Braunschweig. Die Minister Karliczek und Thümler besuchen das HZI in Braunschweig. Die Forscher zeigen neue Ansätze, um das Coronavirus zu kontrollieren.

Fast schon klinisch rein wirken die Gegebenheiten im Gebäude des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Alle tragen Mundschutz, die Abstände werden peinlich genau eingehalten. Am Rednerpult ist eine Scheibe als Corona-Schutz angebracht. Dabei liegen zwischen dem Publikum und den wechselnden Rednern locker zehn Meter Abstand. Ein HZI-Mitarbeiter wischt das Pult nach jedem Redner sehr gewissenhaft ab.

Und alle sind sie gekommen: Die Professoren Michael Meyer-Hermann, Melanie Brinkmann und auch Gérard Krause zum Beispiel. Die HZI-Forscher sind in den vergangenen Monaten vielen Deutschen ein Begriff geworden, sitzen in Talk-Shows oder werden in Nachrichten-Sendungen mit dem Braunschweiger Burgplatz im Hintergrund eingeblendet. Sie machen die Stadt bekannter und sind selbst zu halben Popstars geworden.

Der Rahmen, den das HZI Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) boten, passte am Montag also. Sie wollten aus erster Hand erfahren: Was macht das HZI in der Corona-Krise?

HZI richtet alles auf Corona aus

HZI-Chef Dirk Heinz erklärte, dass sich für die Forschungseinrichtung seit Mitte März alles geändert hat. „Wir haben das Zentrum mehr oder weniger zu einem Corona-Zentrum gemacht.“ Andere Aktivitäten seien deutlich heruntergefahren worden.

Zwei, drei aktuelle Projekte stellte das HZI am Montag in den Mittelpunkt. Nichts Sensationelles. Der Durchbruch im Kampf gegen das Corona-Virus versprechen die Projekte nicht, so viel sei gesagt. Aber es handelt sich um womöglich wichtige Mosaiksteine, um das Virus besser in den Griff zu bekommen, es besser zu verstehen.

Vor allem ist hier die geplante bundesweite Antikörper-Studie unter Leitung von Professor Gérard Krause zu nennen. Ziel dieser Studie ist es, zu erfahren, wie hoch in der Bevölkerung der Prozentsatz derer ist, die bereits immun sind. Denn viele milde oder symptomlose Corona-Infektionsverläufe werden gar nicht erfasst.

Antikörper-Studien sollen helfen

Die Daten dieser Studie sollen die Grundlage für verlässliche Berechnungen der Wirkung verschiedener Maßnahmen bilden. „Damit werden Fragen aufgegriffen, die uns in diesen Tagen besonders bewegen“, sagte Krause mit Blick auf Lockerungen. „Die Erfolge, die wir durch die breite Unterstützung in der Bevölkerung erzielt haben, sollen nicht gefährdet werden“, so Krause.

In den geplanten Antikörper-Studien geht es also um die Frage, wie häufig schon Antikörper in der Bevölkerung vorhanden sind. Die Forscher achten auf die Altersverteilung und auf die geografische Verteilung. Sie nehmen die zeitliche Entwicklung in den Blick, die Abhängigkeit von anderen Infekten, auch die Abhängigkeit von Grunderkrankungen bei Corona-Fällen.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler beim Besuch des Helmholtz-Zentrums in Braunschweig.

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    Acht Landkreise wollen die Forscher auswerten. Es soll einen Mix aus stärker und weniger stark von Corona betroffenen Landkreisen geben. Pro Landkreis will das HZI etwa 3000 Erwachsene testen. Reutlingen und Freiburg wollen mitmachen. Der Beginn ist im Juni. Das Projekt dauert allerdings neun bis zwölf Monate. Es soll ein Muster für ganz Deutschland bieten. Die Probanden erhalten schriftliche Einladungen, sie sollen einen Kurzfragebogen ausfüllen. Das Blut wird in einem Testzentrum im Container entnommen.

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    Eine Datenbank kommt

    Das HZI plant außerdem eine neue Datenbank. Die Braunschweiger wollen sie auch anderen Forschern, die an Corona arbeiten, zur Verfügung stellen. Diese können selbst Daten freigeben, auf die dann das HZI zurückgreifen kann. Die Idee dahinter, so Krause: „Wir können Methoden vergleichen und viel gesichertere Aussagen machen.“ Ein weiterer Vorteil soll darin bestehen, dass Absprachen besser möglich sind. Es soll vermieden werden, dass sich zu viele Forscher-Teams zum Beispiel auf den Landkreis Coesfeld stürzen, in dem es einen besonders starken Corona-Ausbruch gab. „Wir nutzen dann lieber schon bestehende Ergebnisse anderer“, so Krause.

    Auch die mathematischen Modellierungen von Professor Michael Meyer-Hermann standen am Montag auf dem Programm. Sie sollen wichtige Hinweise geben, wie zum Beispiel Lockerungen sich auf die Infektionszahlen auswirken.

    Viel beachtet wurde dabei bereits die Studie, die das HZI gemeinsam mit dem Ifo-Institut vor wenigen Wochen veröffentlichte. Die Forscher sprachen sich für einen „umsichtigen, schrittweisen Öffnungsprozess“ aus.

    Meyer-Hermann analysierte am Montag noch einmal vor den Ministern, wie sich die Lockerungen der vergangenen Wochen ausgewirkt haben. Am 20. April öffneten der Einzelhandel wieder seine Türen. „Zwei Wochen später gingen die Infektionszahlen hoch“, so Meyer-Hermann. Kurze Zeit später kam die Maskenpflicht. „Das hat uns dann wieder sehr geholfen.“

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    Die „Vision“ von Forscher Meyer-Hermann

    Der HZI-Forscher zeigte, wie sich einzelne Ausschläge wie in Leer und Frankfurt sofort in den Fallzahlen bemerkbar machen – und sogar die Wert einzelner Bundesländer wie nun in Hessen oder in Niedersachsen hochtreiben. In Frankfurt hatten Baptisten in ihrer Kirche ohne Mundschutz gesungen, in Leer gab es einige Corona-Fälle nach einem Restaurant-Besuch. „Die Behörden in Frankfurt arbeiten am anschlag“, sagte Meyer-Hermann.

    Er kritisierte die Vorschläge aus Thüringen, dort die Kontaktbeschränkungen ab dem 5. Juni lockern zu wollen. Und die Schulen hätte man besser erst nach den Sommerferien geöffnet. „Der Vorstoß aus Thüringen ist problematisch. Ab einer Reproduktionszahl von 1 wird es richtig, richtig schwierig“, sagte er.

    Meyer-Hermann stellte seine „Vision“ vor: Modelle für sämtliche 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland, um flexibel vor Ort zu reagieren. Dafür will das HZI jeweils analysieren, wie viele Schulen es vor Ort gibt, wie viele Kitas, wie viele Altenheime? Es soll einfließen, ob und welche großen Arbeitgeber es vor Ort gibt, wie die Pendlerströme aussehen, wie die Altersstruktur vor Ort ist und so weiter. „Das Modell steht, wir machen bereits Untersuchungen“, so Meyer-Hermann. Die Stadt Braunschweig gilt als Prototyp.

    „Man müsste allerdings Mallorca als 401. Landkreis mitbetrachten“, scherzte Minister Thümler. Und Bundesministerin Karliczek lenkte den Blick noch einmal auf den so sehnlich erwarteten Impfstoff. „12 bis 18 Monate beim Impfstoff sind sensationell schnell. Dennoch kann es nicht schnell genug gehen.“

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