Salzgitter. Wer trifft schon Angela Merkel persönlich? Ein Journalistik-Professor der Ostfalia spricht über die Glaubwürdigkeit verschiedener Medien.

Warum im Onlinejournalismus mehr Fehler entstehen, wieso soziale Medien einer Schatzsuche gleichen und warum die Gesellschaft der Tageszeitung vertrauen sollte – darüber spricht Professor Marc-Christian Ollrog, Professor für Journalistik und Studiendekan für den Medienbereich an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter, im Interview mit unserer Zeitung. Außerdem verrät er, warum ihm einst Fußballfans gedroht haben.

Erklären Sie zunächst bitte, was Glaubwürdigkeit genau ist.

Etwas glaubwürdig zu finden heißt, man glaubt, dass getroffene Aussagen wahr, adäquat und kohärent sind.

Warum ist die Glaubwürdigkeit von Medien so wichtig?

Weil damit Akzeptanz und Vertrauen verbunden sind. Unser Weltbild wird durch Medien vermittelt. Wer von uns trifft denn beispielsweise Angela Merkel persönlich? Dazu haben wir nicht die Möglichkeit. Wenn wir dem Mittler nicht mehr trauen, ist das schwierig für das Vertrauen insgesamt.

Was können journalistische Medien tun, um in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu sein beziehungsweise zu bleiben?

Journalisten müssen ihren Job gut machen, heute mehr denn je. Das heißt, sie müssen auf Basis von Recherche sachbezogene Aussagen treffen, informieren, die Mächtigen kritisieren und kontrollieren und so zur Meinungsbildung beitragen, damit die gesellschaftliche Kommunikation insgesamt ermöglicht wird. Das ist unverändert im Job, aber die Situation, in der dies stattfinden muss, ist komplizierter geworden. Denn heutzutage sind alle Menschen Sender und Empfänger – zumindest theoretisch. Es entsteht ein Konkurrenzkampf. Es gibt unzählige Anbieter, aber die Aufmerksamkeit des Publikums ist begrenzt.

Marc-Christian Ollrog, Professor für Journalistik und Studiendekan für den Medienbereich an der Ostfalia-Hochschule in Salzgitter.
Marc-Christian Ollrog, Professor für Journalistik und Studiendekan für den Medienbereich an der Ostfalia-Hochschule in Salzgitter. © Celine Wolff | Celine Wolff

Sie haben 2005/2006 ein Volontariat bei der Leipziger Volkszeitung gemacht. Was war der Job des Journalismus damals?

Die sozialen Medien und Blogs haben eine viel geringere Rolle gespielt. Zeitungsauflagen waren schon damals auf einem absteigenden Ast, aber sie waren immer noch gewaltig hoch, fast doppelt so hoch wie heutzutage. Dafür ist natürlich die digitale Reichweite dazu gekommen, das darf man nicht vergessen. Die Journalistenwelt war eher analog – das galt für Arbeitsroutinen, Quellen und Denkweisen. Als Zeitungsjournalist hat man vor allem für das gedruckte Blatt produziert.

Hatten Sie damals am Anfang Ihrer Karriere Angst, Fehler in der Recherche zu machen?

Angst hatte ich selten, vielleicht manchmal bei ganz kritischen Sachen. Respekt hatte ich meistens, und das ist auch gut. Ich empfehle Journalisten immer, ein bisschen Demut vor den Themen und vor allem Offenheit und Lernbereitschaft zu haben. Es gehört zu den faszinierenden Dingen im Job des Journalisten, dass man sich die komplexesten und schwierigsten Themen aneignen kann. Man lernt jeden Tag dazu, wenn man will und dazu bereit ist. Da ist es sehr behilflich, seine eigene Meinung auch revidieren zu können.

Was ist die wichtigste Regel in der Recherche, um das Vertrauen der LeserInnen nicht zu verlieren?

Die Landespressegesetze schreiben der Presse vor, die gebührende Sorgfalt walten zu lassen. Also nach bestem Wissen und Gewissen, sorgfältig zu handeln, ist sicher wichtig. Also, die Fakten, die man präsentiert, auszuwählen und zu überprüfen. Ansonsten gibt es die Handwerksregeln, wie beispielsweise Meinung von Sachaussagen trennen und Quellen stets kontrollieren. Letzteres ist ein wichtiges Thema der heutigen Zeit. Man sollte Wahres von Falschem unterscheiden.

Lesen Sie mehr:

Welches Medium finden Sie am glaubwürdigsten?

Das ist situativ unterschiedlich. Tendenziell sind textbasierte, printbasierte Medien für mich glaubwürdiger als digitale Medien. Dort lernt man in der Regel mehr über Hintergründe. Wichtig ist immer, dass die Medien sich bemühen, umfassend zu informieren, Hintergründe darzustellen und verschiedene Perspektiven abzubilden. Skeptisch bin ich, wenn der Inhalt verkürzt wird und allzu einfach heruntergebrochen wird. Wenn man das Gefühl hat, dass Teile der Wirklichkeit vorenthalten werden.

Besonders lange Texte erscheinen in unserem Onlineauftritt, für den Druck werden sie teilweise gekürzt. Schenken Sie der Zeitung trotzdem mehr Glauben?

Also ich bin gegenüber Onlinemedien nicht prinzipiell kritischer. Es ist nur manchmal schwieriger für Onlinemedien, korrekter zu sein, da der Drang zur Aktualität und der Druck, schnell zu sein, größer ist. Schnelligkeit kollidiert mit Korrektheit. Die Fehlerquote geht unweigerlich hoch. Und das ist natürlich grundsätzlich nicht günstig, aber ein Stück weit unausweichlich.

Würden Sie sagen, dass eine Kontrollinstanz bei Onlinemedien nötig ist, wenn sie schnell und aktuell berichten?

Ja, die Kontrollinstanzen gibt es, und sie wenden auch Fehler ab, aber natürlich immer noch weniger, als wenn man eine langsamere Geschwindigkeit fährt. Das ist also nicht zu verändern. Erschwerend hinzu kommt der Druck, Themen aufgrund der hohen Konkurrenz und kurzen Aufmerksamkeitsspannen prägnant aufzubereiten und teilweise zu verkürzen.

Haben es Onlinemedien schwerer, glaubwürdig zu sein?

Nein, nicht unbedingt, aber in manchen Bevölkerungsgruppen vielleicht. Die ältere Generation, die Medien auch noch ein bisschen langsamer kennt, bemerkt sicherlich stärker diese Veränderung der Qualität. Aber die Schnelligkeit des digitalen Zeitalters ist ja nicht per se schlecht, sondern bringt erhebliche Erleichterungen mit sich. Die jüngeren Menschen sind damit aufgewachsen und haben dadurch eine größere Fehlerakzeptanz.

Werfen wir einen Blick auf die lokalen Medien. Sie unterliegen unmittelbar der Kontrolle der Leser und der lokalen Akteure. Welche Rolle spielen lokale Medien in der Debatte um Glaubwürdigkeit?

Grundsätzlich ist die Aufgabe nicht anders als bei überregionalen Medien. Klassischerweise war es so, dass Lokaljournalisten anfälliger für Gefälligkeitsberichterstattung waren. Viele Zeitungen haben die Rolle als kritische Aufklärer und kritische Kontrolleure nicht so ernst genommen. Das ist natürlich auch schwerer im lokalen Umfeld. Man sieht es beispielsweise beim Fußball. Fast jede Regionalzeitung feiert ihre heimischen Fußballklubs ab, weil es im hohen Maße das Leserinteresse bedient und relevant für die Region ist. Die kritische Distanz zu halten, ist nicht immer einfach. Der Lokaljournalismus hat eine fast noch größere Verantwortung als der überregionale Journalismus, da die Wettbewerbsintensität geringer ist. Wenn wir uns das Mediensystem anschauen, dann haben wir an fast allen Orten kaum noch Konkurrenz. Das nennt die Wissenschaft „Einzeitungskreise“. Das erhöht die Verantwortung, den Job gut zu machen, um diese öffentliche Aufgabe wahrzunehmen.

Sie haben gerade den Fußball thematisiert. Haben Sie in Ihrer journalistischen Karriere über Fußball berichtet?

Ja, ein wenig.

Konnten Sie bei der Berichterstattung neutral bleiben?

Oh, ich habe wütende Drohungen von Fans gekriegt. Meine erste Station im Volontariat war die Sportredaktion, auch Lokalsport. Mich haben sie mal zum 1. FC Lokomotive Leipzig geschickt. Das war ein Stadtpokalviertelfinale. Ich habe sehr kritisch über die aggressiv aufgeladene Atmosphäre beim Spiel berichtet, wo der Schiri von einem Feuerzeug getroffen wurde. Da hatte ich echt Angst im Stadion. In Foren las ich später meinen Namen und Drohungen.

Deswegen haben Sie sich dann gegen den Sport entschieden?

Nein, ich fand Politik und später Wirtschaft spannender.

Zurück zum Thema: Das Vertrauen gegenüber den Medien soll in der Pandemie gestiegen sein. Wie erklären Sie sich das?

Hmm. Ich glaube, dass die Wichtigkeit von Medien noch mal gestiegen ist. Mit der Pandemie haben wir seit über einem Jahr eine dauernde Nachrichtenlage. Die Bevölkerung hat dann ein deutlich erhöhtes Informationsbedürfnis und wendet sich journalistischen Angeboten zu. Das ist auch ablesbar in der gestiegenen Nachfrage nach digitalen Medienangeboten, gerade den bezahlpflichtigen. Aber in einigen Medien ist auch in schwieriger Weise über die Pandemie berichtet worden. Deswegen würde ich bei solch einer Aussage vorzugsweise Langzeitstudien trauen wollen.

Sollten Menschen der Tageszeitung vertrauen?

Man braucht Vertrauen. Ohne Grundvertrauen fällt es schwer, mit Zuversicht morgens aus dem Bett zu steigen und den Alltag zu bestreiten. Menschen, die niemandem und nichts vertrauen, geht es schlechter. Sollten sie dann der Zeitung vertrauen? Ja, grundsätzlich schon. Aber Menschen sollten sich ihre Nachrichtenquellen oder die journalistische Instanz, der sie ihre Aufmerksamkeit schenken, gut aussuchen. In der Regel sind Zeitungen eine gute Quelle. Vor allem für lokale Informationen.

Warum stellen Fake News eine Gefahr für zum Beispiel Tageszeitungen dar?

Oft lese ich, dass Menschen die Tageszeitungen als Lügenpresse bezeichnen. Fake News sind für mich bewusst ge- beziehungsweise verfälschte Informationen. Ich verstehe darunter nicht die unabsichtlichen Fehler, die etwas aus Nachlässigkeit entstehen. Für Menschen, die zum Beispiel die Zeitung als Lügenpresse bezeichnen, sind Medien einfach Medien. Sie sind sich der unterschiedlichen Natur der Kommunikatoren nicht bewusst. Dabei ist es ganz klar, dass nicht alle Absender von Informationen gleich gut sind und somit auch nicht mit gleichem Maßstab zu messen und zu beurteilen. Es ist quasi ein Schema nötig, um zu beurteilen, welchen Medien sie trauen können und welchen nicht – vielleicht analog einer Ampel. Die Zeitungen zählen eher zu denen, denen man trauen sollte, da sie nach professionellen Maßstäben vorgehen. Was nicht heißt, dass Zeitungen nicht auch Fehler machen. Die Gefahr ist, dass es Menschen mit der Unterscheidung nicht genau nehmen, weil sie es nicht besser wissen und alle Medien über den gleichen Kamm scheren.

Wie lassen sich gut recherchierte Nachrichten von Fake News unterscheiden?

Das ist gar nicht so einfach. Beim Publikum braucht es zunächst eine gewisse Trennschärfe, die man erst mal erwerben muss. Manche haben sich diese Trennschärfe über die Jahre automatisch durch Erfahrung angeeignet. Wie kann man das tun? Es gibt verschiedene Kriterien, die im Einzelfall zu prüfen sind. Man muss sich immer fragen, wer der Absender ist, ob es eine glaubwürdige Quelle ist, ob die Fakten stimmen, wie zugänglich die Informationen sind und ob ich diesen trauen kann. Zusätzlich sollte man natürlich die Methoden des Internets ausschöpfen und eine Nachrecherche, Gegenrecherche sowie Überprüfungsrecherche machen. So lassen sich wahrscheinlich die allermeisten Informationen mit wenigen Klicks überführen.

Die sozialen Medien – Fluch oder Segen für die Glaubwürdigkeit von Medien?

Im Grunde beides. Sie sind ein absolut beeindruckender Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft und zur gesteigerten Teilhabe. Früher konnten nur wenige Privilegierte Sender werden. Die Welt ist viel reicher geworden, jeder kommt an Schätze, die früher nicht erreichbar waren. Früher gab es keine Bundeskanzlerin, die direkt über ihre eigenen Kanäle für jedermann zugänglich kommuniziert hat. Da musste man das Radio oder den Fernseher einschalten oder die Zeitung aufschlagen, um mitzubekommen, was dort von sich gegeben wurde. Aber auf der Empfänger-Seite ist es schwieriger geworden, den Überblick zu behalten in dieser schnellen und unübersichtlichen Welt.