Braunschweig. In Niedersachsen protestieren Mediziner gegen die Abschaffung der Neupatientenregelung: „Angriff auf die ambulante Versorgung, wie wir sie kennen“

Aus Protest gegen Sparpläne der Bundesregierung haben etliche Ärztinnen und Ärzte ihre Praxis am Mittwoch nicht geöffnet. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) hatte bundesweit zu Protestaktionen aufgerufen. „Uns stößt besonders sauer auf, dass die Neupatientenregelung wegfällt“, sagte der Braunschweiger Hausarzt Thorsten Kleinschmidt, Bezirkschef der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), unserer Zeitung. Die vor drei Jahren eingeführte Regelung sorgt dafür, dass Arztpraxen für die Behandlung neuer Patienten eine Vergütung zusätzlich zu ihrem festen Budget erhalten. Dieses Extra soll nun angesichts des erwarteten Minus von 17 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenkasse wegfallen.

„Bewährte Regelung wird ohne triftigen Grund kassiert“

Laut Kleinschmidt hat die Regelung dazu geführt, dass Sprechstunden ausgeweitet und Neupatienten in hoher Zahl zeitnah Termine erhielten. „Sie hat sich bewährt und wird nun kassiert – ohne triftigen Grund“, kritisiert er. Aus Sicht der Ärzte folgen daraus künftig längere Wartezeiten und eine Verschlechterung der Versorgung der Patienten in Niedersachsen.

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Die Geschäftsführer der Kassen-Ärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) in Braunschweig Dr. med. Thorsten Kleinschmidt.
Die Geschäftsführer der Kassen-Ärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) in Braunschweig Dr. med. Thorsten Kleinschmidt. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Alarm schlagen die Ärzte aber auch aus weiteren Gründen. Auf einer kurzfristig anberaumten Vertreterversammlung der KVN in Hannover klagten zahlreiche Teilnehmer über die massiv gestiegene Belastung der Praxen – durch die Inflation, steigende Energie- und Personalkosten. In keinem angemessenen Verhältnis dazu stehen aus Sicht der Ärzte die Angebote in den laufenden Honorarverhandlungen. Nachdem die Krankenkassen ursprünglich eine Nullrunde gefordert hatten, liegt nach einem Schlichtungsverfahren nun eine Honorarsteigerung von 2 Prozent auf dem Tisch. „Von einem Inflationsausgleich ist das meilenweit entfernt“, moniert Kleinschmidt. „Bei einer solchen Schamlosigkeit gegenüber den Praxen, die die Hauptlast der Corona-Pandemie geschultert haben, mag ich nicht mehr von einer Vertragspartnerschaft sprechen.“ Die Kassen wiederum sehen sich angesichts des erwarteten Defizits mit einem Abbau ihrer Finanzreserven konfrontiert – trotz eines Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro.

Viele Praxen blieben trotzdem offen

Obwohl, wie der Kinderarzt Tilman Kaethner in Hannover betonte, die Kürzungen ein „Angriff auf die ambulante Versorgung, wie wir sie kennen“ seien, war die Beteiligung an der Protestaktion offenbar geringer als von den Initiatoren erhofft. Mehrere Facharztpraxen der Region, bei denen sich unsere Redaktion stichprobenartig erkundigte, erklärten, dass sie zwar die Ziele des Protests unterstützten, ihre Sprechzeiten aus Rücksicht auf ihre Patienten dennoch nicht einschränkten. Der Braunschweiger Urologe Harald Junius sagte, er befürchte, mit den Anliegen bei Patienten, die derzeit selbst große Belastungen hinnähmen, womöglich auf Unverständnis zu stoßen. „Dabei kenne ich selbst Ärztekollegen, die pleite gegangen sind.“ Kleinschmidt vermutet, die Folgen der Kürzungen seien vielen Ärzten noch nicht vollends bewusst. „Das Erwachen kommt spätestens mit den Abrechnungen Mitte nächsten Jahres. Aber dann ist es zu spät.“