„Solange die SPD im faustischen Dilemma steckt, kann sie kein Vertrauen zurückgewinnen.“

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, heißt es in Goethes Faust. Spielte das Drama in der Gegenwart – es könnte sich um die SPD ranken. In welchem Dilemma die Partei steckt, wurde auch beim Neujahrsempfang des SPD-Unterbezirks Braunschweig deutlich: Manche Genossen lehnen eine Neuauflage der Großen Koalition vehement ab, andere wollen lieber mitgestalten, statt Neuwahlen zu riskieren; die Basis ist gespalten.

Ministerpräsident Stephan Weil lobte in seiner kämpferischen Rede die Sondierungsergebnisse und appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der SPD-Mitglieder: Im Interesse des Landes und der Demokratie müsse seine Partei jetzt an der Regierungsbildung mitwirken.

In Braunschweig kann die Parteispitze aus einer Position der Stärke heraus argumentieren: Stephan Weil hat die Landtagswahl gewonnen, bei der Bundestagswahl holten Sozialdemokraten die Direktmandate. Oberbürgermeister Ulrich Markurth erklärte einleuchtend das Erfolgsrezept: Die SPD ist in der Region Volkspartei, nah bei den Leuten, in Kommunen, Vereinen und Betrieben präsent und vernetzt. Doch andernorts ist die SPD nur noch die Partei pensionierter Studienräte, die einst Willy wählten. Wie groß muss etwa im Ruhrgebiet die Angst der gebeutelten Genossen vor weiterem Bedeutungsverlust sein?

Dabei dürfte die politische Idee der Sozialen Demokratie so viel Anziehungskraft wie nie zuvor entfalten. Sie verspricht neben bürgerlichen Grundrechten soziale Grundrechte in einem modernen Sozialstaat. Wenn die Schere zwischen Superreichen und Abgehängten immer weiter auseinandergeht und die Digitalisierung Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht, sind soziale Grundrechte in Gefahr.

Die Frage ist, ob die Bundes-SPD noch als glaubwürdiger Vertreter dieser Idee wahrgenommen wird. Solange die Partei im faustischen Dilemma steckt, kann sie kein Vertrauen zurückgewinnen. Sie muss sich entscheiden: Ein Korb für Merkel, der wohl Neuwahlen mit vorhersehbarem Ausgang zur Folge hätte – oder eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners aus Staatsräson.