Bad Lauterberg. Marina-Luisa Janssen protestiert gegen Gesundheitsminister Lauterbach, rechte Communitys teilen den Protest - das ärgert die Apothekerin sehr.

Marina-Luisa Janssen ist sauer. Sehr sauer. So sehr, dass sie das sogar auf den Kassenzetteln in ihrer Janssen Apotheke druckte: „Im Übrigen sind wir der Meinung, dass Karl Lauterbach als Minister untragbar ist. Auf Wiedersehen beim nächsten Mal. Das Team der Janssen Apotheke.“ Ein Beispielfoto eines Kassenzettels hatte sie auf Facebook veröffentlicht. Die Protestaktion sollte auf unbestimmte Zeit weiter laufen.

Doch das Foto hat sie wieder gelöscht, den Satz vom Kassenzettel gestrichen. Das Foto, das ein Protest der Apotheke sein sollte, kursierte auf einmal in rechten Communitys. Sauer auf Karl Lauterbach ist sie trotzdem.

Apotheker haften für Formfehler

Apotheker müssen Arzneien auf eigene Kosten einkaufen. Wird ein Medikament an Kunden herausgegeben, muss Janssen bis zu zwei Monate warten, bis sie das Geld von der Krankenkasse wieder bekommt. Apotheker haften außerdem für jegliche Formfehler auf den Rezepten, selbst wenn sie sie gar nicht verschuldet haben, sondern der Arzt. Bis zu zwei Jahren nach Ausgabe eines Medikamentes können Krankenkassen von den Apothekern Regress fordern. Wirtschaftlich muss der Inhaber der Apotheke mit seinem Privatvermögen für den Betrieb haften.

Lieferengpässe bei Medikamenten durch Rabattverträge und Produktion im Ausland

Hinzu kommt, dass Apotheker die Rabattverträge bedienen müssen, die die Kassen mit den Herstellern ausgehandelt haben. Die Kassen versuchen dabei, die Kosten für die Herstellung zu drücken, sodass es kaum noch möglich ist, Medikamente in Deutschland herzustellen. Die Produktion wandert ab - nach China oder Indien. „Dadurch sind Lieferengpässe entstanden, das sind die Folgen der Preisdrückerei, die Ulla Schmidt mit Karl Lauterbach angefangen hat“, erklärt Apothekerin Janssen. Ulla Schmidt war von Januar 2001 bis Oktober 2009 Bundesministerin für Gesundheit, so lange wie keiner ihrer Amtsvorgänger.

Die Produktion im Ausland begünstigt also die Medikamentenknappheit hierzulande, vor der so viele Apotheker warnen.
Apotheker fordern außerdem von der Bundesregierung höhere Honorare. Diese seien, so erzählt Janssen, seit über zehn Jahren nicht mehr gestiegen. Die Kosten für Strom, Energie und Personal hingegen schon. Die ein oder andere Apotheke musste angesichts dieser Schieflage schon für immer schließen.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach schweigt zu den Vorwürfen

Apotheker protestieren derzeit auf vielfältige Weise. Auch die Janssen Apotheke beteiligte sich schon daran. Marina-Luisa Janssen äußerte sich auch in sozialen Netzwerken zum Thema. Doch der Gesundheitsminister schweigt beharrlich. Jeglichen Protest lässt er unkommentiert an sich abprallen.

Die ABDA, die Standesvertretung der Apotheker, habe zahlreiche Versuche unternommen, mit dem Minister ins Gespräch zu kommen, berichtet Janssen weiter. „Aber er hat alles abgewürgt. Der sitzt nur in Talkshows“, ist Janssen wütend. „Der Ton wird rauer, Lauterbach reagiert nicht auf uns.“

Sogar gestreikt haben die Apotheken, mit Zustimmung der Kammer. „Das hat es noch nie gegeben“, weiß die Apothekerin.
Am Mittwoch tagte der Deutsche Apothekertag. Den Bundesgesundheitsminister hatte man im Vorfeld eingeladen, doch der war nur per Video dabei. Auch andere Politiker haben abgesagt. „Es ist niemand da, der uns zuhört“, fasst die Apothekerin das Dilemma in Worte.

Es ist niemand da, der uns zuhört.
Marina-Luisa Janssen, Apothekerin aus Bad Lauterberg

Apotheker brauchen höhere Honorare und weniger Bürokratie, um die Kunden weiter mit Arzneien versorgen zu können, fasst sie zusammen. Zornig wurde Janssen wie so viele ihrer Kollegen, als Karl Lauterbach im Morgenmagazin auftrat und die Apotheker beschuldigte, mit den Warnungen vor Lieferengpässen nur Angst schüren zu wollen, damit sie höhere Honorare bekommen.

Das war der Moment für den Kassenzettel. Damit das auch jeder mitbekam, postete sie ein Foto davon auf Facebook. Das Foto und ihre Erklärung dazu fanden zunächst viel Zuspruch - bis rechte Gruppen es für sich entdeckten und in ihren Communitys teilten. Sie erzählt: „Ich bekam Mails, die sich nach Querdenkern und rechten Absendern anhörten.“ Sogar eine rechtsgesinnte Zeitung rief bei ihr an und wollte berichten. „Das hat sich schnell verselbstständigt“ erklärt die Apothekerin, die entsetzt beobachten musste, welche Richtung ihr an Karl Lauterbach adressierter Protest nahm.

„Wir sind doch nicht rechts orientiert“, empört sie sich. „Ich will mit der Aktion nur sagen: Hier ist ein Minister, der seinen Job nicht versteht und nicht mit uns kommuniziert.“ Offenbar gefällt das auch den Rechten, doch davon möchte sich die Apothekerin aus Bad Lauterberg deutlich distanzieren. „Wir wurden mit der Aktion vor den völlig falschen Wagen gespannt, wir möchten mit rechtem Gedankengut nichts zu tun haben!“

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Dementsprechend deutlich ist auch der neue Facebook-Eintrag von Apothekerin Marina-Luisa Janssen, den sie kurz nach unserem Gespräch veröffentlicht: „Offensichtlich kann man eine Aktion in der besten Absicht starten und dann nicht verhindern, dass sie ungewollt und ungebilligt in das direkte Gegenteil kippt“, schreibt sie. Und weiter: „Dieser Hinweis sollte keinesfalls die gesamte Politik der Regierungskoalition und schon gar nicht bestehende demokratische Strukturen in Frage stellen – ganz im Gegenteil! Leider hat sich die Berichterstattung über unsere Aktion verselbständigt und dabei teilweise eine Richtung eingeschlagen, die wir in keiner Weise billigen oder gar unterstützen! Aus diesem Grunde haben wir die Aktion auch beendet und unseren ursprünglichen Facebook-Post gelöscht.“

Apotheker streiten mit Karl Lauterbach

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschuldigte die Apotheker im Morgenmagazin, Angst zu verbreiten, um höhere Honorare von der Bundesregierung zu bekommen.

Dann machte die Bild-Zeitung unter der Überschrift „Apotheker-Alarm“ auf die prekäre Arzneimittel-Versorgungslage aufmerksam. Vor allem Medikamente für Kinder seien knapp. Der Bild-Zeitung lägen Listen aus Apotheken vor, mit Medikamenten, die aktuell nicht lieferbar seien. In der Janssen-Apotheke in Bad Lauterberg sind es derzeit 56 Medikamente.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach antwortete auf die Forderungen der Apotheker bislang nicht. Vieles sei reformwürdig, doch das habe er so übernommen, Reformen seien seit zehn Jahren überfällig, wird Lauterbach zitiert. Auf ein Apotheker-Zitat, das die „Bild“ abgedruckt hatte („Tiere sind in Deutschland besser versorgt als Kinder“), reagierte Lauterbach mit Zahlen: „Wir geben für Arzneimittel 48 Milliarden Euro pro Jahr aus, für Tiere 900 Millionen.“ Deshalb mache ihn das Zitat sauer, schreibt „Bild“ und zitiert ihn mit: „Diese Aussage ist grob falsch.“

Insgesamt gibt es in Deutschland laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) 18.068 Apotheken. Das sei der tiefste Stand seit Jahrzehnten. Damit liegt die Apothekendichte in Deutschland unter dem europäischen Mittel.

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