„Wenn die Moral nicht in ökonomische Kategorien übersetzt wird, dann bringt es nichts. Moral muss einen Preis bekommen.“ (Friedhelm Hengsbach)

Gerade hatten sie gemeinsam die neue IT-City von Volkswagen eingeweiht. Die Stimmung mag bei Personalvorstand Karlheinz Blessing und Betriebsratschef Bernd Osterloh weniger aufgeräumt gewesen sein, als es dieser Meilenstein der Konzern-Modernisierung nahelegt. Denn längst wussten sie, dass gegen Blessing und drei weitere amtierende und ehemalige Personalverantwortliche ermittelt wird. Ein Unbekannter hatte Anzeige wegen Untreue erstattet, weil Osterlohs Gehalt zu hoch sei.

Die Stellungnahmen des Unternehmens klingen vergleichsweise entspannt. Aber vor Gericht ist man in Gottes Hand, sagt der Volksmund. Fachleute wissen, dass besonders der Ausgang arbeitsrechtlicher Verfahren schwer zu kalkulieren ist. Im konkreten Fall gibt es eben keine amtliche Tabelle, nach der man Betriebsratsvorsitzende bezahlen könnte. Man könnte sagen: Der Teufel steckt in der Relation. Je nachdem, mit wem man einen Betriebsrat vergleicht, können sehr unterschiedliche Gehaltsbeträge herauskommen.

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Volkswagen hat eine trübe Vorgeschichte. Zu Zeiten, als Manager und ein bestimmter Kreis von Arbeitnehmervertretern sozusagen Rücken an Rücken der Reiselust frönten, gab es ein System der Begünstigung nach Gutsherrenart. Ohne Zweifel sind die Verhältnisse heute völlig anders. Der Betriebsrat der Ära Osterloh gilt als integer und unbequem – VW-Markenchef Herbert Diess, den Osterloh besonders hart annahm, mag es bezeugen.

Rechtlich scheint man vorgebaut zu haben. Wie es heißt, sei die Dotierung des obersten Vertreters von über 600 000 VW-Mitarbeitern intern und extern gründlich begutachtet worden. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen unterziehen diese Selbstkontrolle nun einer harten Prüfung. Die Braunschweiger Behörde hält sich bedeckt. Fest steht nur, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen für geboten hält. Als offensichtlich unbegründet schätzt sie die Anschuldigung also nicht ein.

Im rechtsstaatlichen Verfahren ist die Aufnahme der Ermittlungen genau das, nicht mehr und nicht weniger: eine Überprüfung. Man sollte sich hüten, daraus auf erwiesene Schuld der Herren Blessing, Neumann, Schumm und Rosik zu schließen. Man wird sehen, ob es zur Anklageerhebung kommt. In Niedersachsen gab es in Fällen hoher Prominenz zuletzt allerdings die Neigung, im Zweifel für das Gerichtsverfahren zu entscheiden. Die Sorge, man könnte der Kumpanei mit den Mächtigen beschuldigt werden, scheint groß.

Den schwersten Stand wird bis zur Entscheidung ausgerechnet derjenige haben, der gar nicht unter Verdacht steht. Bernd Osterloh ist der Empfänger der angeblich zu hohen Vergütung. Und nichts kann einen Arbeitnehmervertreter und Gewerkschafter leichter beschädigen als der Verdacht, er sei ein Raffzahn.

Gewerkschaften beziehen ihre Autorität aus dem Kampf für die Schwachen. Die werden ja durch ihren Zusammenschluss erst verhandlungsfähig. Solidarität hat hier einen hohen Stellenwert und der Glaube an die Gleichheit der Menschen auch. Es ist ein hochmoralisches Geschäft.

Osterloh hat mit der Veröffentlichung seines Gehalts das einzig Richtige getan: Spekulationen neigen zur Maßlosigkeit, jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch. Den Diskussionen werde er sich stellen, sagt er. Es wird sie geben. Denn vom Gehalt des einfachen Werkers ist Osterloh ein beeindruckendes Stück entfernt. Von den siebenstelligen Summen, die gleich kolportiert wurden, übrigens auch.

Sollte ein Arbeitnehmervertreter wie ein gehobener Manager bezahlt werden? Osterloh selbst findet, dass man diese Frage stellen muss. Hätte er sie früher stellen sollen? Mag sein. Die Führungskräfte, denen er in den Gremien gegenübersitzt, verdienen jedenfalls ein Mehrfaches, zum Teil ein Vielfaches. Der gebürtige Braunschweiger fährt seit seinem ersten Golf GTI gerne schnelle Autos, ansonsten pflegt er einen unauffälligen Lebensstil.

Gleichgültig, ob man sein Gehalt nun zu hoch, zu niedrig oder gerade richtig findet: Als Betriebsratschef mit unternehmerischem Sachverstand und Augenmaß ist Osterloh für Volkswagen ein Glücksfall. Die Nachfolge des Personalvorstandes Horst Neumann hatte man ihm in dem Wissen angetragen, dass er den Job gekonnt hätte.

Osterloh entschied sich dagegen, blieb in der Krise Betriebsratsvorsitzender, setzte gegen heftigen Widerstand des Managements den Zukunftspakt durch – und verzichtete auf ein jährliches Millioneneinkommen. Raffzahn? Wohl kaum.

Die Sache wird ermittelt, vielleicht verhandelt. Die VW-Welt dürfte sie nicht verändern. Da verhält es sich mit der Digitalisierung des weltgrößten Autobauers anders. Aus 43 IT-Standorten werden drei, die Mitarbeiter sehen sich viel öfter, brauchen weniger Zeit und entwickeln hoffentlich das Campus-Milieu, das man braucht, um in der digitalen Welt Erfolg zu haben. Johann Jungwirth alias „JJ“, dem Digitalguru des Wolfsburger Konzerns, wird die Investition in die IT-City helfen. Derweil will die Stadt, die symbiotisch mit und von diesem Unternehmen lebt, sich ebenfalls digitale Idealmaße antrainieren. Bonne chance, möchte man beiden zurufen.

Und, ja, man würde sich wünschen, dass aus der kommunalen ganz schnell eine regionale Initiative wird. Im Moment können wir sie ja noch ganz gut, die Kleinstaaterei.