Braunschweig. Er ist transgender und wurde als Lia im Körper eines Mädchens geboren. Nun lebt er als Mann in Braunschweig. Kaya erzählt seine Geschichte.

Als Kaya 17 Jahre alt ist, passiert etwas Großartiges: sein Bart beginnt zu wachsen. Und es kommt noch besser: Sein Vater findet, es sei nun an der Zeit, ihm zu zeigen, wie man sich rasiert – und kauft ihm seinen ersten Rasierer. „Das war ein Moment, der mir wirklich in Erinnerung geblieben ist“, sagt Kaya und strahlt über das ganze Gesicht. Seine eisblauen Augen blitzen, als er an diesen Moment zurückdenkt. „Dass er sich so darüber gefreut hat, hat mir gezeigt, dass er mich so akzeptiert, wie ich bin.“

Kaya hieß früher Lia.
Kaya hieß früher Lia. © Privat

Denn lange akzeptiert Kaya sich selbst nicht so, wie er ist. Vor allem damals, als er noch Lia hieß und offiziell ein Mädchen war. Kaya wurde im falschen Körper geboren. Er ist transgender, also jemand, der die ihm aufgrund seines biologischen Geschlechts zugewiesene Rolle nicht akzeptiert und sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt.

Die Pubertät bringt Klarheit

Kaya, der heute 21 Jahre als ist, sitzt in seinem Zimmer in einer Braunschweiger Dachgeschosswohnung. Sein Zimmer ist groß, voll selbstgemalter Bilder und einer Menge Pflanzen. Wann hat er gemerkt, dass er sich im falschen Körper befindet? Auf diese Frage findet er keine klare Antwort. „Man wacht ja nicht auf und fühlt sich plötzlich im falschen Körper. Das ist eher ein Prozess“, sagt er. „Aber schon als Kind habe ich beim Spielen männliche Figuren ausgewählt und mich in Filmen mit männlichen Charakteren identifiziert.“

Schon mit neun Jahren beginnen Kaya Brüste zu wachsen. Ungefähr zur selben Zeit bekommt er sein erstes Handy. Über das soziale Netzwerk Instagram kommt er mit dem Thema Transgender in Berührung. Doch statt sich mit anderen trans*Personen zu indentifizieren, geht er auf Distanz. Es geht ihm zu nah, zu schwierig erscheint ihm der Prozess, den diese Personen durchmachen mussten. „Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich einen solchen Weg auch gehen muss, um mich frei zu fühlen“, sagt Kaya.

Kaya offenbart sich

Mit Ende 14/Anfang 15 wird der Druck zu groß. Ihm wird klar, dass er es nicht mehr leugnen kann. Und auch nicht mehr leugnen will. Doch direkt spricht er das Thema bei seinen Eltern noch nicht an. Stattdessen fragt er seine Mutter, ob sie ihm einen Binder kauft – um die Brüste abzubinden. Die Mutter schiebt das Ganze erst einmal als pubertäre Phase beiseite – den Binder bekommt Kaya trotzdem. Sein jüngerer Bruder klettert einmal in einem Klamottenladen unter der Umkleide, in der Kaya sich umzieht, durch und sieht den Binder. Kaya erzählt ihm alles. Für den Bruder ist das kein Problem. Doch der erwünschte Effekt bleibt aus. Kaya fühlt sich mit dem Binder nicht wohler.

Im Gegenteil: Das Atmen fällt schwer und er ist unbequem. Er zieht ihn daher nur selten an. Ungefähr einen Monat später braucht Kaya ein weiteres klärendes Gespräch mit seinen Eltern. „Ich habe ihnen alles erklärt und dabei sehr viel geweint“, sagt Kim. „Da haben sie direkt gemerkt, wie wichtig mir die Sache ist.“

Die Eltern untersützen ihn

Bei Kayas Mutter Heike kommen viele Gefühle gleichzeitig auf. „Irgendwie wurde ich überrollt von dieser Mitteilung, die natürlich unendlich viele Fragen aufwarf und Ängste hinterließ“, sagt Heike. „Andererseits erklärte das so vieles, was davor an psychischen Problemen bei ihm eingetreten war.“ Kaya hatte oft Kopf-,

Kaya kam früh in die Pubertät.
Kaya kam früh in die Pubertät. © Lukas Dörfler

und Bauchschmerzen, für die die Ärzte keine Ursachen fanden, depressive Phasen und hatte Probleme damit, dass sein Körper sich veränderte. Zuvor schob die Mutter das auf die Pubertät. „Nun konnte ich konnte vieles anders zuordnen.“ Mittlerweile fragt sie sich, ob sie seine Sorgen früher hätte erkennen müssen. Sie sagt: „Ich hätte ihn gerne von Anfang an unterstützt.“

Kayas Vater Sven informiert sich im Internet. „Mir hat es sehr geholfen zu erfahren, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, weil es doch relativ häufig vorkommt“, sagt er. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) schätzt, dass es in Deutschland 60.000 bis 100.000 trans*Personen gibt. Als Kaya und seine Eltern das erste Mal gemeinsam bei einer Therapeutin sind und Fragen stellen können, beginnen sie es zu verstehen. „Auch, wenn es zuerst nicht leicht für sie war, haben mich die beiden von Anfang an unterstützt“, so Kaya. Sein kleiner Bruder, der zu dieser Zeit sieben Jahre alt ist, nimmt alles ohne Probleme und Vorurteile an. Ebenso die Freunde des Bruders. Den Kindern fällt es leicht, die neuen Pronomen richtig zu verwenden – und auch den neuen Namen nicht. Lia wird zu Kaya.

Der neue Name ändert viel

In der Schule offenbart sich Kaya seinem Kunstlehrer. Seinem Vorschlag, vor der gesamten Klasse eine Ansprache zu halten, folgt Kaya jedoch nicht. Den Menschen, die ihm wichtig sind, erzählt er seine Geschichte. Eine von ihnen ist Feli. „Mich hat es nicht gewundert“, sagt sie. Nach und nach beginnen die Lehrer:innen und Mitschüler:innen ihn mit neuem Namen anzusprechen. Doch hinter seinem Rücken wurde wohl viel geredet. „Das war generell ein Problem an der Schule. Offen beleidigt wurde ich nie.“

Mit dem neuen Namen angesprochen zu werden, fühlt sich für ihn an wie eine Befreiung. Als er noch Lia hieß, fühlte er sich in eine Rolle gedrängt. „Wenn mich jemand noch so ansprach, hat das schon wehgetan.“ Jetzt fühlt er sich freier. „Das hat sich wie ein Neuanfang angefühlt. Es war der erste Schritt für mich“, sagt Kaya. „Allerdings musste ich erst einmal rausfinden, wer ich abseits dieser weiblichen Rolle bin.“ Nach einem Jahr ändert er 2017 seinen Namen auch offiziell.

Die Schmerzen sind es wert

Doch damit ist Kaya noch nicht an seinem Ziel. Der nächste Schritt ist die Hormonbehandlung – in Form einer Testosteron-Spritze –, die er seit er 17 ist in regelmäßigen Abständen bekommt. Zu Beginn alle acht Wochen, mittlerweile alle 14 Wochen. Der Rhythmus hängt davon ab, wie gut die Hormone vertragen werden. „Die Spritzen kommen direkt in den Muskel und sind ziemlich schmerzhaft. Manchmal kann man danach nicht so gut sitzen oder laufen“, sagt Kaya. „Aber das ist ein Schmerz, den ich immer gerne in Kauf nehme.“

Das Tattoo steht für transgender und erinnert Kaya an seine Geschichte.
Das Tattoo steht für transgender und erinnert Kaya an seine Geschichte. © Lukas Dörfler

Schon nach ein oder zwei Monaten verändert sich sein Körper. Ein Bart wächst ihm, nach einem halben Jahr kommt es zu dem Erlebnis mit dem Vater. Langsam verändern sich auch die Gesichtszüge. „Gerade merke ich, dass der Speck von den Oberschenkeln zum Bauch wandert“, sagt Kaya. Ein Jahr muss man in der Regel von einem Psychologen oder einer Psychologin begleitet werden, bevor bestimmte Eingriffe vorgenommen werden dürfen. Andrea Ottmer, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, weiß jedoch, dass die Begleitung nicht immer ohne Probleme ist: „Wenn die Begleitung gut läuft hat sie Vorteile, da sie Tiefs abfangen kann, die während einer Transition aufkommen können.“ Meistens kämen die Maßnahmen auch durch. „Dennoch ist das eine Art von Fremdbestimmung, da auch Menschen in die Begleitung gezwungen werden, die sie nicht brauchen und haben wollen.“ Dann könne auch kein Vertrauensverhältnis entstehen.

Alles auf Anfang

Kurz nach dem Abitur lässt Kaya sich die Brüste abnehmen. Vor der Operation hat er Angst. Doch Kaya fühlt, dass seine Brüste kein Teil von ihm sind, nicht zu ihm gehören. Als sie dann abgenommen sind, ist er glücklich. „Die Abnahme der Brüste hat eine große Last von mir genommen. Psychisch wie physisch. „Ich hatte nämlich sehr große Brüste“, sagt er und lacht.

Der Zeitpunkt nach dem Abitur hat einen Grund: Er will in seinem neuen Leben, nach der Schule, als das wahrgenommen werden, als das er sich ohnehin fühlt: als Mann. Er will sich nicht mehr erklären müssen, warum er mit männlichen Pronomen angesprochen werden will, obwohl er doch Brüste habe.

Transmänner fallen weniger auf als Transfrauen

Mittlerweile sind Kaya und Feli ein Paar geworden, die Beziehung hält fünf Jahre. „Ich habe mich mit dem Thema Transgender kaum auseinandergesetzt. Für mich ist Kaya auch einfach ein Mann. Ob er nun ein Transmann ist oder nicht spielt für mich da keine Rolle“, sagt Feli. Kaya wird mittlerweile als Mann erkannt.

„Transmänner fallen weniger auf als Transfrauen. Das liegt auch daran, dass die männliche Pubertät den Körper anders verändert als den weiblichen“, so Ottmer. „Die Schultern werden breiter, die Stimmt wird tiefer, ein Bart wächst. Das lässt sich nicht so leicht rückgängig machen. Eine Testosteronbehandlung und das Abnehmen der Brüste ist da einfacher. Deswegen können Transmänner unauffälliger leben als Transfrauen.“ Kaya sagt: „Wenn ich Leuten von meiner Transformation erzähle, dann fällt es ihnen manchmal noch auf. Oft sagen sie dann Sachen wie: Ja, du hast etwas besonderes in deinem Gesicht.“

Kaya ist angekommen

Seine Eltern sind stolz auf ihren Sohn und unterstützen ihn mit vollen Kräften. Er wirke zufriedener, glücklicher. „Gleichzeitig ist er geprägt von seinen ersten Lebensjahren. Es ist ein wunderbarer Mix aus

Kaya malt viel – vor allem Frauen. Auf Instagram findet man seine Bilder unter @felinkas
Kaya malt viel – vor allem Frauen. Auf Instagram findet man seine Bilder unter @felinkas © Lukas Dörfler

allem“, sagt Heike. „Er ist mein Kind und er wird es immer bleiben.“ Lange hat er sich mit seinem Körper beschäftigt, sich erst nicht wohl in ihm gefühlt, dann versucht dieses Gefühl zu unterdrücken und ihm schließlich nachgegeben. Auch heute spielen Körper eine große Rolle in seinem Leben. Er macht ein duales Studium zum Gesundheitsmanager in einem Fitnessstudio. In seiner freien Zeit zeichnet er viel. Oft sind auf seinen Bildern die Körper nackter Frauen zu sehen.

„Früher verbrauchte ich viel Energie damit, darüber nachzudenken, wer ich bin und wer ich sein möchte. Auch was meinen Körper betrifft. Heute verwende ich kaum noch Gedanken darauf, welches Geschlecht ich habe“, sagt Kaya. „Das zeigt mir, dass die Entscheidung, als Mann zu leben, auf jeden Fall die richtige war. So bin ich zu mir selbst geworden.“

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