Braunschweig. Die Unterstützer in Niedersachsen müssen aber mit weit höheren Summen rechnen. Minister Pistorius fordert eine „tragbare Lösung“ für die Bürgen.

Unser Leser Dieter Blumtritt aus Helmstedt fragt:

Es wird einem schwindlig angesichts der Höhe der Forderungen – egal wie man zu den zu uns Kommenden steht –, wenn man diese hochrechnet. Welche Gesamtsumme mag sich da wohl ergeben?

Die Antwort recherchierten Andre Dolle und Hendrik Rasehorn

Um Syrern die Flucht nach Deutschland zu ermöglichen, haben Hunderte von Niedersachsen und Tausende von Deutschen Bürgschaften übernommen. Nun bekommen einige teils sechsstellige Rechnungen präsentiert. Bisher fordern die Jobcenter in Niedersachsen drei Millionen Euro von den Flüchtlingshelfern zurück. Das ergab eine Umfrage unserer Zeitung unter den Jobcentern.

„Wir müssen prüfen, ob es Unterhaltsverpflichtungen von Dritten gibt und dieses Geld dann einfordern.“
„Wir müssen prüfen, ob es Unterhaltsverpflichtungen von Dritten gibt und dieses Geld dann einfordern.“ © Anja Schmiedeke, Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Hannover

Die Zahl ist allerdings noch vorläufig und wird wohl weit höher ausfallen. Denn noch sind längst nicht alle Jobcenter in Niedersachsen aktiv geworden, wie unsere Umfrage ergab. Derzeit machen 19 Jobcenter Erstattungsansprüche gegenüber den Bürgen geltend. Die Behörde aus Wolfsburg ist besonders aktiv. Alleine die Forderung des Jobcenters aus Wolfsburg an die Helfer beläuft sich auf 2,3 Millionen Euro. Insgesamt haben in Wolfsburg 45 Personen Anhörungsschreiben bekommen. Sie haben Bürgschaften für 94 Bedarfsgemeinschaften übernommen, in denen 250 Flüchtlinge leben.

Laut Auswärtigem Amt kamen durch diese Visa 5235 Syrer nach Niedersachsen. Jeder 21. dieser Syrer kam also über einen Bürgen nach Wolfsburg. Die Forderung der Jobcenter an die Bürgen dürfte insgesamt also noch viel höher ausfallen.

„Wir fordern Antworten auf die Fragen, wie viele Flüchtlingshelfer betroffen sind und wie sie beraten wurden.“
„Wir fordern Antworten auf die Fragen, wie viele Flüchtlingshelfer betroffen sind und wie sie beraten wurden.“ © Belit Onay, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion

Womöglich folgen die anderen Jobcenter dem Beispiel aus Wolfsburg. Vielleicht aber auch nicht. Dafür will Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sorgen. Er hat an die geschäftsführende Bundesarbeitsministerin Katarina Barley (SPD) appelliert, sich für eine „tragbare Lösung“ in der Frage der Unterhaltsverpflichtung von Helfern gegenüber Flüchtlingen einzusetzen. Eine unklare Rechtslage habe bis zum August 2016 dazu geführt, dass die Flüchtlingshelfer die Reichweite ihrer Verpflichtungen nicht absehen konnten, sagte Pistorius am Mittwoch.

Initiativen, Kirchengemeinden und Einzelpersonen hatten vor rund drei Jahren Bürgschaften gegenüber den Ausländerbehörden unterschrieben und sich darin bereiterklärt, für den Lebensunterhalt der Syrer zu sorgen. Im Gegenzug erhielten die Flüchtlinge Visa, um legal aus dem Bürgerkriegsland nach Niedersachsen reisen zu können. Im November flatterten den Bürgen, vor allem im Raum Wolfsburg, nun Anhörungsbescheide über Kosten in Höhe von mehreren Zehntausend Euro ins Haus. Im Einzelfall wurden bis zu 700 000 Euro gefordert. Die Bürgen waren jedoch davon ausgegangen, dass ihre Verpflichtung mit der Anerkennung der Flüchtlinge endet und somit nur für einige Monate besteht.

In einem Brief an Barley habe er darum gebeten dies zu berücksichtigen, wenn es um die Entscheidung gehe, ob eine Rückforderung vorzunehmen sei, sagte Pistorius. Es sei ihm ein „persönliches Anliegen“, die Bürgen „nicht unbillig und angemessen“ in die Pflicht zu nehmen.

Die Bundesagentur für Arbeit beruft sich bei den Geldforderungen auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom Januar 2017. Danach gilt die Bürgschaft in Altfällen noch für drei oder in neuen Fällen sogar für fünf Jahre. Die Bürgen fühlen sich nun von den Ausländerbehörden falsch beraten und wenden ein, die Rechtslage sei rückwirkend geändert worden. Tatsächlich gab es ein entsprechendes Bundesgesetz erst im August 2016. Das Leipziger Gericht bestätigte die Rechtsauffassung des Bundes.

Anja Schmiedeke von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Hannover sagte unserer Zeitung zwar, sie habe „großes Verständnis für die Kritik der Flüchtlingshelfer“. Allerdings seien die Jobcenter an das Gerichtsurteil gebunden. Sie müssten prüfen, ob es Unterhaltsverpflichtungen von Dritten gebe und dieses Geld einfordern, um den Steuerzahler zu entlasten. Dabei werde immer der Einzelfall geprüft.

Das Innenministerium in Niedersachsen lehnt einen Hilfsfonds für die Bürgen weiterhin ab. Es beruft sich darauf, die Flüchtlingshelfer frühzeitig über gewisse Risiken einer Bürgschaft über die Ausländerbehörden informiert zu haben. Die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen prüfen seit Monaten solche Fonds.

Die Grünen fordern eine Unterrichtung im Innenausschuss des Landtags. Womöglich wird bereits am Donnerstag auch der Hilfsfonds diskutiert. Belit Onay, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, sagte unserer Zeitung: „Niedersachsen muss anpacken – alles andere wäre zynisch.“ Es geht auch um das volle Ausmaß des Problems. „Wir fordern vom Innenministerium Antworten auf die Fragen, wie viele Flüchtlingshelfer betroffen sind und wie sie von den Behörden beraten wurden“, sagte der Goslarer Onay. Auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen sammelt Fakten.

Zwar begrüßt Onay es, dass Minister Pistorius Bewegung in die Sache bringt. „SPD und CDU waren sich allerdings schon zu Zeiten der Koalitionsverhandlungen des Problems bewusst. Geschehen ist nichts. Das ist nicht im Sinne der betroffenen Flüchtlingshelfer.“ Es dürfe nicht bei Worten bleiben. Notfalls müsse das Land Niedersachsen einen eigenen Fonds errichten, wenn der Bund nicht tätig wird, sagte Onay. Bis vor wenigen Wochen waren die Grünen selbst noch Teil der Landesregierung.

Onays Parteifreundin, die Bundestagsabgeordnete Filiz Polat, wird eine Anfrage an die Bundesregierung stellen, wie von den Grünen in Niedersachsen zu erfahren war. Polat kommt aus dem Raum Osnabrück, war bis vor kurzem noch Landtagsabgeordnete in Niedersachsen. Sie selbst war am Mittwoch nicht zu erreichen. Wie im Landtag soll es aber auch

im Bundestag darum gehen, wie viele Flüchtlingshelfer betroffen sind und wie diese nun von staatlicher Seite unterstützt werden können.