Braunschweig. In unserer Serie „Brutal modern“ zur Ausstellung im Landesmuseum heute die Folge über die Stadthalle in Braunschweig.

War wirklich alles schlecht, was zwischen 1960 und 1980 aus Rohbeton („beton brut“) gebaut wurde? Müssen die in dieser Zeit entstandenen Rathäuser, Bahnhöfe und Schulen abgerissen werden? Oder haben sie ihren ganz eigenen Charme? Das Braunschweigische Landesmuseum spürt diesen Bauten in der Ausstellung „Brutal modern“ nach. Sie läuft bis zum 7. Juli. Wir stellen einige Beispiele vor. Heute: die Stadthalle. Damit endet unsere Serie.

Am Ende der sehenswerten Schau im Landesmuseum darf der Besucher selber ran.Lohnt sich der Erhalt der Bauten der 1960er- und 1970er Jahre? Alle abreißen? Oder würde sonst etwas fehlen? Immerhin stehen diese Bauten ja als Zeitzeugen für Modernisierung, Demokratisierung und den Aufbruch einer dynamischen Gesellschaft.

Also dürfen die Museumsbesucher ein bisschen mit abreißen – oder eben nicht. Per Klebezettel. Und siehe da: Während der Braunschweiger Rathaus-Neubau dem vernichtenden Urteil kaum standhalten kann, ist das Echo in Bezug auf die Stadthalle immerhin geteilt. 50 Prozent sagen: „Dieses Gebäude ist mir wichtig und soll erhalten werden“! Nur ein Stimmungsbild. Aber bei der Eröffnung der neuen Stadthalle im September 1965 konnte unsere Zeitung noch titeln: „Tausende kamen und klatschten“. Lokalchef Karl-Joachim Krause notierte, was er immer wieder hörte: „Jetzt erst wissen wir richtig, was Braunschweig bisher gefehlt hat, und wie sehr es fehlte“.

Und dann ging’s los. 22,3 Millionen D-Mark hatte der Neubau der Stadthalle gekostet, eine Investition, die vor allem für drei Braunschweiger Wunden so etwas wie Balsam war:

Erstens war 1960 die Ruine des Residenzschlosses abgerissen worden, ein Vorgang, der die Stadtgesellschaft gespalten hatte wie kein anderer.

Zweitens drückte schwer die Zonenrandlage, eine Position, die immer mit dem Komplex verbunden war, nicht geschätzt und zu wenig berücksichtigt zu werden.

Und drittens drohte sogar ein Bedeutungsverlust gegenüber Nachbarn in der Region und im Land, insbesondere Wolfsburg und Hannover.

Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs beim Richtfest der Braunschweiger Stadthalle im Mai 1964.
Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs beim Richtfest der Braunschweiger Stadthalle im Mai 1964. © Archiv

Vor all dem sei und war die Stadthalle. Eine Erfolgsgeschichte, ein Aufbruch auch zu den (Fernseh-)-Sternen – und mithin zu höchsten Einschaltquoten im ganzen Land. Doch vor allem die Stadthallen-Architektur wird zum großen Wurf.

Das Schicksal der 1962 eröffneten alten Duisburger Mercatorhalle war 2005 besiegelt: Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hatte die Abrissgenehmigung für dieses Denkmal erteilt. Architekten waren Heido Stumpf und Peter Voigtländer, die auch für die 1965 eröffnete Braunschweiger Stadthalle verantwortlich zeichneten.

Doch während die fast wie ein Zwilling wirkende Duisburger Halle nach dem Abriss in einem „CityPalais“ neu errichtet wurde, schickt man sich in Braunschweig an, das Denkmal Stadthalle von April 2020 bis September 2021 umfassend zu sanieren und umzubauen. Derzeit dafür veranschlagte Kosten: 60 Millionen Euro.

Den Unterschied erklärt mit Uwe Birker ein Zeitzeuge und Kenner der Veranstaltungsbranche ersten Ranges. Birker war von 1983 bis 2010 Chef der Braunschweiger Stadthalle, leitete zuvor acht Jahre lang die Ostseehalle in Kiel. Jahrelang sprach er für den Internationalen Hallenverbband mit 300 Veranstaltungshäusern. Birker sagt: „Das Konzept der Stadthalle ist technisch, architektonisch und raumkonzeptionell ein Musterbeispiel und Modell für Veranstaltungs- und Kongresshallen dieser Art und Größe. Davon konnten wir in Braunschweig jahrzehntelang zehren“.

Bereits aus den Duisburger Erfahrungen hätten Stumpf und Voigtländer Mitte der 1960er Jahre für Braunschweig offenbar die richtigen Konsequenzen gezogen und schlicht einen großen Wurf hingelegt. Uwe Birker: „Ein Meisterstück der Architektur, das alle Wünsche für derartige Veranstaltungsbauten erfüllt.“

Was der Profi meint, ist vor allem eine umfassende, konsequente Funktionalität für Veranstaltungen aller Art – von 15 bis zu mehreren 1000 Teilnehmern. Eine kompromisslose Architektur in Sichtbeton. Zwei Kriterien ragen heraus.

Erstens: Eine maßgeschneiderte TV-Tauglichkeit der Stadthalle bis ins kleinste Detail spülte Braunschweig vor allem in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren in die deutschen Wohnstuben, wenn Peter Frankenfeld, Vico Torriani, Wim Thoelke, Rudi Carrell, Kulenkampff und Co. aus der Oker-Stadt heile-heile Welt funkten. Es gab ja für die ganz großen Quoten nur das Erste und das Zweite – und die Hallen-Shows waren noch Straßenfeger. Aber diese Zeiten sind vorbei.

Zweitens: Die Akustik der Stadthalle ist herausragend, man kann den Großen Saal mit Fug und Recht als Konzertsaal bezeichnen. Zur Erfolgsgeschichte gehört, dass die Stadthalle zur Heim-Philharmonie des Braunschweiger Staatsorchesters werden konnte. Schreiben könnte man jetzt noch viel, aber zur Statik dieser beiden Zeitungsseiten zur Stadthalle gehört auch, dass sie der Ästhetik der Ausstellung im Landesmuseum folgen: Großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien mit eher groben Zeilen. Brutale Zeiten eben.

Das macht Spaß, sich einmal so mit Architektur zu beschäftigen – das große Publikumsinteresse beweist es schließlich. Besonderer Dank gebührt somit auch den Fotografen jener Zeit, analogen Artisten, die noch schwarz-weiß zu komponieren verstanden. Chapeau! Und den Rest diskutieren wir dann ganz gelassen am Ende der Ausstellung.