Gifhorn. Familie Krosi droht die Abschiebung. Eine Gifhorner Gemeinde stemmt sich dagegen.

Unser Leser Torsten Römer aus Salzgitter fragt:

Müssen sich Kirchen unbedingt in die Politik einmischen?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Noch ist es nicht so weit. Familie Krosi aus Albanien darf noch bleiben. Vater Jetnor, Mutter Elsiana und die Zwillinge Noel, Xhoel sowie der kleine Anduel leben derzeit in einer provisorisch eingerichteten Wohnung im Pfarrhaus der katholischen Kirchengemeinde St. Altfrid in Gifhorn. In der Wohnung unter ihnen wohnt der Pfarrer. Wenn die Kinder spielen, hört er es Poltern.

Doch wie lange die Familie noch bleiben darf, das weiß sie nicht – obwohl Noel einen schweren Herzfehler hat. Im Herbst müsste der kleinere und schmächtigere der Zwillinge wieder operiert werden, doch das Gesundheitsamt des Landkreises Gifhorn stuft Noel als transportfähig ein. Eine Stellungnahme des Landkreises lag am Mittwoch noch nicht vor.

Da Albanien ein sicheres Herkunftsland ist, durfte die Familie bisher nur wegen des kranken Sohnes bleiben. Doch nun droht die Abschiebung.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Vater Muslim ist, die Mutter katholische Christin. Die Zwillinge wurden in St. Altfrid getauft, der jüngste Sohn soll bald, an seinem zweiten Geburtstag, getauft werden. So ist es Brauch in Albanien.

Die Familien der Eltern wollten die Heirat von Jetnor und Elsiana verhindern. Elsianas Vater zeigte die beiden sogar an. Die Familien halten sich strikt an das alte Gewohnheitsrecht der Albaner, an den sogenannten Kanun. Eine Heirat zwischen Muslim und Christin sieht dieser nicht vor. Eine Rückkehr nach Albanien hätte drastische Folgen für die Familie, sagt Elsiana: „Wir haben Angst um unser Leben, wenn wir zurückkehren müssen. Wir haben Angst vor meinem Vater, vor Schwierigkeiten mit den Menschen in der alten Heimat.“

So weit soll es gar nicht erst kommen. Pastoralreferent Martin Wrasmann hat bereits einen Antrag bei der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen gestellt. Doch die Erfolgsaussichten schätzt er gering ein. „Dann käme für unsere Kirchengemeinde das Kirchenasyl infrage. Das werden wir dann prüfen.“

Seit Jahrzehnten gewähren die beiden großen Kirchen in Deutschland Menschen zeitweise Obhut, die sich verfolgt und bedrängt fühlen, denen in der Heimat Diskriminierung, Folter oder Tod drohen. Denn der Schutz von Verfolgten ist tief im christlichen Selbstverständnis verwurzelt. „Wir wissen zurzeit von 323 Kirchenasylen mit mindestens 547 Personen, davon sind 145 Kinder“, sagt der Referent der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Jan Rouven Drunkenmölle. Viele kämen aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran. Die Tendenz ist steigend.

Den größten Anteil am Kirchenasyl haben die Dublin-Fälle. Menschen also, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland kamen und in diesem Land auch ihr Asylverfahren durchlaufen müssen. Sie sind eigentlich zur Ausreise verpflichtet – wenn Kirchengemeinden sich nicht für sie einsetzen würden.

Der deutsche Staat duldet dieses Hilfsangebot. Das hinderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor zwei Jahren nicht daran, die Kirchen heftig zu kritisieren. Ergebnis der folgenden Debatte war eine Vereinbarung zwischen den großen christlichen Kirchen und dem Staat.

Danach werden die Fälle von Menschen im Kirchenasyl vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) nochmals individuell geprüft– auf Basis eines Dossiers, das Betroffene und Helfer in den Gemeinden schreiben. Oft mit dem Ergebnis, dass die Flüchtlinge zumindest vorerst in Deutschland bleiben dürfen, häufig auch dauerhaft.

Darauf hofft auch Familie Krosi. Vater Jetnor sagt: „Wir fühlen uns wohl in Gifhorn, es ist unsere neue Heimat geworden.“ Der gelernte Fensterbauer würde gerne arbeiten, so schnell wie möglich. Ein Fugenbauer aus Gifhorn, der ebenfalls aus Albanien kommt, würde ihn sofort einstellen. Der Arbeitsvertrag liegt unterschriftsreif beim Landkreis Gifhorn. Doch der Landkreis legte sein Veto ein. Schließlich soll die Familie Deutschland verlassen.

Die Kinder haben keinen Rechtsanspruch auf einen Platz im Kindergarten. Einen Sprachkurs besucht die Familie jeden Freitag. Dennoch sprechen die Eltern bisher nur wenig Deutsch, die Kinder gar nicht.

Und doch hat die Familie realistische Chancen, in Gifhorn zu bleiben. Das sagt Pastoralreferent Wrasmann – notfalls eben mit dem Druckmittel Kirchenasyl: „Auch wir als Kirchengemeinde können den Rechtsstaat nicht auf den Kopf stellen. Aufgrund der Gefahr religiöser Verfolgung und des schlechten Gesundheitszustandes des Sohnes werden wir im Notfall jedoch sämtliche Rechtsmöglichkeiten anwenden .“

Die beiden großen Kirchen sind sich ihrer Verantwortung bewusst und betonen, dass sie das Kirchenasyl nur in besonders begründeten Ausnahmefällen aussprechen. Auch in der Landeskirche Braunschweig gibt es derzeit zwei Fälle. Die Landeskirche will nicht sagen, um welche Gemeinden es sich handelt, woher die Flüchtlinge stammen. Das zeigt, wie heikel das Thema ist.

Michael Strauß, Sprecher der Landeskirche Braunschweig, sagt: „Die Gemeinden stellen sich nicht über geltendes Asylrecht. Sie bemühen sich aber, das Asylrecht sensibler auf den konkreten Fall zu prüfen.“

Die Motivation für Kirchengemeinden ist laut Strauß klar: „Aufgrund der biblischen Überlieferung setzt sich gerade die Kirche im Sinne der Nächstenliebe für Flüchtlinge ein.“ Das sei auch die Linie der Landeskirche, wenn es zu Härtefällen käme. „Wenn einzelne Kirchengemeinden zu dem Schluss kommen, im begründbaren Einzelfall Kirchenasyl anzubieten, dann unterstützen wir das.“

Laut Pastoralreferent Wrasmann werden die Gemeinden in Deutschland Flüchtlingen immer häufiger Kirchenasyl gewähren, wenn der Staat mehr und schneller abschiebt. Wrasmann: „Das Asylrecht sah vor fünf Jahren noch anders aus als heute. Es sollte unangetastet bleiben, unabhängig von der politischen Lage und der Flüchtlingssituation in Deutschland.“

Lesen Sie dazu auch den Leitartikel von Andre Dolle.