Braunschweig. Luitgard Heissenberg kommentiert das Wahljahr. Sie schreibt: „Zugegeben, ganz einfach ist es nicht, sich in dem bunten Zettelstapel zurechtzufinden.“

Fünf Wahlscheine werde ich erhalten, wenn ich am 12. September in Vechelde (Landkreis Peine) an den Kommunalwahlen teilnehme. Fast alle Wahlberechtigten, die wie ich in einem niedersächsischen Landkreis leben, küren dann einen hauptamtlichen Landrat oder eine Landrätin, die Mitglieder des neuen Kreistages, den hauptamtlichen Bürgermeister oder die Bürgermeisterin der Gemeinde, die Mitglieder des Gemeinderates und des Ortsrates. (In einer Samtgemeinde: Samtgemeinde-Bürgermeister, Samtgemeinderat und Gemeinderat). Es gibt nur dort Ausnahmen, wo die Amtsperioden von Landräten und Bürgermeistern noch nicht abgelaufen sind. Etwas übersichtlicher ist es in den Großstädten, da gibt es weder Kreistag noch Landrat. Zwei Wochen später, am 26. September, werden viele drei Stimmzettel erhalten: einen für die Bundestagswahl und zwei für die Stichwahlen für Landrats- und (Ober-)Bürgermeisteramt, sofern diese nicht im ersten Wahlgang gewählt wurden.

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Zugegeben, ganz einfach ist es nicht, sich in dem kunterbunten Zettelstapel zurechtzufinden. Diese gedankliche Anstrengung ist immer mehr Menschen offenbar zu groß. Die Beteiligung an den Kommunalwahlen, die alle vier Jahre stattfindet, sinkt und sinkt.

Seit Montag hängen Wahlplakate

In der Regel seit Montag dürfen die Wahlplakate hängen: Die Parteien werben an jeder Straßenecke für sich und ihre Kandidaten und hoffen, dass das müde Wahlvolk auf sie aufmerksam wird. In Wolfsburg sind sie besonders nervös: Dort haben Mitglieder von SPD, CDU, PUG und Linken schon am Sonntag plakatiert, als es dort noch gar nicht erlaubt war. Oberbürgermeister Klaus Mohrs, der nicht mehr kandidiert, hat die Parteien scharf kritisiert und den „Bruch der Verabredungen“ missbilligt. Den übereifrigen Plakatklebern kann man immerhin zugute halten, dass sie ehrenamtlich aktiv waren.

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Um der Wahlmüdigkeit zu begegnen, hat das Land Niedersachsen seit 2016 die Amtszeit der Bürgermeister schrittweise von acht auf fünf Jahre reduziert, so dass die (Ober-)Bürgermeisterwahlen spätestens diesmal gemeinsam mit Rats- und Kreistagswahlen stattfinden. Die Hoffnung: dass die eine Wahl die andere befeuert. Natürlich war das nur ein Grund; vor allem ging es dem Land darum, den Riesenaufwand für Wahlen durch das Zusammenlegen zu verringern.

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Wie hoch wird die Wahlbeteiligung ausfallen?

Ob’s etwas bringt für die Wahlbeteiligung? Ich glaube, dafür ist viel mehr erforderlich. Viele Menschen haben überhaupt kein Interesse an der Kommunalpolitik – es sei denn, sie sind persönlich betroffen. Zum Beispiel, weil sie Anliegerbeiträge für den Straßenausbau zahlen sollen oder die Gemeinde ein Neubaugebiet vor ihrer Nase plant. Dann strömen sie zur Ratssitzung, in der das Thema behandelt wird.

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Und wundern sich: Reden dürfen sie dort nicht. Die Sprache, in der sich die Verwaltungsbeamten und die Ratsmitglieder unterhalten, ist bürokratisch bis zur Unverständlichkeit. Der streng reglementierte, starre Ablauf ist zum Gähnen langweilig, die Ratsmitglieder lesen längere Beiträge meist ab, echte Debatten sind selten. Das Abstimmungsergebnis steht wegen den geltenden Mehrheitsverhältnissen in der Regel vorher fest. Ich kann das beurteilen, seit 40 Jahren verfolge ich Ratsdebatten journalistisch.

Dieser Bürokratismus treibt nicht nur die Zuhörer aus den Ratssitzungen, er wirkt auch abschreckend auf Menschen, die sich politisch für ihre Gemeinde oder ihre Stadt engagieren möchten. Ein Ehrenamt im Kreistag, Rat der Stadt/Gemeinde oder im Bezirks-/Ortsrat ist sehr zeitaufwendig. Mit dem Besuch der meist monatlich stattfindenden Sitzungen plus Ausschusssitzungen ist es nicht getan. Unterlagen müssen durchgesehen und in der Ratsfraktion – also mit den Ratskollegen der eigenen Partei – besprochen werden. Die Mini-Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlichen Politiker wiegt die vielen Abende in keiner Weise auf.

Parteien haben Nachwuchsprobleme

Die Kommunalpolitiker in der Opposition haben dabei in ihrer vierjährigen Amtszeit nur wenige Erfolgserlebnisse, ihre Anträge werden von der Mehrheit regelmäßig überstimmt. Zum Frust, so wenig erreicht zu haben, kommen zunehmend Pöbeleien von rücksichtslosen Bürgern. Auch in unserer Region sind ehrenamtliche Bürgermeister so massiv bedroht worden, dass sie zurückgetreten sind.

Die Parteien haben zunehmend Probleme, noch genug Kandidatinnen und Kandidaten zu gewinnen. Für die Ortsräte findet sich oft kein Bewerber mehr. Im Wendeburger Ortsteil Sophiental (Kreis Peine) beispielsweise behelfen sich die Bürger inzwischen mit einem überparteilichen Team, das den Ortsrat bildet und wieder zur Wahl antritt. Dessen Kandidatenliste können die Sophientaler ankreuzen – eine Alternative haben sie nicht.

Hybride Form als Zukunftsmodell?

Die repräsentative Demokratie schwächelt. Wie können wir sie beleben? Zum Beispiel, indem das Land Niedersachsen aus Corona lernt und Rats- und Kreistagssitzungen dauerhaft in hybrider Form – also in Anwesenheit und digital – erlaubt. Zum Beispiel, indem Städte und Gemeinden auf ihren Homepages Online-Abstimmungen zu Streitthemen starten; indem sie gemeinsame Runden mit Fridays-for-Future- und anderen Initiativen veranstalten; indem für große Projekte wie die Neugestaltung einer Hauptstraße zeitlich befristet Bürgerräte gebildet werden, in denen die direkt Betroffenen diskutieren; indem die Parteien auch Nichtmitglieder in politische Aktivitäten einbeziehen, denn die Bürger binden sich kaum noch langfristig an eine Partei. Die Liste lässt sich leicht verlängern.

Unsere Redaktion möchte in den nächsten Wochen bis zu den Wahlen ebenfalls ihren Beitrag leisten: Wir werden Sie, unsere Leser, befragen, welche Themen Ihnen unter den Nägeln brennen. Wir werden die Kandidatinnen und Kandidaten zu den wichtigen lokalen und globalen Themen befragen und Phrasen nicht durchgehen lassen. Wir werden bilanzieren, was die hauptamtlichen Bundestagsabgeordneten, Landräte und (Ober-)Bürgermeister geleistet haben. Wir werden ihre Aussagen prüfen und wir werden Fake News entkräften. Zum Beispiel die, dass Wahlscheine ungültig seien, wenn sie oben rechts gelocht seien. Völliger Quatsch: Das Loch ist eine Tasthilfe für Sehbehinderte. Also: Füllen Sie Ihre Stimmzettel aus, gehen Sie zur Wahl!

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