Braunschweig. Die Expertin fordert, dass Museen Fakten bringen, Debatten anstoßen und Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen.

Wie schätze ich ganz persönlich und fachlich die künftige Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung meines wissenschaftlichen Fachgebietes ein? Das Internet verändert unsere Art und Weise Nachrichten, Meinungen und Debatten aufzunehmen. Auf den ersten Blick scheint das Internet demokratisch, jeder hat die Chance auf Zugang zu vielen Informationen, kann sich mit vielen austauschen, diskutieren. Wir alle haben ein bestimmtes Konsum-, ein bestimmtes Suchverhalten zu Themen. Durch das ständige Aufsuchen gleicher Inhalte führen uns die Algorithmen schnell nur noch zu Seiten, Kanälen, Personen, die uns ähneln und unsere Überzeugungen teilen. Es werden den Informationen mehr Gewicht zugebilligt, die eine gemeinsame Sichtweise bestätigen, die Vielfalt von Meinungen fällt bei personalisierten Medien weg. So finden wir immer wieder die Bestätigung: Die Mondlandung hat es nie gegeben, der Großteil deutscher Medien arbeitet im Sinne einer bösartigen Verschwörung. Gerüchte werden ständig wiederholt, werden dadurch scheinbar glaubwürdiger. Emotionalisierung punktet, nicht Fakten. Die Begriffe Infoblasen, Echokammern und Bots umschreiben die Macht der Algorithmen und sind vielleicht eine der wirklichen Bedrohungen unserer Gesellschaft.

Zu einer demokratischen Gesellschaft gehört es, zu lernen, auch mit Meinungen umzugehen, die uns nicht passen. Pluralität definiert unsere Moderne. Museen, eine nun schon alte und vergleichsweise entschleunigte Institution, sind hier gefordert, meiner Meinung nach ein historisches Museum ganz besonders, das heißt für mich, den Rahmen für Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen, Fakten bringen, Wissen multiperspektiv anbieten, Debatten anstoßen. Museen werden mit den ihnen eigenen Methoden in zehn Jahren Foren sein, in denen gesellschaftlich relevante Themen nicht nur rezipiert, sondern aktiv erörtert und neu entwickelt werden können. Sie sollten als ein Labor des gesellschaftlichen Diskurses einladen zur Schärfung von Begriffen, Ereignissen und Prozessen, Kontroversen auszuhalten. Museen und andere Kulturinstitutionen werden viel mehr als jetzt aktive Gestalter von Gegenwart und Zukunft sein.

Inwiefern haben sich solche wissenschaftlichen Einschätzungen von Zukunftsaussichten aus meiner ganz persönlichen Sicht im Verlauf der vergangenen zehn Jahre bereits verändert?

Die Dynamik des durch die Globalisierung und Digitalisierung angefachten Prozesses ist rasanter und umfassender als erwartet. Die Medienrevolution greift auch stark in die Welt der Museen ein. Als Beispiel möchte ich die Erfassung von Sammlungsbeständen anführen, die vor 10 Jahren schon auf Datenbankbasis meist mit „selbst gebastelten“ Programmen erfolgte. Doch spielte deren Sichtbarkeit und Nutzbarkeit außerhalb eines museumsinternen Kreises eine untergeordnete Rolle. Heute haben die Digitalisierung und die Erschließung von Objektbeständen einen hohen Stellenwert. Ziel ist es, die Sammlungen unter Beachtung ihrer Vielfalt und ihrer lokalen Besonderheiten fächer- und standortübergreifend als dezentrale Infrastrukturen für Forschung, Lehre und Bildung sowie Öffentlichkeit weiterzuentwickeln und zu vernetzen. Das Kulturerbeportal Niedersachsen startete im April 2012. Die erste öffentliche Beta-Version der Deutschen Digitalen Bibliothek ist im November 2012 online gegangen, die erste Vollversion wurde am 31. März 2014 freigeschaltet. Die Zahl der teilnehmenden Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen – und damit auch die Zahl der auffindbaren Bestände – steigt beständig. Unsere Region spielt ganz vorne mit: das HAUM und die Herzog August-Bibliothek haben ihre Projekt Kupferstichkabinett online im September 2007 gestartet.

Wie beurteile ich ganz persönlich die Entwicklung der Forschungsregion Braunschweig und was an Impulsen ist für sie notwendig?

Das Potenzial der Forschungsregion schätze ich vor allem durch die Vielfalt von wissenschaftlichen Disziplinen an einem Ort hoch ein. Wie können wir im 21. Jahrhundert unsere zivilisatorischen Standards sichern und ev. erweitern, dabei aber mit unseren Ressourcen sorgfältiger umgehen? Es braucht Zukunftsbilder für eine nachhaltige Gesellschaft mit einer anderen Mobilität, einer anderen Ernährung, eines anderen Bauens, Wohnens und Arbeitens. Die Forschungsregion mit ihren vielfältigen Einrichtungen kann einen Beitrag dazu leisten, Szenarien und Lösungen entwickeln, die konkret sein können und nicht abschrecken. Die Vernetzung von Naturwissenschaften und von Sozial- und Geisteswissenschaften sollte in der Richtung gestärkt werden, um gemeinsam einen Beitrag für den Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft leisten zu können.