Braunschweig. Der Braunschweiger SPD-Landtagsabgeordnete Christos Pantazis spricht im Interview über Fehler bei der Integration, Schuldige und Konsequenzen.

Die Aufregung über die viele Zustimmung, die der türkische Präsident Erdogan beim Referendum gerade in Deutschland erfahren hat, will sich nicht legen. Zu denen, die das Thema heftig berührt, gehört der SPD-Landtagsabgeordnete Christos Pantazis. Der Braunschweiger ist Sprecher seiner Fraktion für Migration und Teilhabe. Stefan Simon sprach mit Pantazis über die Lage nach dem Referendum.

Herr Pantazis, das Referendum liegt acht Tage zurück. Was sagen Sie zu dem Wahlverhalten der Türken in Niedersachsen?

Ich kann das immer noch nicht nachvollziehen. Aber vielleicht lässt es sich so sagen: Diejenigen, die mit Ja abgestimmt haben, haben unsere humanistische Werteordnung nicht verinnerlicht.

Sie fordern ein klaren Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz, unter anderem vom Moscheeverband Ditib. Außerdem sagen Sie, dass zu einer gelungenen Integration gehöre, dass türkische Gemeinden sich von Erdogans Politik distanzieren sollen. Wie wollen sie einen Verband wie Ditib, der doch unter der Kontrolle der türkischen Regierung steht, dazu bewegen, sich genau von dieser zu distanzieren?

Ich verlange, dass Moscheeverbände wie Ditib sich vom türkischen Staat abnabeln. Das bedeutet dass sie die angekündigten Satzungsänderungen endlich vollziehen und Imame nicht länger aus der Türkei beziehen. Ferner erwarte ich, dass Politik nicht mehr in den Moscheen betrieben wird, wie sie durch führende AKP-Politiker, wie Mehdi Eker, in Hannover, Braunschweig und Salzgitter jüngst erfolgt ist. Das muss ein Ende haben. Ich betone daher: die türkischstämmigen Menschen gehören zu uns, der politisch agierende Islam allerdings nicht!

Sie unterstellen indirekt, dass die hier lebenden Türken, die für das Referendum gestimmt haben, nicht an einer gelungen Integration interessiert seien. Aber nicht mal die Hälfte der Türken in Deutschland hat abgestimmt...

Diese Behauptung würde ich mir nie zu eigen machen. Für mich ist eine teilhabeorientierte Integrationspolitik nicht nur mit Sprach- und Arbeitsvermittlung, sondern vielmehr mit der Vermittlung unserer humanistischen Normen und Werte, wie sie in unserer Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben, verbunden.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses in diesem Fall offensichtlich mehrheitlich nicht gelungen ist und hieraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Ich finde, es wird allerhöchste Zeit für eine Integrationskonferenz, auf der sämtliche Fragen einer gelingenden Integration diskutiert werden.

Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass die Integration von Türken in Niedersachsen weitestgehend gescheitert ist?

Nein. Es kann allerdings nicht sein, dass man für ein autokratisches System ist, für die Todesstrafe, für die Inhaftierung von kritischen Journalisten, für das Einsperren von politischen Konkurrenten, und sich dann beschwert, in Deutschland nicht als Deutsche akzeptiert zu werden. Das geht nicht. Da ist Integration sehr wohl gescheitert, und die Schuld liegt hier nicht nur bei Deutschland

Denken Sie, dass alle Türken, die mit Ja stimmten, tatsächlich hinter Erdogan stehen? Vielleicht fühlen sie sich nicht als Deutsche, weil die Integration von Türken seit den 50er Jahren vom deutschen Staat zum Teil gescheitert ist. Daher ist es doch auch ein Versagen des deutschen Staates, die größte Minderheit Deutschlands nicht richtig integriert zu haben.

Sicherlich haben wir integrationspolitisch Fehler begangen, unter denen etwa auch ich gelitten habe. Streng genommen gab es lange Zeit keine teilhabeorientierte Integrationspolitik. Erst mit dem Regierungswechsel 1998 unter Rot-Grün hat sich die Integrationspolitik gewandelt und nimmt seither die Belange der Einwanderer in den Blick. Seither sind allerdings 20 Jahre vergangen, daher kann es nicht sein, dass ständig Fehler auf Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft gesucht werden. Auch auf Seiten der Einwanderer gilt es die Integrationsbereitschaft zu hinterfragen.

Gehen sie als griechischstämmiger Deutscher nicht etwas zu hart ins Gericht mit den Türken?

Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage. Im Gegenteil, ich fühle mich der Türkei sehr verbunden. Wir müssen allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass einige Türken in Deutschland nicht angekommen sind. Wie kann es sein, dass in türkischen Metropolen wie Ankara, Izmir und Istanbul die Mehrheit mit Nein stimmt, aber in den deutschen Großstädten wie Hannover, Stuttgart und Köln mit Ja? Diese Grundsatzfrage gilt es zu beantworten, und hier tut eine werteorientierte Debatte Not.