Ebstorf. Rechtsextreme nutzen ländliche Gebiete in Niedersachsen als Rückzugsort. Eine Initiative um einen ehemaligen Pastor warnt und informiert.

Sie sehen ordentlich aus, adrett – und doch sind Martin Raabe einige seiner Nachbarn mehr als suspekt. In der Lüneburger Heide breiten sich seit einiger Zeit sogenannte völkische Siedler aus, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden.

Martin Raabe, ehemaliger Pastor aus Ebstorf, macht auf diese Entwicklung seit Jahren aufmerksam. Zwar sind die völkischen Siedler im Visier des Verfassungsschutzes in Niedersachsen, doch im Großen und Ganzen liefen diese Menschen unter dem Radar, sagt Raabe. „Diese Leute sind nicht zu unterschätzen. Es sind nicht die Bomberjacken- und Glatzkopf-Typen, es sind sehr gebildete Menschen.“

Das gesellschaftspolitische Weltbild, das die Siedler haben, macht Raabe große Sorgen. „Wollen wir wieder Frauen in langen Kleidern? Das Frauenbild ist grauenvoll, es ist ein Schritt zurück in die Steinzeit“, sagt der ehemalige Pastor, der als Experte zu dem Thema inzwischen von Universitäten angefragt wird, aber auch kleinen Dörfern mit Rat zur Seite steht.

Kinder aus Schulen abgemeldet, germanische Hochzeiten – Ex-Pastor besorgt

Raabe ist auch im Gespräch mit Bürgermeistern und Schulleitern, weil immer wieder Kinder einfach aus den Schulen abgemeldet werden und verschwinden. Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm zuletzt eine germanische Hochzeit im Umkreis, die in rechten Kreisen Eheleite genannt wird. Aus dem ganzen Bundesgebiet, der Schweiz und Österreich reisten die Besucher zu dem heidnischen Eheritual an. „Das hat stark sektenähnlichen Charakter“, sagt der 73-Jährige. Aussteiger und Aussteigerinnen aus der Szene lebten in Anonymität und Angst.

Die völkischen Siedler werden in Niedersachsen vom Verfassungsschutz beobachtet – dafür dürfen nachrichtendienstliche Mittel genutzt werden, wie es aus dem Innenministerium heißt. Doch wie viele der Siedler in der Heide leben, ist den Behörden nicht bekannt, denn sie leben in Familien, oft auch Großfamilien, die in ihrer jeweiligen Region mitunter seit Generationen ansässig sind.

Kaum valide Daten über völkische Siedler in Niedersachsen

Aufgrund der familiären Strukturen liegen dem Verfassungsschutz zur Zahl der völkischen Siedler keine validen Daten vor. Die Gruppe umfasse Menschen, die der völkische Siedlungsgedanke, das rechtsextreme Engagement und eine gemeinsame Vergangenheit miteinander verbinde, heißt es. Eine Stellungnahme von den Menschen selber zu erhalten, ist nicht möglich – auch in der Vergangenheit haben sich die Gruppen in der Öffentlichkeit nicht geäußert.

„Diese Leute denken langfristig. Sie haben die Perspektive einer anderen Gesellschaft, die sie konsequent verfolgen“, sagt der ehemalige Pastor aus dem Landkreis Uelzen. „Das wollen wir nicht.“ Und nicht nur Raabe missfallen frauenfeindliche und rassistische Witze an den Stammtischen im Umkreis. „Dass man auf dem Dorf etwas konservativer denkt, ist schon klar, aber das Übertriebene gibt uns zu denken.“

Der Ex-Pastor Martin Raabe sitzt in seiner Wohnung.
Der Ex-Pastor Martin Raabe sitzt in seiner Wohnung. © dpa | Philipp Schulze

Deshalb hat der ehemalige Pastor 2018 die Gruppe „beherzt“ gegründet, die ein Jahr später mit dem Aufstellen von markanten gelb-roten Kreuzen begonnen hat. Inzwischen gibt es 360 davon als Warnung an Höfen und Toreinfahrten – in Niedersachsen, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, erzählt Raabe. Auf einigen steht: „Kreuz ohne Haken – für Vielfalt“.

Die Gruppe „beherzt“ hat nach Angaben von Raabe rund 500 Sympathisanten, als Unterzeichner tritt aber nur er auf. Viele Menschen hätten Angst, sagt Raabe. Er übernimmt die Verantwortung, trotz Drohungen in Hassmails und nächtlichen Anrufen.

Das sagt die Polizei zu den völkischen Siedlern bei Uelzen und Lüneburg

Kriminell fallen die völkischen Siedler mit ihrer rechten Ideologie in den Landkreisen Uelzen und Lüneburg nicht auf, sagt Kai Richter, Pressesprecher der Polizeiinspektion Lüneburg. „Wir haben die Familien polizeilich im Auge. Nach außen stellen sie sich nicht so dar.“ Man gucke aber genau hin: „Wir dürfen die Augen nicht verschließen, aber Straftaten sind nicht bekannt“, sagt der Polizist.

Menschen mit rechtsextremen Einstellungen nutzen ländliche Regionen in Niedersachsen nach Einschätzung von Beobachtern der Szene zunehmend als Rückzugs- und Vernetzungsräume. „Durch Gruppen wie „beherzt“ wird ein Problem, das lange Zeit nicht wahrgenommen wurde, in die Öffentlichkeit gerückt“, sagt Eva Bunn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus für Demokratie.

Im ländlichen Raum – vorzugsweise im Nordosten – bekämen die völkischen Siedler wenig Gegenwind, sagt Bunn, die mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus das demokratische Zusammenleben fördern will.

Bei Brauchtumsfeiern, Schulungen oder Wehrsportübungen treffen sich Gleichgesinnte. Neben diesen Veranstaltungen für die eigene Szene, die abgeschottet stattfinden, brächten sich einige Siedler auch in Dorfgemeinschaften und Vereinen ein, sagt Bunn. Einerseits gehe es den Hinzugezogenen um Abschottung, andererseits um Einfluss auf das Dorfleben.

Die oft kinderreichen Familien treten anders als beispielsweise die Neonazi-Szene in Braunschweig nicht öffentlich auf, geben sich unpolitisch, erzählt Bunn. Nach außen seien die Mitglieder meist freundlich, engagierten sich in Vereinen oder als Elternvertreter in Schulen. Die Kinder würden mit Härte und Disziplin erzogen. „Das klappt nicht schlecht“, erklärt Bunn. „Es gibt wenige Aussteiger.“

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