Lucklum. Warten und weinen, arbeiten und singen: Im Kreis Wolfenbüttel denken Ukrainerinnen über ihre Lage nach. Am Freitagabend gibt es ein Soli-Konzert.

Ein Rund-um-Lucklum-Spaziergang ist nie verkehrt. Ein schmucker Ort bei Sickte im Kreis Wolfenbüttel ist das. Doch Larissa Tkachuks Lucklum-Runde war am Dienstag nicht nur wegen der lichten Wege zwischen Rittergut und Ackerflächen so erfreulich. Sie traf auch einen anderen Spaziergänger, sprach ihn auf seinen Hund an – und hatte schon bald einen Pastor kennengelernt, der ihr am Ende des Gespräches einen Raum in Aussicht stellte, in dem Frauen aus der Ukraine Deutschunterricht erteilt bekommen können.

„Typisch Larissa“, werden einige sagen, die sich vertraut gemacht haben mit der freundlich inständigen Art, auf die Larissa Tkachuk aus Lwiw (Lemberg) in unserer Region im Sinne der Kriegsflüchtlinge Fäden knüpft, Hilfe anschiebt, Aktionen koordiniert. Sie selbst erzählt die kleine Geschichte aber aus einem anderen Grund. Sie findet das nämlich „typisch deutsch“.

Natürlich hört man sie gern, diese in bemerkenswert ausgesuchtem Deutsch von der diplomierten Germanistin vorgetragenen Elogen auf unsere Hilfsbereitschaft. Selbst die Bürokratie, selbst die vielen zuständigen Ämter und Behörden hat sie als zackig und großmütig erlebt.

Doch ist dies kein Gespräch, in dem die seelischen Nöte und die praktischen Probleme bloß in harmonische Sauce getunkt werden. Dass wir nun immerzu über „die“ Ukrainerinnen reden, ist logisch. Es sind ja auch viele: Bis Donnerstag hat man allein 13.000 Flüchtlinge gezählt, die übers Drehkreuz am Messebahnhof Laatzen nach Niedersachsen gekommen sind. Und „die“ Ukrainerinnen gibt es natürlich gar nicht. Weil sie, na klar, völlig verschieden sind.

Die Scheu, sich helfen zu lassen

Für die einen ist ihr Hiersein nicht nur neu, sondern auch irritierend und beängstigend, erklärt Larissa Tkachuk. Sie haben wenig oder gar keine Erfahrungen im Ausland gesammelt. Sie haben Schwierigkeiten, etwas anzunehmen, sich helfen zu lassen. Sie wollen nichts geschenkt haben. „Sie weinen und warten.“ Eine andere Gruppe ist grundsätzlich offen, hat aber mit Formalitäten zu kämpfen. „Zum Beispiel Ukrainerinnen, die zu Hause selbständig waren, haben mir erzählt, dass es ihnen schwer fällt, hier eine Arbeit zu finden.“ Deshalb seien Beratungen in Arbeitsvermittlungen so wichtig. Denn viele, eigentlich die meisten, glaubt Larissa Tkachuk, versuchen sich einzubringen. Sie wollen arbeiten, auch Deutsch lernen. Nicht, weil sie nicht zurückkehren wollten. Sondern um sich abzulenken. Um sich zu bewähren. Um etwas zu verdienen, sich einzubringen. U

„Die“ Ukrainerinnen gibt es gar nicht. Die Designerin Mariia Dudchyna (von links), die Sängerin Navka, die Designerin Mariia Kovalchuk, die Germanistin Larissa Tkachuk und die für Lucklum zuständige Pastorin Inka Baumann treffen sich auf dem Gutshof.
„Die“ Ukrainerinnen gibt es gar nicht. Die Designerin Mariia Dudchyna (von links), die Sängerin Navka, die Designerin Mariia Kovalchuk, die Germanistin Larissa Tkachuk und die für Lucklum zuständige Pastorin Inka Baumann treffen sich auf dem Gutshof. © Likus, Harald | Likus, Harald

nd um etwas zurückzugeben.

Solche Frauen sitzen jetzt in Lucklum auf der Couch. Rittergut, Kirche, Larissa Tkachuk… Natürlich gibt es nicht die eine regionale Organisationszentrale, doch hier scheint schon manches zusammenzulaufen. Draußen lächelt der Gutshof mit der Frühlingssonne um die Wette. Drinnen findet kein normales Pressegespräch statt. Es wird gelacht. Doch auch Tränen fließen, wenn von der Sorge um die Männer, wenn von familiären Schicksalsschlägen die Rede ist.

Aber nun die Couch: Larissa Tkachuk wurde schon erwähnt. Sie hat viele Kontakte, will hierbleiben, etwas aufbauen. „Ich möchte nützlich sein.“ Aber auch Mariia Kovalchuk und Mariia Dudchyna sitzen da. Beide sind Designerinnen, die eine für Kleidung, die andere für Inneneinrichtung. Da ist ein Neustart in der Fremde kein Selbstgänger. Mariia Dudchyna findet warme Worte für ihre Gastfamilie. „Ich warte nur auf den Tag, wenn ich sie in die Ukraine einladen kann.“ Neben ihr auf der Couch sitzt keine Ukrainerin. Inka Baumann ist auch da, die zuständige Pfarrerin, die zum Thema Hilfe gleich den nächsten Satz beisteuert, den man sich schon mal für den Jahresrückblick vormerken möchte: „Das Jahr war anders geplant. Aber jetzt ist das Leben da. Jetzt geht es darum, sich um Menschen zu kümmern.“

Lieder der Liebe

Tja, und dann sitzt auch noch Navka auf der Couch. Wobei „auch noch“ bei einer Frau, die so aussieht wie sie, ein sprachlicher Missgriff ist. Wenn sie spricht, schauen die anderen andächtig. Navka ist ein Künstlername, eigentlich heißt sie Maryna Tymofiichuk. Navka wird am Freitagabend in Lucklum auftreten. Zur Klavierbegleitung wird sie ukrainische Lieder singen. Folk-Pop mag man die Richtung nennen. „Nicht auf Englisch oder Russisch, sondern auf Ukrainisch zu singen, galt lange Zeit als provinziell“, erzählt sie. Doch sie liebt das melodische Ukrainisch – wie das ganze Land. Auf einigen ihrer aufwendig produzierten Youtube-Videos sieht man sie aufreizend tanzen, andere variieren archaische Motive und christliche Symbole. Da sind geflochtene Zöpfe und Bogenschützen zu sehen, eine Schale mit Äpfeln, ein Lamm. Viele Videos haben Navka und ihr Mann, der jetzt an der Landesverteidigung teilnimmt, als Kurzporträts verschiedener Regionen der Ukraine konzipiert, eine Art Liebeserklärung an das Land. Apropos Mann, apropos Liebe: Ein Lied, sagt Navka, wird sie heute für ihn singen – ein Lied darüber, wie sie sich kennengelernt haben. Ob sie Heimweh habe, fragt plötzlich die Pfarrerin Inka Baumann dazwischen. Navka sagt, vor allem ihre Kinder sollten in Sicherheit sein. Und die Kinder, fügt sie hinzu, könnten hier viel sehen, lernen, erleben – und die Erfahrungen „später“ mit in die Ukraine bringen. Sie selbst, sagt die Sängerin, sei jeden Tag aufs Neue überwältigt von der Solidarität, die sie erlebe. Sie spüre sogar, wie ihr christlicher Glaube, den sie vor Jahren verworfen habe, langsam, aber sicher zurückkehre. „Das alles ist wunderschön, nur der Grund dafür ist so grässlich. Die perfekte Welt wäre so viel Wärme – ohne Krieg.“ Da nicken die anderen Frauen auf der Couch, sie nicken, schlucken, seufzen.

Und wie geht es weiter? Erst mal steigt am Freitagabend das Konzert. Nicht bloß in Moll übrigens. Sie habe auch schon für Soldaten gesungen, erzählt Navka. Die hätten ihr gesagt, dass sie nicht nur traurige Lieder hören wollen. Sondern auch Tanzmusik. Daran halte sie sich. Auf die Frage nach künftigen Flüchtlingsströmen – zuletzt sind ja weniger gekommen – sind die Frauen in Lucklum unsicher. Das sei wirklich schwer zu sagen, geben die Designerinnen zu Protokoll. Und Larissa Tkachuk berichtet, sie wisse von vielen, die auf gepackten Koffern sitzen. Motto: Beim nächsten Angriff gehen wir auch. Oder doch nach dem übernächsten? „Jedenfalls tun sie das, was wir alle tun: Warten auf das Ende des Krieges.“

Das Solidaritäts-Konzert

Am Freitag, 1. April, 19 Uhr, gibt es Musik im Ackerpferdestall, Gutshof 1, im Rittergut
Lucklum. Organisiert wird das vom Verein Wegart und der Güterverwaltung Reinau. Die Sängerin Navka beginnt, auch das Klaus-Geeseke-Jazz-Trio, eine Sängerin namens Anna und die Darbietungen von Dalibude und Triomanie sind vorgesehen.
Der Erlös geht an den Verein „Freie Ukraine Braunschweig“.