Braunschweig. Anke Kaysser-Pyzalla wurde zur Nachfolgerin von TU-Präsident Jürgen Hesselbach gewählt. Im Interview spricht sie über ihre Pläne und die Region.

Die Nachfolgerin von Professor Jürgen Hesselbach ist gewählt: Anke Kaysser-Pyzalla wird neue Präsidentin der TU Braunschweig – einen positiven Ausgang der nun anstehenden Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium vorausgesetzt. Armin Maus und Johannes Kaufmann sprachen mit der Maschinenbau-Professorin und Wissenschaftlichen Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB) über ihre Pläne für die TU und ihre Sicht auf die Region.

Einer Wissenschaftlerin Ihres Renommees stehen viele Türen offen. Was reizt Sie speziell an dieser Hochschule und vielleicht auch dieser Region ?

Ich kenne die Universität aus der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsens, aber auch aus Gutachterverfahren, an denen ich beteiligt war. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Vertreter der TU immer sehr engagiert aufgetreten sind, für ihre Hochschule geworben und ein Bild der Eintracht vermittelt haben. Das ist keinesfalls selbstverständlich. Darüber hinaus hat die TU auf meinem Fachgebiet beachtliche Forschungsergebnisse vorzuweisen, also im Maschinenbau, der Energietechnik und der Physik. Durch die Zusammenarbeit mit der Industrie ist die Hochschule auch weit über die Region hinaus bekannt. Dabei geht es nicht nur um Volkswagen. Ich habe lange Zeit Stahlforschung betrieben, da ist mir Salzgitter Stahl gut bekannt. Ich habe gute Kontakte zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Und als ehemalige Segelfliegerin ist mir auch die „Akaflieg“ in Braunschweig ein Begriff, ebenso die verschiedenen Luftfahrt-Behörden in der Stadt.

Schreckt Sie die Übernahme eines so großen Verwaltungsapparats und einer Hochschule, die von einem Rekord zum nächsten jagt auch etwas? Oder dass sie in der Region eine so große Wertschätzung genießt?

Finden Sie das erschreckend? Ich finde das positiv, vor allem auch, dass die TU innerhalb der Region eine solche Bedeutung hat. Das ist nicht bei allen Universitäten der Fall. In Lüneburg, wo ich wohne, ist es dem Präsidenten gelungen, die Universität im Stadtbild zu verankern. Inzwischen sind die Lüneburger stolz auf ihre Uni. Nur dadurch kann die Hochschule überhaupt ihrer Verpflichtung nachkommen, sich spürbar in gesellschaftlichen Diskussionen einzumischen. In Braunschweig ist das ähnlich. Hier ist die TU nicht nur durch die Forschungszentren, sondern auch durch die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften deutlich sichtbar.

Lüneburg ist nicht weit weg. Kommen Sie nur zum Arbeiten oder auch zum Wohnen in die Region?

Ich kann mir nicht vorstellen, Präsidentin einer Universität zu sein, ohne in der Stadt zu wohnen.

Sie waren die einzige, die gestern zur Wahl stand. Hätten Sie sich auch auf eine Kampfkandidatur eingelassen?

Nein. Das hätte auch dem HZB massiv geschadet, und das wollte ich nicht.

Mit welchem Gefühl verlassen Sie Ihr Helmholtz-Zentrum?

Der Strategieprozess des Helmholtz-Zentrums Berlin von 2013 gibt die Entwicklung vor, die Planung für die nähere Zukunft steht fest und ist genehmigt. Wir hatten zuletzt herausragende Berufungen von Wissenschaftlern aus dem Ausland und sind beim Einwerben von Nachwuchsgruppen erfolgreicher als erwartet. Vor drei Wochen haben wir an unserem Synchrotron, zu dessen Verbesserung wir nun Geld vom Land Berlin erhalten, ein neues Institut eingeweiht. Insgesamt ist das HZB hervorragend aufgestellt. Es hat einen ausgezeichneten kaufmännischen Geschäftsführer. Meinen Nachfolger erwartet also eine traumhafte Situation. Das macht mir den Abschied leichter.

Sie wechseln von einem Forschungsinstitut an eine Hochschule. Das bedeutet mehr Lehre, mehr Verwaltung, mehr Landespolitik. Was reizt sie daran?

Lehre und Forschung befruchten sich. Auch bei uns am HZB sind die leitenden Wissenschaftler zugleich Professoren an Universitäten. Ich bin beispielsweise Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Wir haben auch viele Angebote für Studierende am HZB, von Sommerschulen, über Praktika bis zu Bachelor- und Masterarbeiten. Und natürlich machen viele ihren Doktor bei uns. Das ist mir wichtig und bereitet mir auch Freude. In meiner Zeit an der TU Wien habe ich beispielsweise freiwillig an der FH Technikum die Abendveranstaltungen für berufstätige Studierende gegeben, weil mir das einfach Spaß gemacht hat. Das finde ich attraktiv an einer Universität, ebenso wie die Vielfalt: Man trifft verschiedene Disziplinen und viele verschiedene Altersgruppen.

Stichwort Vielfalt: Ihr Vorgänger ist Maschinenbauer, sie sind es auch. Bekommt die TU eine ingenieurwissenschaftliche Schlagseite?

Dass es solche Befürchtungen gibt, ist normal. Ich kann nur sagen, dass ich mich dafür einsetzen werde, dass auch die Geistes-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften in allen Belangen berücksichtigt werden. Ich persönlich finde es auch wichtig und interessant, dass diese Vielfalt an der TU besteht. Und die Statistiken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) belegen, dass in allen Fächern Menschen sehr erfolgreich beim Einwerben von Drittmitteln sind, was zeigt, dass sie kompetitiv und gut sind.

Tut es einem Maschinenbauer gut, wenn er in der Mensa auch mal einen Historiker trifft?

Bestimmt. Vor allem finden es die Maschinenbauer gut, wenn Sie Historikerinnen treffen.

Sie sind eine von zwei Frauen, die in Deutschland eine Technische Universität leiten. Hat das für Sie eine besondere Bedeutung?

Ehrlich gesagt nicht.

Die technischen Fächer gelten als Männerdomäne. Sind sie das noch?

Was die Zahlen angeht, ist das so. Etwa 17 Prozent der Studierenden im Maschinenbau sind Frauen. Auf der anderen Seite ist dort der Frauenanteil bei Studierenden, Promovierenden und Professoren in etwa gleich groß.

Das ist ungewöhnlich. Haben Sie eine Idee, woran das liegt?

Da könnte ich nur mutmaßen. Maschinenbauer scheinen durchaus fortschrittlich zu sein.

Jürgen Hesselbach hat aus einer sehr breit aufgestellten Universität eine klar profilierte Hochschule gemacht. Was zeichnet in Ihren Augen die TU aus?

Ich habe natürlich nur einen Eindruck von außen. Besonders finde ich die enge Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Einrichtungen wie dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, der PTB, auch den Behörden und vor allem den Unternehmen – nicht allein im Maschinenbau. Das zeigt eine starke Anwendungsorientierung. Auch bei den Naturwissenschaften, den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sowie in den ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten gibt es renommierte Wissenschaftler an der TU. Ich sehe es als Stärke, dass zu den gewählten Schwerpunkten der Universität Mobilität oder Infektionen und Wirkstoffe, Stadt der Zukunft und Metrologie viele verschiedene Fakultäten beitragen können.

Für manchen Braunschweiger überraschend hat die TU sich nach Wolfsburg geöffnet. Was halten Sie von diesem Modell, lediglich einen Rahmen für die Kooperation mit VW zu schaffen, der anschließend von Forschungsprojekten gefüllt wird?

Ich finde es sehr vernünftig, nicht sein ganzes Geld in Beton zu investieren, sondern sich Flexibilität zu erhalten. Wie klug das ist, zeigt sich an der aktuellen Umstrukturierung bei Volkswagen. Für die TU ist die Offenheit für neue Technologien eine Chance.

An der Universität gibt es aber auch kritische Stimmen zur Öffnung gegenüber der Industrie.

Ich finde diesen Weg richtig, weil er der TU ein Alleinstellungsmerkmal bietet. Auch Hochschulen stehen schließlich in Konkurrenz zueinander. Darüber hinaus ist eine Universität immer ein Platz des Diskurses. Ich gehe also davon aus, dass hier keine unkritische Zusammenarbeit mit der Industrie erfolgt.

Der Anteil der Drittmittel am Gesamtbudget der Hochschule steigt kontinuierlich. Besteht nicht die Gefahr, dass die TU zu abhängig und dadurch die Forschungsfreiheit eingeschränkt wird?

Eine Universität besteht aus vielen verschiedenen Mitgliedern und Lehrstühlen. Es gibt keinen Zwang zur Zusammenarbeit mit der Industrie. Es gibt ein Angebot, das man auch ablehnen kann. Aber es ist grundsätzlich gut, dass es das Angebot überhaupt gibt, denn das wird nicht jedem gemacht. Dafür muss man gut sein. Es ist also zunächst einmal eine Auszeichnung. Aufgabe der Universität ist es, davon unabhängig jedem Forschungsmöglichkeiten zu eröffnen, etwa indem sie den Fakultäten eine gute Grundausstattung zur Verfügung stellt. Grundlagenforscher, die frei von Anwendungsbezügen arbeiten wollen, können sich darüber hinaus bei der DFG oder bei Stiftungen um Mittel bewerben.

Ich hoffe sehr, dass wir zukünftig noch mehr Gelder bei der DFG für Sonderforschungsbereiche und Forschergruppen einwerben können.

Haben Sie da schon Ideen? Sie selbst bringen ja Erfahrungen aus der Photovoltaik und der Energieforschung mit.

So etwas muss aus den Fächern und Instituten heraus entstehen. Das ist der Unterschied zwischen einer Universität und der Helmholtz-Gemeinschaft. Das Präsidium hat die Aufgabe, diese Prozesse zu unterstützen.

Sie sind Kuratorin an der PTB. Lässt das auf eine zukünftig größere Nähe schließen?

Ganz sicher. Die PTB ist ein Juwel mit einem international herausragenden Ruf. Der Schwerpunkt Metrologie bietet Studierenden Chancen, die es woanders nicht gibt. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Außerdem hat die PTB vielfältige Industriepartnerschaften in ganz anderen Sektoren als den in der Region üblichen.

In welche Richtung möchten Sie die TU weiterentwickeln?

Ich will die Uni erst einmal richtig kennenlernen. Ganz spontan würde ich mir einen etwas bunteren Campus wünschen. Kunst könnte ich mir da gut vorstellen, etwas das Freude macht. Wichtig finde ich außerdem die Zufriedenheit der Studierenden und die Frage, wie sich durch das Management die Qualität des Studiums kontinuierlich steigern lässt. Spannend wird es auch, zu diskutieren, welchen neuen Gruppen von Studierenden man zukünftig attraktive Angebote machen kann.

Jürgen Hesselbach hinterlässt große Fußspuren. Macht Ihnen das Sorgen, oder sind Sie da furchtlos?

Ich beerbe ihn ja nicht. Er bleibt uns in Braunschweig zum Glück erhalten. In Berlin habe ich auch zwei Vorgänger, die ich sehr schätze und die weiterhin für das HZB stehen. Es würde mich freuen, wenn ich mit Professor Hesselbach zukünftig auch so zusammenarbeiten könnte.

Sind sie jemand, der ähnlich wie Ihr Vorgänger gerne öffentlich auftritt?

In Berlin mache ich das für das HZB, persönlich habe ich kein großes Interesse an öffentlichen Auftritten. Ich singe nicht, und mache auch sonst nichts Besonderes. Aber wenn es wichtig ist und meiner Institution etwas bringt, betrete ich jede Bühne.

Dies ist Ihr erstes Interview in der Braunschweiger Zeitung. Was würden Sie unseren Lesern gern sagen?

Dass ich die Region wirklich sehr interessant finde. Ich wundere mich ein bisschen, dass mich hier jeder ganz überrascht fragt, ob ich wirklich nach Braunschweig will. Ich hab mich schon gefragt, ob hier noch irgendwas Furchtbares schlummert, das ich noch nicht bemerkt habe.

Ab wann werden Sie die Amtskette vom TU-Präsidenten übernehmen?

Jetzt stehen erst einmal die Verhandlungen mit dem Ministerium an. Professor Hesselbach möchte zum 31. März 2017 sein Amt niederlegen.