Braunschweig. Braunschweiger Hausärzte beklagen Verunsicherung bei vielen Patienten. Schneider-Rathert: Echter Mehrwert der neuen Impfstoffe ist noch unklar.

Vor dem dritten Corona-Winter gehen die Impfungen in eine neue Runde. Impfwillige können sich jetzt auch in Niedersachsen mit einem an die Omikronvarianten BA.4 und BA.5 angepassten Impfstoff boostern lassen. Am Montag haben die Auslieferungen an die Arztpraxen begonnen, berichtete die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen am Dienstag. Dabei sollen die neuen Impfstoffe lediglich als Auffrischung dienen. Für die Grundimmunisierung werden weiterhin die herkömmlichen Impfstoffe verwendet. Zwei an die Omikron-Variante BA.1 angepasste Impfstoffe sind bereits seit Anfang September erhältlich.

Matthias Berndt, Vorsitzender des Hausärzteverbands Niedersachsen geht von einer steigenden Nachfrage nach den angepassten Vakzinen aus. Um bestmöglich für den Herbst gewappnet zu sein, empfiehlt der Verband, die Impfung gegen Corona mit einer Grippeschutzimpfung zu kombinieren.

Neue Vakzine in vielen Impfzentren der Region bereits vorrätig

Im Impfzentrum und beim Impfbus der Stadt Salzgitter sind seit Freitag bereits alle angepassten Impfstoffvarianten erhältlich, wie die Stadt auf Anfrage unserer Zeitung berichtet. Dabei handelt es sich um ein Vakzin von Moderna und zwei Vakzine von Biontech (BA.1 und BA.4/5). Die Impfärzte besprechen aber in jedem Einzelfall, welcher Impfstoff am besten geeignet ist. Ein Anspruch auf einen bestimmten Impfstoff gebe es jedoch weiterhin nicht. Durch die begrenzten Haltbarkeiten und Lagermengen könne nicht garantiert werden immer alle Präparate vorrätig zu haben. Auch in Braunschweig steht der angepasste Impfstoff von Biontech seit Montag an allen Terminen der mobilen Impfteams zur Verfügung. In Wolfenbüttel ist der neue angepasste Impfstoff am Montag eingetroffen. Verimpft wird er seit Dienstag als erste oder zweite Auffrischungsimpfung. Auch hier stehen den Impfwilligen dann drei angepasste Vakzine zur Verfügung.

Stiko rät Über-60-Jährigen zur vierten Impfung

Die Ständige Impfkommission Stiko empfiehlt allen Personen über 60 Jahren oder jenen, die aufgrund einer Grunderkrankung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben sowie Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen eine vierfache Auseinandersetzung mit dem Virus. Dabei kann es sich um eine Impfung oder eine Infektion handeln. Bei jüngeren Personen ohne Grunderkrankung reicht laut Stiko eine dreifache Immunisierung aus.

Kritisch sieht der Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Sprecher der Sektion Prävention im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), die Empfehlungen für die neuen Impfstoffe. In seiner eigenen Praxis im Braunschweiger Stadtteil Querum verzichtet er auf die Impfung mit den angepassten Vakzinen – aus gutem Grund, wie der Mediziner meint, denn wo der wirkliche Mehrwert liege, sei völlig unklar. „Die Stiko davon aus, dass sie besser wirken und dennoch sicher sind, aber man weiß einfach noch zu wenig“, sagt er. Für eine bevorzugte Anwendung der sogenannten bivalenten Impfstoffe, zu denen auch die angepassten Vakzine gegen BA.4 und BA.5 gehören, gebe es angesichts der begrenzten Datenlage keine hinreichenden Begründungen, heißt es in einer Stellungnahme der DEGAM.

Schneider-Rathert: Beruhigt alte Impfstoffe nehmen

„Die Stiko geht davon aus, dass die angepassten Impfstoffe besser wirken und dennoch sicher sind, aber man weiß einfach noch zu wenig“, sagt Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Hausarzt und Sprecher der Sektion Prävention im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.
„Die Stiko geht davon aus, dass die angepassten Impfstoffe besser wirken und dennoch sicher sind, aber man weiß einfach noch zu wenig“, sagt Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Hausarzt und Sprecher der Sektion Prävention im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. © Privat | Nina Stiller

In dem Dokument weist die Gesellschaft auch auf die fehlenden Sicherheits- und Wirksamkeits-Daten dieser Impfstoffe für Kinder zwischen 12 und 18 Jahren sowie für Schwangere hin. Hinzu komme, dass viele Menschen in der Bevölkerung im Frühjahr oder Sommer bereits eine Infektion mit der Omikronvariante durchgemacht haben, eine Auseinandersetzung mit der neuen Virusvariante somit bereits stattgefunden habe. „Wer jetzt eine Impfung haben möchte, kann beruhigt auch die alten Impfstoffe nehmen“, rät Schneider-Rathert. „Die Impfstoffe, die wir bislang haben, schützen gut vor einem schweren Verlauf und einem Krankenhausaufenthalt“, sagt der Mediziner. „Wir sind in einem endemischen Zustand angekommen. Aber anstecken kann man sich immer wieder. Bei Geboosterten sehen wir in unserer Praxis seit Monaten keine schweren Verläufe mehr.“

Hausärzte: Große Verunsicherung bei Patienten

Auch weitere Hausärzte in unserer Region beklagen derzeit große Unsicherheiten bei Patientinnen und Patienten mit Blick auf die Corona-Impfung. Der Regionalvorsitzende des Hausärzteverbands Dr. Carsten Gieseking sagt unserer Zeitung, die Politik habe eine überflüssige Impfdebatte angezettelt, die die Arztpraxen nun auszubaden hätten. Auch sein Kollege Dr. Thorsten Kleinschmidt von der Kassenärztlichen Vereinigung kritisiert: „Leider klafft auseinander, was das Robert-Koch-Institut, Herr Lauterbach empfiehlt oder die Zeitungen empfehlen – und was wir Ärzte im Einzelnen für vernünftig halten.“ In den Praxen führe diese Verunsicherung zu vielen Anrufen und, infolge des hohen Beratungsbedarfs, zu gestressten Praxis-Mitarbeitern.

Gieseking berichtet, dass eine weitere Corona-Impfung in vielen Fällen, in denen Patienten sich erkundigten, unnötig sei. Kleinschmidt rät, sich strikt an den Empfehlungen der Stiko zu orientieren. „Es braucht jetzt keine fünfte Impfung“, sagt er unserer Zeitung. „Und die vierte Impfung ist auch nur sinnvoll für ältere Menschen über 60 oder solche, die ein erhöhtes Risiko haben, schwer zu erkranken.“ In letzterem Fall, so Kleinschmidt, sollten die neuen, an die Omikron-Variante BA.4 und BA.5 angepassten Impfstoffe zum Einsatz kommen.

Hausarzt: Grippesaison dürfte stärker ausfallen

Kleinschmidt betont, die Impfung diene dem Ziel, schwere Corona-Verläufe zu verhindern. Diese gebe es derzeit aber glücklicherweise kaum noch. „Im Wesentlichen scheint dieser Drops derzeit gelutscht“, bringt der Braunschweiger Hausarzt seine Einschätzung auf den Punkt. Gleichwohl sei mit erhöhten Fallzahlen zu rechnen. „Das ist aber nichts Besonderes“, so Kleinschmidt. „Herbst und Winter sind nun mal Infekt-Saison“.

Sorge bereitet Schneider-Rathert daher in diesem Jahr denn auch eher die bevorstehende Grippesaison. Eine Impfung gegen Influenza sei in diesem Jahr womöglich wichtiger als in den vergangenen. „Durch die ganzen Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie sind wir auch mit anderen Erregern nicht in Kontakt gekommen. Das Immunsystem hat dadurch weniger Training.“, erklärt der Mediziner. Herzkranken und Menschen über 60 Jahren, empfiehlt er daher, über eine gezielte „Extra-Trainingsrunde“ durch eine Grippe-Impfung nachzudenken.

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