Fallersleben. Wolfsburger des Jahres: Kandidatin Sabrina Wenzelis kämpft als ehrenamtliche Müllpiratin gegen Müllblindheit und hofft auf mehr Umweltbewusstsein.

Was diese Frau so alles findet: Schokoriegel-Verpackungen, Süßigkeiten-Fläschchen zum Ausquetschen, ein Weinglas vom Weinfest Ende Juli – und immer wieder Zigarettenkippen. Was andere Zeitgenossen achtlos wegwerfen, zieht Sabrina Wenzelis quasi magisch an. Die Fallersleberin hat sich seit gut zwei Jahren dem Müllsammeln in ihrer Freizeit verschrieben.

Als wir uns am Mittwochmorgen in der Hoffmannstraße treffen, war die 51-Jährige schon aktiv. „Ich habe die Taxifahrer erstmal aufgeklärt und Taschen-Aschenbecher verteilt“, berichtet sie und hält uns einen Behälter mit schätzungsweise 20 Zigarettenstummeln entgegen. Spricht’s und pflückt mit ihrer Greifzange schon die nächsten Kippen aus dem groben Feldstein-Pflaster auf dem Platz in Sichtweite vom Fallersleber Schloss.

Beliebtes Revier der Müllpiratin liegt in der Fallersleber Altstadt

Ein beliebtes Revier ist für die Müllpiratin – so nennt sie sich und hat auch T-Shirts damit bedrucken lassen – auch die Westerstraße. Am Sitzrondell am Gänseliesel-Platz füllt sich ihr haltbarer Müllbeutel, den sie gerade erst aus dem Urlaub in Tirol und Südtirol mitgebracht hat, schnell mit allerlei Süßigkeiten-Verpackungen. Aber auch dort greift sie immer wieder Zigarettenkippen, die auf dem Pflaster liegen.

Die Fallersleberin, die ihre Kindheit in der Nordstadt verbrachte, erzählt von Helmut, einem Mitstreiter. „Der geht nur auf Kippen und hat schon über 8000 gesammelt, speziell in der Altstadt. Die meisten Leute wissen gar nicht, was eine einzelne Zigarettenkippe unserem Grundwasser antut.“

Am Taxistand in der Hoffmannstraße am Rande der Fallersleber Altstadt hat Sabrina Wenzelis innerhalb kurzer Zeit schätzungsweise 20 Zigarettenkippen gesammelt.
Am Taxistand in der Hoffmannstraße am Rande der Fallersleber Altstadt hat Sabrina Wenzelis innerhalb kurzer Zeit schätzungsweise 20 Zigarettenkippen gesammelt. © regios24 | Helge Landmann

Im ersten Lockdown kam sie zum ehrenamtlichen Müllsammeln

Zum ehrenamtlichen Müllsammeln gekommen ist Sabrina Wenzelis im ersten Corona-Lockdown im April 2020. „Damals habe ich angefangen, mit einer Nachbarin in der Feldmark westlich der Ehmer Straße spazieren zu gehen.“ An einer Bank habe allerlei Abfall herumgelegen. „Ich bin dann am nächsten Tag mit dem Fahrrad hin und habe den eingesammelt. Das war der Beginn meines Tuns.“

Seitdem ist die Fallersleberin regelmäßig unterwegs, um gegen die Müllblindheit anzukämpfen und die Hinterlassenschaften anderer Leute einzusammeln. Nicht nur in der Fallersleber Altstadt, sondern beispielsweise auch im Gewerbegebiet Westerlinge und in der Wolfsburger Innenstadt. „Mein Blick ist schon völlig geschärft darauf. Wenn ich losrenne, ist das schon fast Entspannung, wie Meditation, ich bin dann voll darauf fokussiert“, verrät die VW-Mitarbeiterin.

Selbst im Urlaub macht Sabrina Wenzelis Jagd auf Müll

Kein Wunder, dass sie selbst im Urlaub bei einem so genannten „Clean up“ mitgemacht hat. Sie überrascht nichts mehr: „Du findest alles – von Kuscheltieren, Kondomen, Gurken und Glasflaschen bis hin zu Arbeitskleidung.“ Und beklagt: „Es gibt einfach zu wenig Mülleimer.“

Anfangs hat die Müllpiratin selbst Müllsäcke gekauft und in den Müllcontainer vor ihrem Haus geworfen. Weil sie aber in einer Mietwohnung lebt und so quasi sie selbst und die Hausgemeinschaft die Abfall-Entsorgung für wildfremde Leute mittragen mussten, habe sie sich irgendwann gedacht: „Es kann nicht sein, dass ich ehrenamtlich losmarschiere und dann auch noch für den gesammelten Abfall bezahle.“ Den sie übrigens immer mit einer Kofferwaage wiege.

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Fallersleberin ist in keinem Verein, aber gut vernetzt

Also habe sie sich übers Internet mit anderen Aktivisten ausgetauscht und schließlich bei der Wolfsburger Abfallwirtschaft und Straßenreinigung nachgefragt. „Seitdem bekomme ich kostenlos Müllsäcke von der WAS.“ Handschuhe kauft sie weiterhin auf eigene Kosten, ein Kumpel habe ihr fünf Greifer geschenkt.

Die Müllpiratin ist nicht vereinsmäßig organisiert, aber gut vernetzt. Inzwischen gebe es auch in Wolfsburg eine Community. Sie selbst tummelt sich auf Facebook und Instagram und macht so auf ihr Engagement aufmerksam. „Ich habe 763 echte Follower“, sagt sie stolz.

Ihr Wunsch ist regelmäßiges Müllsammeln in ganz Wolfsburg

Auch den Oberbürgermeister und den Ortsbürgermeister habe sie schon kontaktiert, um für das Problem zu sensibilisieren, erzählt Sabrina Wenzelis. „Aber es ist schwierig. Mehr Druck von der lokalen Politik – das wäre schön.“ Ihr Ziel: „sich so zu organisieren, dass man sich regelmäßig trifft, um gemeinsam etwas Gutes zu tun.“ Sie verstehe nicht, dass Müllsammelaktionen in den Dörfern klappen, in der Innenstadt aber nicht. Dabei habe es vor Corona doch regelmäßig den von der Stadt initiierten stadtweiten Frühjahrsputz gegeben.

Der nächste größere Einsatz steht übrigens schon fest: „Am 17. September ist World Cleanup Day. Dafür bin ich angemeldet, dann bin ich am Fallersleber Freibad unterwegs.“

Wolfsburger des Jahres: So geht es weiter

Der Wolfsburger des Jahres ist ein Preis unserer Zeitung, den wir bereits zum 19. Mal für ehrenamtliches oder außergewöhnliches Engagement von Menschen für unsere Stadt, für unsere Gesellschaft verleihen.

Unterstützt wird der Wolfsburger des Jahres von VW Immobilien und Optiker Ehme de Riese.

Unsere Leserinnen und Leser konnten bis zum 18. Juli ihre Vorschläge einreichen. Die Redaktion hat daraus eine Vorauswahl von vier Kandidaten getroffen. Wir stellen sie alle in den nächsten Tagen ausführlich vor.

Anschließend können Sie, liebe Leserinnen und Leser, über den Preisträger in einer Online-Abstimmung abstimmen.

Bei einer feierlichen Gala wird der Wolfsburger des Jahres oder die Wolfsburgerin des Jahres am 29. September im Hotel „Global Inn“ gekürt.