Braunschweig. Nach dem Einsatz beim Straßenbahn-Unglück in der Nordstadt: Interview mit Torge Malchau über Belastungen und Nachsorge für die Einsatzkräfte.

Rund 100 Einsatzkräfte waren beim Unglück in der Nordstadt im Einsatz, bei dem ein 11-Jähriger am 16. Januar an der Haltestelle unter eine langsam einfahrende Straßenbahn geriet und starb – auch für viele Helfer eine sehr belastende Situation. Wie sie dafür ausgebildet werden und wer sie anschließend betreut, darüber sprachen wir mit Braunschweigs Berufsfeuerwehr-Chef Torge Malchau, Leiter des Fachbereichs Feuerwehr der Stadt.

Wie werden die Erlebnisse, Eindrücke und auch Verletzungen, die bei bei so einem Einsatz entstehen, verarbeitet? Wie werden Kräfte und Mitarbeiter darauf vorbereitet?

Der Einsatz, von dem wir hier sprechen, war nicht nur für die Beteiligten, die Augenzeugen und die Angehörigen sehr belastend, sondern auch für die Einsatzkräfte. Am Anfang war ja nicht klar: Lebt der Junge noch? Können wir ihn retten? Das erste Ziel ist es natürlich, möglichst schnell zu der verletzten Person vorzudringen ...

… was sehr schwierig war, weil zunächst der Fahrstrom unterbrochen und die Tram vom Kran aus dem Gleisbett gehoben werden musste ...

… und während dieser Zeit sind alle Beteiligten mit dieser Situation konfrontiert, es wird auch geprüft, ob man in dieser Zeit bereits medizinische Maßnahmen an dem Patienten durchführen kann. Das heißt, die Kollegen sind sehr dicht an der verletzten Person. Schwierig ist es auch immer dann, wenn Kinder betroffen sind. Wir haben es auch hinterher in den Reaktionen auf den Einsatz gemerkt, auch in den sozialen Netzwerken. Es ist eine sehr große Betroffenheit zu spüren. Einsätze mit Kindern als Opfern werden von unseren Einsatzkräften als sehr belastend empfunden.

Es ist bekannt, dass dies kein Vorgang ist, den man mit gedanklichen Entscheidungen beeinflussen kann. Es handelt sich ebenfalls um Verletzungen, die eintreten. Wie werden die Einsatzkräfte in der Ausbildung darauf vorbereitet?

Wir gehen auf derart belastende Einsätze bereits in der Ausbildung ein, weil wir wissen, dass jede Kollegin oder jeder Kollege früher oder später belastende Einsätze haben werden. Und man muss dann eben wissen: Wie reagiert mein Körper in einer solch belastenden Situation? Was sind die Anzeichen? Woran erkenne ich, dass es sich diesmal nicht einfach abschütteln lässt? Und wir haben selbstverständlich auch professionelle Strukturen, in denen sich nach dem Einsatz um die Kollegen gekümmert wird.

Im konkreten Fall führten die näheren Umstände dazu, dass es sich um einen äußerst belastenden Unfall handelte. Wie ist das behandelt, wie nachbereitet worden?

Für die Kräfte, die direkt beim Jungen waren, haben direkt nach dem Einsatz die professionellen Mechanismen gegriffen. Sie sind nach dem Einsatz auf die Wache gekommen.

Im Einsatz selbst wird sehr viel über das körpereigene Adrenalin überspielt, so dass man dann „funktioniert“. Aber hinterher, wenn der Adrenalinspiegel sinkt, dann kommen die Symptome zum Tragen.

Wir haben dann die Betroffenen aus dem Dienst genommen, sie freigestellt, für entsprechenden Ersatz gesorgt, damit sie eben nicht sofort in einen Folgeeinsatz gehen müssen.

Es gab eine große Einsatz-Nachbesprechung. Wir haben Einsatz-Nachsorgeteams: Das sind speziell geschulte Kollegen, die wir in den Wachabteilungen, Führungsdiensten und bei den Hilfsorganisationen haben.

Sogenannte „Peers“ kümmern sich um die Betroffenen. Wir beobachten sie also fürsorglich. Oft ist es wichtig, dass sie nicht gleich nach Hause gehen. Auch Angehörige von Einsatzkräften können schwer belastet werden.

Gespräche sind wichtig, Ruhe, Aufmerksamkeit. Mancher geht auch aufs Laufband. Und wir haben unseren Feuerwehrseelsorger Pfarrer Olaf Engelbrecht, der die weitere Betreuung übernimmt.

Sie arbeiten auch mit ehrenamtlichen Notfallseelsorgern zusammen.

Ja, das ist die zweite Schiene. Das Einsatz-Nachsorgeteam wirkt nach innen für die Einsatzkräfte. Dazu kommen Notfallseelsorger, das sind die Kräfte, die Angehörige, Augenzeugen betreuen, es sind überwiegend Ehrenamtliche, ebenfalls unter der Leitung unseres Feuerwehrseelsorgers.

Sie haben eine spezielle Seelsorgerausbildung, um sich dann um Angehörige zu kümmern. Und auch die waren beim besagten Einsatz sofort alarmiert und haben von Beginn an die Betreuung der Schulkinder, die Augenzeugen des Geschehens wurden, in der ersten Phase übernommen.

Während all dies getan werden muss, scheint es mit der Rücksicht von Unbeteiligten am Unglücksort nicht weit her zu sein.

Tatsächlich ist es ein mangelnder Respekt vor den Anordnungen der Polizei und der Feuerwehr, den wir zunehmend feststellen müssen. Radfahrer, Fußgänger, Autofahrer – viele haben kein Verständnis dafür, wenn wir eine Straße sperren müssen. Sie fordern: Ich muss hier vorbei! Und wenn das dann eben einfach nicht geht, dann sind die Einsatzkräfte Diskussionen ausgesetzt, die nicht erträglich und nicht hinnehmbar sind.

Jeder sollte doch verstehen: Weder Polizei, noch Feuerwehr oder Rettungsdienst sperren etwas ab, um Passanten zu ärgern. Dies zu respektieren, bedarf es doch keiner Diskussion. Wenn man die erheblichen Belastungen sieht, von denen wir sprechen, dann habe ich Unverständnis dafür, wenn Unbeteiligte für weiteren Aufwand sorgen.