Braunschweig. Vor Roland Kaisers Braunschweig-Konzert am 4. November erklärt der Literaturwissenschaftler Moritz die Bedeutung des Sängers.

Der Begriff „lebende Legende“ ist abgeschmackt, aber nun hat man es halt hingeschrieben. Jedenfalls tritt Roland Kaiser ebenso lebendig wie legendär am 4. November in Braunschweig auf. Der Literaturwissenschaftler und Schlagerexperte Rainer Moritz erklärt, was an Kaiser so besonders ist.

Sehr geehrter Herr Moritz, erinnern Sie sich noch daran, wie Sie zum ersten Mal bewusst Roland Kaiser gesehen und gehört haben?

Das war natürlich in der ZDF-Hitparade, ich war ein besonders treuer Zuschauer. Und Roland Kaiser war der „König der Hitparade“, 67 Mal trat er dort auf, niemand tat es häufiger. Ich werde ihn also schon in den 70er Jahren in dieser Sendung gesehen haben, wahrscheinlich gleich mit seinem großen Erfolg „Sieben Fässer Wein“, einem Lied, das er übrigens niemals mochte, wie er in seiner Autobiografie schreibt, einem Lied, das eigentlich Rex Gildo hätte singen sollen.

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Können Sie sich noch erinnern – wie hat nun gerade dieser Roland Kaiser auf Sie gewirkt, sagen wir im Vergleich zu Jürgen Marcus, Jürgen Drews und all den anderen?

Das Besondere an ihm ist mir schon damals aufgefallen: Er ist nicht festlegbar auf eine bestimmte Art des Schlagers. Andere haben im Prinzip immer das Gleiche gemacht – und wenn Sie etwas anderes probierten, sind sie kläglich gescheitert. Er war zum einen ein klassischer Schlagersänger, das Haar war sehr gut geföhnt, zum anderen jedoch hatte er eine andere Bandbreite. Er hat „Santa Maria“ gesungen, „Sieben Fässer Wein“ und „Lieb mich ein letztes Mal“. Das sind, wenn Sie genau hinhören, völlig verschiedene Themen. Er hat sich etwas getraut, er hat sich „neu erfunden“, wie man heute sagt. In seinem Buch verweist er diesbezüglich auf das große, sicher nicht direkt vergleichbare Vorbild Udo Jürgens.

Kaiser sang zu erheblichen Teilen Lieder, die andere geschrieben haben. War er wirklich mehr als eine Projektionsfläche, hat er selbst entschieden?

Ja, in seiner Autobiografie wird sehr deutlich, dass er nicht fremdbestimmt werden wollte. Dazu war er im Gegensatz zu manch anderem in der Lage. Und er hat früh erkannt, dass es gut für ihn ist, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer das Gefühl haben: Der Mann ist echt. Dazu passt die besondere Entstehungsgeschichte des Liedes „Santa Maria“, dessen Text man heute natürlich als problematisch empfindet, was die Darstellung von Sexualität angeht…

Wurde da womöglich geflirtet? Etwa 1970, so erinnert er sich, fotografierte unser Mitarbeiter Horst Körner den jungen Roland Kaiser, wie er sich auf den Auftritt in einem Schützenzelt in Salzgitter vorbereitet.
Wurde da womöglich geflirtet? Etwa 1970, so erinnert er sich, fotografierte unser Mitarbeiter Horst Körner den jungen Roland Kaiser, wie er sich auf den Auftritt in einem Schützenzelt in Salzgitter vorbereitet. © Horst Körner (Archiv)

Sie meinen solche irgendwie spätkolonialistischen Deflorationsanspielungen wie „Nachts an deinen schneeweißen Stränden/ hielt ich ihre Jugend in den Händen“?

Ja, er hat erzählt, dass es ursprünglich einen anderen Text gab, der von Kolumbus handelte. Weil der aber als langweilig empfunden wurde, hat er sich mit einem Freund hingesetzt und diesen Text geschrieben, den er eigentlich als Parodie verstanden wissen wollte. Ich will den Text nicht schönreden, aber es ist schon bemerkenswert, dass Roland Kaiser immer wieder an den sittlichen Grundfesten des Schlagers gerüttelt hat. Wir dürfen nicht vergessen: Bis in die 70er Jahre hinein war diese Musik ungeheuer züchtig. Dann aber kamen Lieder wie „Ein Bett im Kornfeld“ von Jürgen Drews oder später auch „Manchmal möchte ich schon mit dir“ von Roland Kaiser, ein Lied, das davon handelt, was einer gern mit der Ehefrau des besten Freundes tun würde… Man hat ihn damals oft als „Erotomanen des deutschen Schlagers“ und als „Softpornographen“ bezeichnet. Ganz so schlimm war das alles nicht. Doch er hat schon mehr riskiert und seinen Markenkern in dieser Hinsicht geschärft.

Kam das vor allem bei Frauen an?

Das war ganz sicher so – ohne dass er die Männer vergrätzt hätte. Nehmen wir das schöne Lied „Lieb mich ein letztes Mal“, das mit ganz wenigen Worten einen starken Eindruck hinterlässt. Die Zuschauerinnen nahmen und nehmen ihm das ab. Ich schätze es ja ohnehin als große Leistung an, wie lange Roland Kaiser auf sein Publikum zählen konnte. Er musste nicht wie andere in Baumärkten auftreten.

Rainer Moritz.
Rainer Moritz. © Bernward Comes

Wie ist es heute? In gewisser Weise ist er ein Überlebender, hat schwierige Operationen hinter sich. Sie haben ihn auf der Buchmesse erlebt und mit ihm öffentlich über seine Autobiografie gesprochen, die Sie auch schon erwähnten. War er ein souveräner Gesprächspartner?

Ja, ich würde ihn als geradlinig bezeichnen. Und ich glaube auch, so eine Karriere ist noch viel schwieriger, wenn sie auf Verstellung basiert. Auch mit seiner Lungentransplantation geht er offen um. In dem Buch gibt es die Formulierung „Unterhaltung mit Haltung“ – und das trifft es ganz gut. Die Kindheit im Wedding, die Pflegemutter, die frühen Jobs, die er machen musste… Ich kenne auch keine andere Autobiografie eines Schlagersängers, in der Willy Brandt so eine große Rolle spielt und die Nähe zur SPD.

Eine Frage noch zu Ihnen selbst: Sie sind Literaturkenner, Übersetzer, Intellektueller reinsten Wassers – und befassen sich mit Schlager. Bitte sagen Sie jetzt nicht, dass Sie in dieser Hinsicht niemals angefrotzelt werden!

Das geschieht durchaus. Für mich waren halt nicht die Rolling Stones entscheidend, sondern eher Bernd Clüvers „Der Junge mit der Mundharmonika“. Ich bin damit immer offensiv umgegangen, trotz Spott und Hohn. Auch ein Literaturhaus-Leiter braucht ja ein Alleinstellungsmerkmal. Vor allem aber verstehe ich den Schlager als wichtiges Element der deutschen Kulturgeschichte. Was hat es mit den Italien-Schlagern der 50er Jahre auf sich, wie war das mit Drafi Deutscher in den 60ern und der großen Auflockerung in den 70ern? „Am Tag, als Conny Kramer starb“, plötzlich gab es einen Schlager über Drogentote! An der Geschichte des Schlagers lässt sich sehr viel ablesen.

DAS IST ROLAND KAISER

Ronald Keller wurde am 10. Mai 1952 in Berlin geboren. Unter dem Künstlernamen Roland Kaiser wurde er berühmt.

Aufgewachsen ist Keller/Kaiser im Bezirk Wedding. Laut Wikipedia hatte die leibliche Mutter das Baby nach der Geburt in einem Korb ausgesetzt. Mit 15 Jahren wurde er Vollwaise, weil die Adoptivmutter starb. Daraufhin brach Keller/Kaiser die Volksschule ab und begann eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann.

In den frühen 70ern arbeitete er tagsüber als Telegrammbote und sang abends in Kneipen und auf Hochzeiten. Seine erste Single erschien 1974: „Was ist wohl aus ihr geworden?“

Roland Kaisers erster Erfolg war das Lied „Sieben Fässer Wein“. Als Durchbruch gilt „Santa Maria“ 1980 – ebenfalls eine Coverversion. Weitere Erfolge: „Lieb’ mich ein letztes Mal“, „Dich zu lieben“, „Manchmal möchte ich schon mit dir“, „Ich glaub es geht schon wieder los“.

Um das Jahr 2000 wurde bekannt, dass Kaiser an einer chronischen Lungenerkrankung leidet. Sein Comeback feierte er 2010.

Die Autobiografie „Sonnenseite“ ist vor kurzem erschienen