Nach dem Absturz eines Segelflugzeuges in Braunschweig veröffentliche die Redaktion Fotos von der Absturzstelle. Ein Leser kritisiert dies.

Am 12. August ist ein 15-jähriger Flugschüler in Braunschweig zu Tode gekommen. Der Jugendliche hatte noch versucht, mit dem Fallschirm abzuspringen, nachdem er in Schwierigkeiten geraten war; sein Segelflugzeug zerschellte auf dem Waggumer Friedhof. Diese Zeitung berichtete am 13. August auf der Titelseite und im Lokalteil ausführlich – auch mit Fotos des Flugzeugwracks auf den Gräbern. Am 14. August gab es eine Folgeberichterstattung – erneut mit einer Bildveröffentlichung.

Dazu schreibt Leser Karsten Bennewitz:

Ich bin Fluglehrer beim Aeroclub Braunschweig und habe den Unfall aus der Luft live mit ansehen müssen. Ihre Bilder, die an den beiden Tagen nach dem Unglück abgedruckt wurden, sind völlig fehl am Platze und absolut pietät- und geschmacklos!

Wir haben mindestens einen Flugschüler am Boden, der absichtlich weggeguckt hat, weil er wusste, dass er nicht helfen kann und den Unfall nicht mit ansehen wollte. Nun werden er und die Eltern des Opfers mit solchen großformatigen Horrorbildern konfrontiert. Ein neutrales Bild hätte meiner Meinung nach einem unbedarften Leser auch gezeigt, was ein Segelflugzeug ist. Stattdessen drucken Sie dasselbe Foto am Folgetag erneut. Warum? Falls es jemand übersehen haben sollte? Ich bin von dieser Zeitung enttäuscht!

Der verantwortliche Redakteur Henning Noske nimmt Stellung:

Auch bei der Auswahl von Bildern muss die Redaktion abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten. Zudem ist sie vom Pressekodex gehalten, das Gebot der angemessenen Darstellung zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass grausame, sensationsheischende Aufnahmen nicht gebracht werden. Der Redaktion lagen Fotos vor, die das auf einem Friedhof abgestürzte und zerstörte Segelflugzeug zeigen. Ein Flugzeugabsturz ist von hohem öffentlichen Interesse. In der Abwägung, das Archivbild eines Segelflugzeuges zu zeigen oder aktuelle Fotos von der Absturzstelle, wird sich eine Tageszeitungsredaktion zunächst für die aktuellen Fotos entscheiden. Dies umso mehr als Lokalzeitung, in deren Verbreitungsgebiet das Unglück stattfand.

Die Bilder zeigen ein zerborstenes Segelflugzeug, die Holztrümmer sind deutlich erkennbar. Die Redaktion achtet darauf, dass bei solchen Fotos keine Opfer oder Opferspuren erkennbar sind. Im vorliegenden Fall konnte dies auch bereits deshalb ausgeschlossen werden, weil sich der Pilot zum Zeitpunkt des Absturzes nicht mehr in dem Segelflugzeug befunden hatte.

Ich möchte persönlich sagen, dass das tragische Geschehen auch Redakteure schockiert und traurig macht. Umso mehr und unermesslich schmerzlicher sind die Familie und das direkte Umfeld betroffen. Hier stecken wir gerade als Lokalredaktion durch unsere besondere Nähe oft in einem Dilemma, wenn zugunsten des Anspruchs der Öffentlichkeit auf Unterrichtung in Text und Bild zu entscheiden ist.

Der Ombudsrat schreibt:

Dieses tragische Unglück ist wohl noch vielen Lesern in Erinnerung: Ein junger Mensch ist gestorben. Das Segelflugzeug, mit dem er das Fliegen lernen wollte, ist auf einem Friedhof zerschellt. Ein öffentliches Informationsinteresse ist angesichts dieser besonderen Umstände gegeben, die Berichterstattung war also auf jeden Fall gerechtfertigt.

Trotzdem muss die Redaktion abwägen, wie die Berichterstattung über so einen Fall bebildert werden kann. Einerseits leben wir in einem visuell geprägten Zeitalter. Dokumentarische Bilder sind für Medien essenziell – auch, wenn es um tragische Unglücke geht. Andererseits besteht der in Artikel 1 des Grundgesetzes formulierte Achtungsanspruch – die Würde des Menschen ist unantastbar – im Persönlichkeitsrecht Verstorbener fort. Leser Karsten Bennewitz schreibt von Pietät und meint dasselbe.

Waren die Fotos des Flugzeugwracks auf dem Waggumer Friedhof nötig, um den Text zu illustrieren, um ihn authentisch zu machen? Am ersten Tag nach dem Unglück waren die dokumentarischen Bilder vertretbar – und für Leser allemal plausibler als ein neutrales Symbolfoto eines x-beliebigen Segelflugzeugs. Am zweiten Tag waren sie hingegen sicher nicht mehr notwendig, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken oder Lesern das Verständnis der Zusammenhänge zu ermöglichen. Die Redaktion hätte auf die zweite Veröffentlichung mit Rücksicht auf das Pietätsempfinden der Leser und Betroffenen verzichten sollen. Zwar waren auf den Fotos, wie Henning Noske in seiner Stellungnahme bemerkt, nie Opfer oder Opferspuren zu sehen. Doch wer den Waggumer Friedhof kennt, kann nachvollziehen, welche Gräber von den Trümmern getroffen wurden. Der Kreis der durch das Unglück besonders Betroffenen umfasst also nicht nur Familie und Freunde des Todesopfers oder Mitglieder des Aeroclubs, sondern auch Angehörige von auf dem Waggumer Friedhof Bestatteten.