Wolfsburg. Unzählige Flüchtlinge sind im Mittelmeer bereits gestorben. Hanan und Fahed überlebten – und sind heute ehrenamtliche Schwimmlehrer in Wolfsburg.

Nie zuvor hatte Hanan das Meer gesehen. Und jetzt lag es vor ihr. In ein kleines Boot soll die jesidische Familie aus dem Irak und mit ihr Dutzende weiterer Menschen auf der Flucht vor dem IS einsteigen. Alle haben Angst, Kinder weinen. Ein Mann der Schlepperbande droht mit einem Messer, zwingt die Verängstigten einzusteigen.

Stundenlange Todesangst auf der Passage von der Türkei nach Griechenland, das Boot wird von den Wellen hin und hergeworfen. Wasser dringt ein. „Wir wussten, dass viele Menschen zuvor schon gestorben waren auf dem Meer“, erzählt Hanan (20) mit leiser Stimme. Dieses Boot hat Glück. Es erreicht die Küste von Griechenland.

Nicht viel anders verläuft die Flucht von Fahed. Der heute 22-Jährige flieht ebenfalls im Jahr 2015 mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Syrien. Der Vater muss in Syrien bleiben. Bis heute. „Ich war in Syrien zwar Leistungsschwimmer, aber das hätte nicht geholfen“, sagt Fahed. Ich hätte meine Mutter und meine Schwester niemals allein gelassen. Und wenn du mitten auf dem Meer kenterst, schaffst du es, selbst wenn du nur dich retten wolltest, nicht zum Ufer.“ Auch Faheds Boot hatte Glück auf dem Meer zwischen der Türkei und Griechenland. „Der Motor ist zum Schluss ausgefallen, aber eine riesige Welle hat uns vorangeschoben zum Ufer“, erzählt der junge Mann. „Das sollte wohl so sein.“

„Hanan musste schwimmen lernen, es ist eine Lebensversicherung“

Das tiefgreifende Erlebnis von der Flucht übers Meer hat für die beiden Wolfsburger-des-Jahres-Kandidaten zu einem besonderen Ergebnis geführt: In Wolfsburg, wo sie irgendwann mit ihren Familien angekommen waren, trafen sie dann auf Günter Schütte, Flüchtlingshelfer, Sport- und Politiklehrer im Ruhestand und immer noch engagierter Schwimmübungsleiter. Schütte hatte begonnen über die Wolfsburger Flüchtlingshilfe Schwimmkurse anzubieten. „Hanan musste unbedingt schwimmen lernen. Schwimmen können ist für jeden Menschen, egal wo er lebt, eine Lebensversicherung“, betont Schütte.

Hanan hat selbst im Schwimmbad von Sandkamp schwimmen gelernt und gibt jetzt ihr Wissen an andere Kinder weiter.
Hanan hat selbst im Schwimmbad von Sandkamp schwimmen gelernt und gibt jetzt ihr Wissen an andere Kinder weiter. © Regios24 (Archiv) | LARS LANDMANN

Anfangs war die Angst vor dem Wasser, die traumatische Erinnerung viel zu groß, als dass sich Hanan unbekümmert im nassen Element hätte tummeln können. Selbst wenn das Wasser nur hüfthoch wie im Lehrbecken von Sandkamp, dem Schwimmlerndomizil der Flüchtlingshilfe, war. Doch Schütte ließ nicht locker, bald fasste das Mädchen Vertrauen und lernte schwimmen. „Ich wollte das dann weitergeben, allen anderen Mut machen und zeigen, dass man es lernen kann“, blickt Hanan heute zurück.

Vor fünf Jahren war das, mittlerweile hat sie selbst vielen Flüchtlingskindern und auch deutschen das Schwimmen beigebracht – als ehrenamtliche Ausbilderin bei der Wolfsburger Flüchtlingshilfe.

2014 hatte Schütte begonnen, Flüchtlingen das Schwimmen beizubringen. 15 Helfer und Helferinnen hat er mittlerweile in seinem Team. „Dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen damit die Menschen ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssen, ist eine Sache“, sagt Schütte. „Dass aber jeder Mensch auf der Welt die Chance haben muss, schwimmen zu lernen, eine andere. Es ist ein Grundrecht.

Fahed hatte über einen Freund vom Lehrer im Ruhestand gehört, der den Flüchtlingen das Schwimmen beibringe. „Da musste man doch Hilfe anbieten. Ich bin da ziemlich schnell hin“, schmunzelt der sportliche junge Mann. Die Rettungsschwimmerausbildung, Erste-Hilfe und einen Übungsleiterkompaktkursus vom Landesschwimmverband haben Hanan und Fahed absolviert und mittlerweile reichlich Nichtschwimmern die Angst vor dem Wasser genommen und zu sicheren Schwimmern gemacht.

Sehnsüchtige Hoffnung auf Frieden

Hanans Familie, zu der noch fünf weitere Geschwister gehören, lebt inzwischen vereint in Wolfsburg. Die 20-Jährige beginnt jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester. Faheds Vater musste in Syrien zurück bleiben. „Wir telefonieren täglich“, erzählt er und lächelt tapfer. „Und hoffen, dass wir eines Tages, wenn Frieden ist, wieder alle zusammen sind.“ Fahed studiert mittlerweile Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Braunschweig.

Frieden, das ist auch das, was sich Hanan sehnlichst wünscht. „Kein Mensch, niemand auf der Welt sollte flüchten müssen auf der Suche nach einem sicheren Ort. Nicht übers Wasser, nicht übers Land. Niemand sollte von Zuhause wegmüssen, weil es nicht sicher ist, weil Krieg oder Armut herrschen.“

Wolfsburger des Jahres: Infos und Abstimmung

  • Der Wolfsburger des Jahres ist ein Preis unserer Zeitung, den wir bereits zum 19. Mal für ehrenamtliches oder außergewöhnliches Engagement von Menschen für unsere Stadt, für unsere Gesellschaft verleihen.
  • Unterstützt wird der Wolfsburger des Jahres von VW Immobilien und Optiker Ehme de Riese.
  • Unsere Leserinnen und Leser konnten bis 18. Juli ihre Vorschläge einreichen. Die Redaktion hat daraus eine Vorauswahl von vier Kandidaten getroffen. Wir stellen sie alle in den nächsten Tagen ausführlich vor.
  • Anschließend können Sie, liebe Leserinnen und Leser, über den Preisträger in einer Online-Abstimmung abstimmen.
  • Bei einer feierlichen Gala wird der Wolfsburger des Jahres oder die Wolfsburgerin des Jahres am 29. September im Hotel „Global Inn“ gekürt.