Wolfsburg. Der Hochschul-Ausbildungsort am Klinikum Braunschweig war geplatzt. Dass das Wolfsburger Haus jetzt einspringen will, gefällt nicht jedem.

Ursprünglich war das Projekt für Braunschweig geplant. 60 Studierende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) pro Jahr sollten im Klinikum Braunschweig den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren. Schon im April 2018 wurde die Absichtserklärung vom Landes-Wissenschaftsministerium (MWK), der UMG und dem Klinikum unterzeichnet. Das Ziel: Nachwuchskräfte in die Region zu bringen. Denn nach Abschluss ihres Studiums blieben viele frisch ausgebildete Ärztinnen und Ärzte am Standort ihrer klinischen Ausbildung, so Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU). Das Projekt platzte im Februar 2020.

Jetzt hat das Klinikum Wolfsburg übernommen: Wie gestern durch eine Pressemitteilung bekannt wurde, unterzeichneten die künftigen Partner am Montag wiederum eine Absichtserklärung, den „Letter of Intent“, in dem sie ihre gemeinsamen Pläne festlegten. Schon ab Frühjahr 2022 sollen demnach Studierende aus Göttingen im Wolfsburger Klinikum am Krankenbett lernen; „ausgewählte, patientennahe Lehrveranstaltungen“ sind geplant. Ab 2023 sollen dann 60 angehende Medizinerinnen und Mediziner in Wolfsburg praktisch ausgebildet werden.

Braunschweigs Oberbürgermeister zeigt sich enttäuscht

In Braunschweig stießen die Pläne auf gründliche Irritation. Die Pressemeldung sei „überraschend“ gekommen, er sei auch „im Hinblick auf die von ihm gelebte regionale Kooperation enttäuscht“, teilte Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth mit: „Nicht nur mit Blick auf Wolfsburg, sondern auch mit Blick auf das Land ist es bemerkenswert, dass ein solcher Lösungsansatz ohne die Beteiligung des größten Gesundheitsversorgers in der Region jetzt erfolgen soll“, so Markurth.

Die Landtagsabgeordneten Annette Schütze und Christoph Bratmann (beide SPD) zogen gleich und erklärten: „Das Klinikum Braunschweig ist im Gegensatz zu Wolfsburg ein Maximalversorger, der ideale Bedingungen für die praktische Ausbildung angehender Medizinerinnen und Mediziner bietet.“ Es müsse daher Sorge getragen werden, dass das Braunschweiger Haus in die Zusammenarbeit zwischen Göttingen und Wolfsburg mit einbezogen werde, machte auch der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Christos Pantazis (SPD) im Gespräch mit unserer Zeitung klar.

Es fehlen mehr als 2000 Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen

„Ich habe die klare Erwartungshaltung, dass das Land politisch eingreift“, so der Politiker und Mediziner. Aus fachlich-medizinischer Sicht sei nicht zu erklären, warum nun Wolfsburg, nicht Braunschweig, als praktischer Ausbildungsort ausgewählt worden sei. „Als Maximalversorger auf hohem Niveau wäre es nur sinnvoll gewesen, den universitären Weg zu gehen“, so Pantazis. Wolfsburg sei hingegen in seiner Funktion als Schwerpunktversorger von Braunschweig abhängig, da nicht alle medizinischen Leistungen angeboten werden. „Ich halte die Entscheidung nicht für klug“, so Pantazis – regionalpolitisch gesehen bezeichnete er den anscheinend mit Braunschweig nicht abgestimmten Vorstoß Wolfsburgs als „schwierig“.

Die Region braucht derweil dringend mehr Ärztinnen und Ärzte. 2000 bis 2500 Medizinerinnen und Mediziner fehlten im Land, beklagte Andreas Hammerschmidt, stellvertretender Landeschef des Ärzteverbandes Marburger Bund, im vergangenen November. Das sei die schlechteste Quote nach Brandenburg. In diesem Zusammenhang kritisierte der Marburger Bund die geplatzte Zusammenarbeit zwischen Land, UMG und Braunschweiger Klinikum scharf. Auch Monika Müller, Wolfsburgs Gesundheits- und Klinikumsdezernentin, unterstreicht den hohen Bedarf für die Region. „Wir haben einen deutlichen Mangel, vor allem bei den Haus- und Kinderärzten“, so Müller, „auch in den nächsten Jahren werden einige Praxen altersbedingt schließen. Die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich schwierig.“

Teilstudienplätze werden in Vollstudienplätzen ausgebaut

Es sei deshalb nicht nur für Wolfsburg, sondern für die ganze Region gesundheitspolitisch elementar wichtig, eine bessere medizinische Versorgung sicherzustellen, begründet die Dezernentin die geplante Zusammenarbeit mit der Göttinger Universitätsmedizin. „Es hilft ja nicht, wenn wir bei Umsetzung der Kooperation nur in Wolfsburg gut ausgestattet sind, da dann viele Patientinnen und Patienten aus dem Umland weite Wege zu uns auf sich nehmen müssen“, so Müller. Ihre Hoffnung sei, dass durch die Ausbildung der Medizinstudierenden in Wolfsburg nicht nur für das Wolfsburger Klinikum neues Personal anzuwerben sei, sondern auch für den Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Zudem könnten auch die umliegenden Städte und Kreise profitieren und partizipieren.

Für die Universitätsmedizin Göttingen wiederum bietet sich in der Zusammenarbeit die Chance, Teilstudienplätze in Vollstudienplätze umzubauen. Die Hochschule hat traditionell mehr Kapazitäten in der theoretischen Ausbildung; Studierende mit einem Teilstudienplatz mussten bislang nach bestandenem Physikum mitunter in Kliniken in andere Bundesländer wechseln und Wartezeiten in Kauf nehmen.

Rechtliche, finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten

Bleibt die Frage: Warum soll in Wolfsburg funktionieren, was in Braunschweig scheiterte? Die Gründe für das Ende der Zusammenarbeit zwischen dem Braunschweiger Klinikum, dem Land und der UMG lagen dem Vernehmen nach nicht nur an schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch an finanziellen Unklarheiten. 10 Millionen Euro sollte das Klinikum pro Jahr vom Land erhalten, zu wenig, hieß es. Wissenschaftsminister Björn Thümler hielt den Braunschweigern damals vor, rechtliche und finanzielle Vorgaben seien klar gewesen – in ihrer aktuellen Pressemitteilung beklagt die Stadt wiederum, das Ministerium habe die Bemühungen um eine Zusammenarbeit einseitig beendet, nachdem sich rechtliche, finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten ergeben hätten.

In Wolfsburg soll nun die Kooperation gelingen. „Ich sehe keine Probleme bei den rechtlichen Rahmenbedingungen“, ist Klinikumsdezernentin Monika Müller optimistisch. „Natürlich kann sich die ein oder andere Hürde noch ergeben, wir stehen ja erst am Anfang.“ Ein Kooperationsvertrag solle nun zügig vereinbart werden, damit dem Start um Frühjahr nichts im Wege steht. „Was die Finanzierung betrifft, müssen alle Beteiligten natürlich noch gründlich prüfen und Kompromisse eingehen. Klar ist aber, dass wir uns als Stadt engagieren wollen, junge Menschen für die Region zu gewinnen.“ Die Stadt Wolfsburg wolle sich, womöglich auch finanziell, beteiligen, in etwa auch in der Frage um die Wohnmöglichkeiten für die Studierenden.

Braunschweiger Klinikum soll von Zusammenarbeit profitieren

Letzten Endes soll der Medizincampus Wolfsburg-Göttingen auch dem Braunschweiger Klinikum zugutekommen, betont Dezernentin Müller. „Wir wollen, dass alle Partner profitieren“: damit meint Müller neben der Universitätsmedizin Göttingen die kommunalen Krankenhäuser in Wolfsburg, Braunschweig und Wolfenbüttel. Denkbar sei, dass die Studierenden in Zukunft nicht nur in Wolfsburg, sondern auch in den anderen Kliniken Teile ihrer praktischen Ausbildung absolvieren. Gespräche in dieser Richtung habe es aber noch nicht gegeben. Dafür müsste erstmal das Wolfsburger Projekt auf die Zielgerade gebracht werden.

In Braunschweig zeigt man sich derweil kämpferisch. Man sei weiterhin gewillt, „eine qualitativ hochwertige moderne und zukunftsfähige Medizinerausbildung in Braunschweig zu ermöglichen“, so Oberbürgermeister Markurth. Und liefert noch eine Breitseite gegen das Wolfsburger Klinikum: Braunschweig sei der einzige Ort, der klinisch sowohl stationär als auch ambulant alle notwendigen Voraussetzungen für eine qualitätsvolle Ausbildung habe, wird Markurth in der Mitteilung der Stadt zitiert. Ziel sei, eine umfassende, hoch qualifizierte, medizinische Versorgung sicherzustellen, so Markurth: „Ohne das städtische Klinikum Braunschweig wird dies nicht gelingen können.“