Wolfenbüttel. Beim Treffen mit Scheich Al-Thani in Wolfenbüttel fordert der Außenminister ein Ende der Katar-Blockade.

Der IS-Anschlag in Teheran, der Boykott von Katar, die mörderischen Kriege in Syrien und Jemen – der Nahe Osten rutscht immer mehr ins Chaos. Ein Moment des Innehaltens, der Verständigung, ist in solchen Situationen manchmal ein Muss. Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel bietet dafür am Freitag den passenden Rahmen.

Im Laufe der Jahrhunderte kamen und gingen die Gelehrten, der Dichter Gotthold Ephraim Lessing war hier Bibliothekar. „Hier hat Lessing sein berühmtes Stück ,Nathan der Weise‘ geschrieben“, beginnt Außenminister Sigmar Gabriel sein Statement am Morgen, als er mit seinem katarischen Amtskollegen Scheich Mohammed Al-Thani vor die Presse tritt. „Und Weisheit braucht die ganze Welt zurzeit“, sagt Gabriel. Eine arabische Fassung von Lessings Werk erhält Al-Thani als Geschenk.

Das Treffen hatte Gabriel erst einen Tag zuvor mit den Kataris vereinbart. Die sagten sofort zu, weil sich die Situation im Nahen Osten dramatisch verschärft. Seit Anfang der Woche schwelt am Golf die schwerste diplomatische Krise seit Jahren. Saudi-Arabien und mehrere arabische Staaten isolieren Katar. Die Länder werfen dem Emirat die Unterstützung von Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) sowie Nähe zum schiitischen Iran, dem Erzrivalen Saudi-Arabiens, vor.

Für das einstündige Gespräch mit Gabriel nimmt Al-Thani den Flug gerne auf sich. Er landet im Airbus um 8.20 Uhr am Freitagmorgen auf dem Flughafen Braunschweig-Waggum, die katarische Delegation fährt direkt danach nach Wolfenbüttel.

Al-Thani widmet Deutschland und Außenminister Gabriel seinen ersten Auslandsbesuch nach Ausbruch der Krise. Das unterstreicht die Wichtigkeit der Rolle, die Gabriel als Vermittler im Konflikt Katars mit den Nachbarn Saudi-Arabien, Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten eingenommen hat. Gemeinsam mit dem US-Außenminister Rex Tillerson und dem Emir von Kuwait ist Gabriel eine Art Chef-Vermittler geworden. Er hatte am Mittwoch bereits den saudischen Außenminister Adel al-Dschubeir in Berlin empfangen. Der Katarer Al-Thani will erst am Samstag den russischen Außenminister Sergei Lawrow treffen, wie es gestern am Rande des Treffens in Wolfenbüttel heißt.

Alles ist mit heißer Nadel gestrickt, doch der Austausch ist Gabriel und seinem Amtskollegen nach ein paar Telefonaten in den vergangenen Tagen enorm wichtig. Kurz bevor Gabriel und Al-Thani nach ihrem Vier-Augen-Gespräch vor die Medien treten, klärt Gabriel auf dem Flur aufgeregt letzte offene Fragen mit einer Mitarbeiterin aus dem Auswärtigen Amt. Scheich Al-Thani lässt nach der Toilette fragen.

Gabriel stellt fest: Im Dialog müsse alles für eine Aufhebung der See- und Luftblockade und eine Lösung der Probleme im Nahen Osten getan werden. Wichtig sei die Konzentration auf den eigentlichen Gegner: „die Terroristen des Islamischen Staates“. Katar sei Teil der Anti-IS-Koalition, die nicht durch größere Konflikte geschwächt werden dürfe.

Sein Land halte die Diplomatie für den besten Weg zur Lösung der Krise und nicht eine Eskalation, sagt auch Al-Thani.

Katars Rivalen wollen in der schwersten diplomatischen Krise am Golf seit Jahren erst nachgaben, wenn das Emirat seine Politik ändert. Katars Regierung zeigt sich auch unnachgiebig. Das wird klar, als Al-Thani über die neuesten Strafmaßnahmen der Nachbarstaaten gegen Katar spricht. In der Nacht zum Freitag hatten Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten 59 Personen und zwölf Organisationen mit angeblichen Verbindungen zu Katar auf eine „Terrorliste“ gesetzt. Für die Betroffenen bedeutet der Eintrag auf der „Terrorliste“ Kontensperren und erschwerte Auslandsgeschäfte.

Al-Thani weist die neuen Sanktionen als unbegründet zurück. Auf der „Terrorliste“ ständen zahlreiche Personen, die keinerlei Verbindung zu Katar hätten und auch nicht dort lebten. Die Maßnahmen gegen sein Land widersprächen internationalem Recht, sagt der Außenminister. „Wir leben doch nicht nach dem Gesetz des Dschungels.“

Gabriel warnt mit Blick auf die Geschichte Europas, dass dort der Abbruch von Gesprächen den Ersten Weltkrieg mit herbeigeführt habe. Die Isolation Katars wirke sich auf die deutsche und internationale Wirtschaft aus.

Gabriel scheut sich nicht, unbequeme Themen anzusprechen. Zur Wahrheit gehöre auch, dass viele Staaten in der Golfregion Organisationen unterstützten, von denen man in Deutschland und Europa der Überzeugung sei, dass sie gefährlich sind. Dazu gehöre Katar, aber auch einige Blockadeländer. „Saudi-Arabien zählt dazu.“ Wen er mit den „Organisationen“ meint, sagt Gabriel nicht. Es dürfte sich um die Muslimbrüderschaft, die Hamas oder auch um den IS handeln. „Sie werden nicht von der katarischen Regierung, aber von einzelnen Personen gefördert“, sagt Gabriel. Al-Thani verzieht dabei keine Miene.

Als die Dolmetscherin Gabriels Sätze zur Wahl in Großbritannien übersetzt, verlässt die katarische Delegation den Saal. Gabriel winkt seinem Amtskollegen auf den Treppenstufen der Bibliothek zu. Der winkt zurück, die Limousinen rauschen davon. Schnell sind 90 Minuten vorbei. Weltpolitik in Wolfenbüttel. Man wird sehen, was vom Treffen bleibt.