Braunschweig. Porträt über Harald Welge: Pfarrer im Ruhestand, Reisender, Schauspieler, Schiffsseelsorger und langjähriger Kopf der Stiftung Ökumenisches Lernen.

„Nach draußen gehen und Neues lernen“ – ein Satz von Harald Welge, der das treibende Motiv seines Lebens genau trifft. Für den Pastor im Ruhestand war früh klar, dass er über jeden Tellerrand blicken möchte. Schon als Kind fuhr er lieber mit dem Roller durch die Gegend, statt im Kindergarten zu basteln. Und später als Referatsleiter im Landeskirchenamt schubste er seine Studenten regelrecht auf die Reise. „Ihr müsst ins Ausland“, appellierte er. Und gründete die Stiftung Ökumenisches Lernen. Nicht nur für die Theologiestudierenden, sondern für alle Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen.

Auf Reisen war Harald Welge schon als Kind. Oder eher auf Ausflügen. Auf jeden Fall unterwegs. Von der Sonnenstraße aus, wo er 1954 geboren wurde, zog er seine Kreise immer größer. Die Eltern betrieben die Fleischerei Welge. Ein erfolgreicher Handwerksbetrieb. Vater und Mutter im Geschäft, Harald und der vier Jahre ältere Bruder genossen die Freiheit im zerbombten Nachkriegs-Braunschweig.

„Als ich fünf Jahre alt war, fragte mich meine Mutter, ob ich auch in den Kindergarten gehen möchte“, erzählt er. Das wollte er auf keinen Fall.

„Meine Mutter hätte sich schon gefreut, wenn ich Schlachter geworden wäre“

Die Eltern ließen den Kindern ihre Freiheit. Auch in der Berufswahl. Vermutlich wussten sie aus eigener Erfahrung, was es heißt, nicht frei entscheiden zu können. Der eigentlich als Nachfolger für die Fleischerei vorgesehene Cousin war im Krieg gefallen, so musste Haralds Vater den Betrieb übernehmen. „Dabei hatte er von einer Karriere als Sportler geträumt“, erinnert sich Harald Welge. Auch die Mutter musste im Geschäft mitarbeiten, obwohl sie vermutlich nach dem Abitur andere Träume hatte. „Wir trafen eines Tages im Bürgerpark ihren alten Lateinlehrer und der sagte mir, sie sei die beste Lateinschülerin gewesen, die er gehabt hatte“, erzählt Harald Welge von den Talenten seiner Mutter.

Immerhin. Für ihre Kinder setzen die Eltern andere Kriterien an.

„Meine Mutter hätte sich schon gefreut, wenn ich Schlachter geworden wäre“, weiß Harald Welge. Aber das kam für ihn nicht in Frage. Und die Eltern haben seine Entscheidung akzeptiert. „Eigentlich wollte ich Kind bleiben“, erzählt er lachend. Mit 8 oder 9 Jahren verkündete der Junge, dass er sein Leben lang spielen möchte.

Dieses spielerische Element hat sich der Mann bewahrt. Noch heute mit fast 70 strahlt Harald Welge Freude und Leichtigkeit aus.

Das kommt gut an. Die Menschen mögen ihn. Noch vor der Grundschule hatte er seinem Bruder das vergessene Pausenbrot in die Schule gebracht. Eine Lehrerin nahm ihn begeistert in den Arm. Sie hatte ihn sofort ins Herz geschlossen. Später, in der dritten Klasse, bat ihn dieselbe Lehrerin, Aufsicht in der 1. Klasse zu übernehmen. „Ab da war für mich klar: Ich werde Lehrer“, erzählt Harald Welge heute.

Er hat einst Braunschweigs späteren Oberbürgermeister Markurth unterrichtet

Auch im Konfirmandenunterricht wurden ihm früh die jüngeren Gruppen anvertraut. „So habe ich beispielsweise den späteren Oberbürgermeister Ulrich Markurth unterrichtet“, weiß Harald Welge noch genau. Daraus wuchs eine Freundschaft, die bis heute hält.

Die Nähe zur Kirche, die Liebe zur Literatur, zu Texten von Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt führten zum Studium in Göttingen und Tübingen. „Und es war plötzlich eine Klarheit, du studierst Theologie“, erinnert er sich. Im zweiten Seminar kam schon die Geschichte dazu, also ein Doppelstudium. Mit der Option an der Uni zu bleiben, in der Wissenschaft.

Ein Anruf aus Braunschweig änderte die Richtung. Sein ehemaliger Klassenlehrer war inzwischen stellvertretender Schulleiter am MK. „Willst du hier nicht unterrichten?“, fragte er.

Braunschweig lockte. „Mein Hund Bobby war ja auch noch da“, erinnert sich Harald Welge an das Heimweh.

Harald Welge hat am Studienseminar in Braunschweig für Religion teilgenommen. Die Zeit, in der er die Stiftung Ökumenisches Lernen gründet. „Das war bundesweit einzigartig“, erzählt er.

Enge Freundschaften zu ehemaligen Schauspielern vom Staatstheater

Bis vor wenigen Monaten hat er die Stiftung als Vorstand geleitet. Auch in seinen langen Jahren als Pastor erst in Fümmelse und Salzgitter-Drütte, später in Sonnenberg und Timmerlah, blieb die Stiftung ein Herzensprojekt.

Wie auch das Unterrichten. Und die Liebe zum Theater. Gern wäre er auch Schauspieler geworden, geblieben sind zumindest enge Freundschaften zu ehemaligen Schauspielern vom Staatstheater, die jetzt in Leipzig und Dresden engagiert sind.

Der ehemalige Intendant Wolfgang Gropper zum Beispiel hat seine legendäre Weihnachtslesung auf Bayerisch nur einmal außerhalb des Staatstheaters gelesen: Bei Harald Welge in der Zwiebelturmkirche in Timmerlah. „Im Grunde verbindet der Beruf des Pastors ja alle Elemente, die mir wichtig sind“, sagt er, „auch als Pastor spielst du verschiedene Rollen.“ Harald Welge hat alle Rollen angenommen. Und ausgefüllt. Als Urlaubsseelsorger in Frankreich, als Schiffsseelsorger auf der MS Europa, als guter Zuhörer in Trauergesprächen, als kluger Prediger bei Hochzeiten, Taufen und ungezählten Gottesdiensten. Überall auf der Welt.

In Tansania nennen sie ihn den „weißen Massai“

Viele Menschen hat er kennengelernt. Viele Freundschaften sind geblieben. Er zeigt auf sein Armband. „Von Paolo in Tansania“, sagt er. Sie nennen ihn dort: den weißen Massai.

Gerade schmiedet er wieder Reisepläne. Zum x-ten-Mal mit einer Gruppe nach Jerusalem. „Aber erst im Januar“, erzählt er. Jetzt müssen Kisten ausgepackt werden. Mit dem Ruhestand ist Harald Welge mit seiner Frau aus dem Pfarrhaus in Timmerlah in die Innenstadt gezogen. Ein schönes Haus am Bürgerpark, vom Opa gebaut, direkt an der Oker, ist ihr neues Zuhause.

Sein Gott scheint es gut mit Harald Welge zu meinen. Immer zur richtigen Zeit, am richtigen Fleck, im richtigen Beruf. Was für ein Glück für ihn. Und für die Menschen, die er begleitet hat. Und weiter begleitet.

Stiftung Ökumenisches Lernen

Bis zu zwölf Schülerinnen und Schüler werden jährlich – unabhängig ihrer religiösen Zugehörigkeit – als Stipendiatinnen und Stipendiaten in die Stiftung aufgenommen, nachdem sie erfolgreich an einem Ausschreibungswettbewerb teilgenommen haben.

Neben einer Förderung und verschiedenen Angeboten, wie gemeinsamen Freizeiten, gibt es die Möglichkeit, ein Auslandsjahr bei einer der Partnerorganisationen absolvieren.

Aktuell befinden sich Freiwillige in England, Frankreich, Namibia, Tansania, Japan sowie Israel und Palästina und sind dort in verschiedenen Einrichtungen wie zum Beispiel Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Pflege- und Sozialeinrichtungen tätig.

Anmeldungen sind bis 17. Mai möglich. Infos: https://oekumenisches-lernen.de/

Mehr Nachrichten aus Braunschweig:

Mehr wichtige Nachrichten aus Braunschweig lesen:

Täglich wissen, was in Braunschweig passiert: Hier kostenlos für den täglichen Braunschweig-Newsletter anmelden!Hier kostenlos für den täglichen Braunschweig-Newsletter anmelden!