Braunschweig. Schockierende Unglücksfälle rufen die Politik auf den Plan. Und was antwortet die Braunschweiger Stadtverwaltung?

Es waren Unglücke an Straßenbahn-Haltestellen, die die Stadtgesellschaft schockierten. Im Januar 2020 war der 11-jährige Liam an der Haltestelle Siegfriedstraße im Bereich Bienroder Weg/Ottenroder Straße unter die einfahrende Tram geraten und getötet worden. Die Schulkinder waren unterwegs zum Schwimmen in der Wasserwelt.

Und erst kürzlich geschah es an der Haltestelle Luisenstraße im Westlichen Ringgebiet: Ein Junge, ebenfalls 11, wurde unter einer einfahrenden Straßenbahn eingeklemmt. Er überlebte schwer verletzt. Viele weitere Schulkinder wurden auch hier Zeugen des Unfalls und mussten seelsorgerisch betreut werden.

Jetzt hat dieser schwere Unfall ein politisches Nachspiel.

Wird regelmäßig von Schülern benutzt: Trampelpfad über die Gleise an der Haltestelle Luisenstraße im Westlichen Ringgebiet.
Wird regelmäßig von Schülern benutzt: Trampelpfad über die Gleise an der Haltestelle Luisenstraße im Westlichen Ringgebiet. © Henning Noske

Unsere Zeitung hatte berichtet, es gebe Sicherheitsrisiken an der Haltestelle Luisenstraße im Einzugsbereich gleich mehrerer Schulwege. Ein deutlich sichtbarer Trampelpfad über die Schienen direkt an der Unglücksstelle in der Verlängerung einer gepflasterten Markierung für Straßenbahnfahrer könne auch in Zukunft mögliche weitere Unfälle auslösen.

Gefährliche Trampelpfade – die Ratsfraktion der BIBS fragte jetzt die Stadtverwaltung danach

Die Redaktion beobachtete, wie der Trampelpfad – nur wenige Meter von einem regulären Ampel-Überweg entfernt – regelmäßig von Schülern benutzt wird.

Nun fragte die Ratsfraktion der BIBS die Stadtverwaltung, was sie zu tun gedenke. Eine Befragung von VCD und dem Verband Bildung und Erziehung zeige, dass Eltern besondere Schulwegrisiken bei Überquerungen sähen „und sich dringend eine infrastrukturelle Verbesserung und mehr sichere Überquerungsmöglichkeiten wünschen“.

Dazu zähle auch, „dass besonders einladende Möglichkeiten, eine Straße oder Schienen abseits der offiziellen Wege zu überqueren, bestmöglich beseitigt werden müssen“.

Der Trampelpfad an der Luisenstraße sei der Beweis, dass dieser extrem häufig und seit Jahren aus Gewohnheit genutzte Überweg die Kinder dazu verleite, „ihr Wissen über sichere Wege außer Acht zu lassen und die Risiken zu unterschätzen, weil es ja ‘alle so machen‘.“ Nur über Gefahren aufzuklären, reiche also nicht aus.

Zudem fragte die BIBS, welche Haltestellen in Braunschweig die höchsten Risiken besonders in Zeiten des Schülerverkehrs laut aktueller Unfallstatistik bergen würden.

Stadt Braunschweig: Gitter zwischen den Gleisen an der Haltestelle Luisenstraße könnte Abhilfe schaffen

Die Stadt Braunschweig bestätigte jetzt ausdrücklich in Abstimmung mit der Braunschweiger Verkehrs-GmbH (BSVG), entlang des stadteinwärts führenden Gleises westlich der Haltestelle Luisenstraße sei ein rund 40 Meter langer Trampelpfad festzustellen. Und darüber hinaus gebe es noch einen Trampelpfad am Westende der Haltestelle senkrecht zu den Gleisen.

Dies weise „auf ein Queren der Straße hin sowie auf ein verbotswidriges Queren der Gleise“. „Das Betreten des besonderen Gleiskörpers außerhalb von Überwegen stellt gemäß Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen eine Ordnungswidrigkeit dar.“

Abhilfe könne tatsächlich ein Gitter zwischen den Gleisen schaffen.

Alternativ zu solch einem Mittelgitter, so die Stadtverwaltung, wäre die Errichtung eines weiteren Ampel-Überweges am Westende der Haltestelle über Gleis und Fahrbahnen denkbar. Auch „eine abwehrende Bepflanzung“ böte sich an, allerdings zeige die Erfahrung, „dass im Zweifel dann direkt auf den Gleisen gegangen wird“.

Welche Konsequenzen die Stadt aus diesen naheliegenden Erkenntnissen zieht, diese Information enthält die Antwort der Stadt auf die Ratsanfrage noch nicht. Die Haltestelle Luisenstraße entspreche den Regeln der Technik und sei von der Technischen Aufsichtsbehörde abgenommen, heißt es.

Planungen seitens der BSVG zu Veränderungen an der Haltestelle Luisenstraße bestünden aktuell nicht. Aber selbstverständlich sei man dort offen, „sich mit Änderungsvorschlägen zu befassen“. Der letzte, mit dem aktuellen Fall aber nicht vergleichbare Unfall an dieser Haltestelle habe sich 2014 ereignet.

Ein „strukturelles Sicherheitsproblem an Haltestellen“ wird nicht gesehen. Aber die Ablenkung durch elektronische Geräte hat stark zugenommen

Derzeit gebe es im Übrigen „keine Erkenntnisse der BSVG, die auf ein strukturelles Sicherheitsproblem an Haltestellen hindeuten“.

„Absolute Sicherheit zu jedem Zeitpunkt“ könne es nicht geben. „Ein Grundrisiko“ bestehe „für alle Verkehrsteilnehmenden, auch für Schülerinnen und Schüler“. Im Falle stark besuchter Haltestellen oder bei erkennbarer Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf den Gleisen herumlaufen, seien die Fahrer gehalten, langsamer zu fahren, gegebenenfalls zu klingeln „und erhöhte Bremsbereitschaft“ herzustellen.

Nach der Unfallstatistik der BSVG lasse sich laut Stadt an keiner Haltestelle ein erhöhtes Risiko für Passanten und Schüler feststellen. „Diese Art von Unfällen ist glücklicherweise derart selten, dass es sich um statistisch nicht sinnvoll auswertbare Einzelfälle handelt.“

Gleichwohl zu beobachten sei „eine Steigerung von kritischen Situationen durch die Ablenkung von Verkehrsteilnehmern, die auf die Nutzung elektronische Geräte (Smartphones, Kopfhörer und mehr) zurückzuführen ist“. Möglichkeiten zur Aufklärung gemeinsam mit der Polizei würden geprüft.