelt werden. Es freut mich daher sehr, und es ist wesentlicher Teil unseres Erfolges an der PTB, dass wir mit den Universitäten, Ressortforschungseinrichtungen und außeruniversitären Instituten in praktisch allen Zukunftsfeldern starke Partner in der Forschungsregion Braunschweig haben!

Wie beurteile ich die Entwicklung der Forschungsregion, und was an Impulsen ist für sie notwendig?

Die Forschungsregion hat sich mit der zunehmenden Vernetzung vieler starker Forschungseinrichtungen, Universitäten, Behörden und Unternehmen und einer sich belebenden Start-up-Szene sehr gut entwickelt. Die Nachwuchsgewinnung wird zunehmend bedeutend. Ein wichtiger Impuls für die Zukunft wäre für mich daher eine deutschlandweite Werbekampagne, um die Attraktivität der Forschungsregion gerade auch für junge Forscherinnen und Forscher noch stärker sichtbar zu machen.