Stade. Ein Flüchtling kommt bei einem Einsatz durch Schüsse von Polizisten ums Leben. Hätte der Tod durch den Einsatz von Tasern verhindert werden können?

Nach den tödlichen Schüssen von Polizisten auf einen Flüchtling im Kreis Stade hat sich die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) in Niedersachsen für den Einsatz von sogenannten Tasern ausgesprochen. „Wir sind als gesamter Landesverband der Meinung, dass der Taser ein wichtiges Einsatzmittel ist“, sagte der Landesverbandsvorsitzende Patrick Seegers am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei zuletzt vermehrt zu Einsätzen gekommen, bei denen Polizistinnen und Polizisten auf psychisch labile Personen getroffen wären, die verbal nicht mehr zu erreichen gewesen seien. Als letztes Mittel zur Abwehr bleibe Polizisten nach aktueller Gesetzeslage nur der Griff zur Schusswaffe. „Das ist keine Situation, die man sich wünscht“, sagte Seegers.

Lesen Sie mehr:

Zuvor hatte bereits der DPolG-Vorsitzende in Lüneburg, Christian-Tobias Gerlach den Nutzen von solchen Elektroimpulsgeräten betont. Dem Politik-Journal „Rundblick“ sagte Gerlach am Dienstag: „Die Einführung von sogenannten nicht-tödlichen Waffen würde zumindest das Auswahlermessen beeinflussen und den einschreitenden Beamten überhaupt adäquate Entscheidungsoptionen eröffnen.“ Gerlach und Seegers sagten, der Einsatz von Tasern könne unter Umständen zwar auch zu tödlichen Verletzungen führen – der Tod durch einen Taser sei aber weniger wahrscheinlich als bei dem Einsatz einer Schusswaffe.

Ein Taser gibt Elektroschocks ab, die zu schmerzhaften Muskelkontraktionen führen

Anlass der erneuten Forderung ist ein Polizeieinsatz vor rund einer Woche in einer Asylbewerberunterkunft in Harsefeld im Kreis Stade. Dabei war ein 40 Jahre alter Mann aus dem Sudan, der psychische Probleme hatte, von Polizisten erschossen worden. Nach Angaben der Polizei soll er die Beamten zuvor mit einem Messer bedroht haben. Die Staatsanwaltschaft Stade führt Ermittlungen in dem Fall.

Ein Polizeibeamter demonstriert ein Distanzelektroimpulsgerät, das auch als „Taser“ bezeichnet wird.
Ein Polizeibeamter demonstriert ein Distanzelektroimpulsgerät, das auch als „Taser“ bezeichnet wird. © dpa | Rolf Vennenbernd

Ein Taser ist ein Gerät, mit dem Elektroschocks aus einer Distanz abgegeben werden, die zu schmerzhaften Muskelkontraktionen führen. Dadurch wird eine Person handlungsunfähig. Die Waffen sind allerdings umstritten, da Taser beim Einsatz gegen Menschen mit Herzerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen zu gesundheitlichen Folgen führen können. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist die Verwendung von Tasern in Niedersachsen seit 2013 bislang nur in Einsätzen des Spezialeinsatzkommandos (SEK) zugelassen. Zur Begründung der Beschränkung verwies das Innenministerium auf dpa-Anfrage unter anderem auf den hohen Trainingsaufwand für das Gerät.

Polizeigewerkschaft will Taser auch für Streifenpolizisten

Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert den Taser-Einsatz dagegen auch für Streifenpolizisten. „Das sind ja gerade diejenigen, die innerhalb kürzester Zeit Entscheidungen treffen müssen“, sagte Seegers etwa mit Blick auf Einsätze wie in Harsefeld. Über die genaue Ausstattung, ob pro Einsatzfahrzeug oder pro Einsatzkraft, könne diskutiert werden. „Aber auf jeden Fall sollte diese Ausstattung mindestens pro Streifenwagen einmal vorhanden sein, damit sie auch effizient genutzt werden kann.“ Das Innenministerium teilte aber mit, es werde bei dem Einsatz ausschließlich für das SEK bleiben.

Ein Polizeibeamter hält einen Taser 7 in der Hand.
Ein Polizeibeamter hält einen Taser 7 in der Hand. © dpa | Soeren Stache

Das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen hatte angesichts des Falles in Harsefeld zuletzt auch gefordert, Polizisten müssten im Umgang mit psychisch erkrankten Geflüchteten geschult werden. Zu solchen Einsätzen sollten auch Fachärzte, mindestens aber Psychologen hinzugezogen werden.

Innenministerium und Polizeigewerkschaft halten letzteres aber für kaum umsetzbar. Gewerkschafts-Vorsitzender Seegers sagte, Polizistinnen und Polizisten würden in ihrem Studium auch in Psychologie und Gesprächsführung unterrichtet. Einen ausgebildeten Psychologen könnten diese aber nicht ersetzen – zumal bei Einsätzen unter Zeitdruck konkrete Gefahrensituationen vor Ort gelöst werden müssten.

Niedersächsischer Landtag debattiert über Gewalt bei Polizeieinsätzen

Eine persönliche Beteiligung von medizinischem oder psychologischem Fachpersonal sei bei polizeilichen Soforteinsätzen in einem Flächenland wie Niedersachsen nicht praktikabel, teilte auch das Innenministerium mit. Das Ministerium verwies aber darauf, dass „seit geraumer Zeit“ bei der Fortbildung ein Schwerpunkt auf der Weiterentwicklung interkultureller Kompetenzen liege.

Gewalt bei Polizeieinsätzen war unterdessen am Dienstag auch Thema im niedersächsischen Landtag. Im Vorfeld einer Anhörung bei der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe wandten sich zahlreiche Migrantenvereine mit einem Forderungskatalog zur Bekämpfung von Polizeigewalt an das Land. Viele Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte erlebten Gewalt durch die Polizei, wie 18 Selbstorganisationen und Vereine mitteilten. Dazu gehöre etwa unverhältnismäßige Härte bei Polizeieinsätzen. Die Vereine fordern eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle, die Gewährleistung von mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit und die Entwicklung einer Fehlerkultur innerhalb der Polizei.

Ähnlicher Fall wie in Stade bereits im Jahr 2019

Einen ähnlichen Fall wie zuletzt in Harsefeld gab es ebenfalls im Landkreis Stade bereits 2019. Damals war nach Polizei-Angaben ein aus Afghanistan stammender Asylbewerber im Stader Stadtteil Bützfleth in einer Flüchtlingsunterkunft mit einer Eisenstange auf Polizisten losgegangen. Nachdem der Einsatz von Pfefferspray erfolglos blieb, schoss einer der Beamten auf den 19-Jährigen, um den Angriff zu stoppen. Der Mann starb kurze Zeit später. Am Dienstag wies die Generalstaatsanwaltschaft Celle eine Beschwerde des Bruders des Getöteten gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens als unbegründet zurück. Der Einsatz einer Schusswaffe des Polizisten sei durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, teilte die Behörde mit.