Braunschweig. Es sollte die beste Zeit ihres Lebens sein. Stattdessen sind Studierende der TU Braunschweig, HBK und Ostfalia frustiert. Was läuft schief?

Als sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Studierenden wendet, spricht er von der Hochschule als Ort der Begegnung, von verzögerten Träumen und Wünschen. Zurzeit sind die Hochschulen vieles – ein Ort der Begegnung sind sie nicht. Aber wie läuft es an den Hochschulen in unserer Region, jetzt da das dritte Corona-Semester begonnen hat? Wie geht es Studierenden und Lehrenden?

Dass die Universitäten gerade kein Ort der Begegnung sind, musste auch Alena Engel feststellen. Die 25-Jährige hat in Wismar Architektur studiert und ist für den Master an der Technischen Universität (TU) nach Braunschweig gekommen. „Ich wollte in eine Stadt die ein vielfältiges Kulturangebot hat“, sagt sie. „Ein Grund herzukommen waren auch die Zeichensäle, die überall in der Stadt verteilt sind.“ Die Zeichensäle sind Orte, an denen Architekturstudierende arbeiten können. Und sie sind noch mehr: Hier trifft man sich, kann sich austauschen und helfen.

Die Hörsäle sind meist dicht

Doch nicht nur die Zeichensäle der TU sind geschlossen, auch Bars, Museen, Kinos und Theater mussten

Früher wurden die Erstsemester der TU Braunschweig auch mal im Stadion begrüßt.
Früher wurden die Erstsemester der TU Braunschweig auch mal im Stadion begrüßt. © /BestPixels.de | Florian Kleinschmidt

coronabedingt ihre Türen schließen. Die Gutscheine für das Kulturprogramm, die Alena in der ersten Woche bekommen hat, sind nun teilweise verfallen. Alena sagt: „Die Studiensituation ist sehr belastend für uns Erstsemestler. Es ist nicht einfach, sich in einer neuen Stadt zurechtzufinden und einzuleben.“

Das die Situation schwierig ist, weiß auch Luca Kienel von dem Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) der TU: „Der Studienalltag hat sich weg vom Campus in die Zimmer der Studierenden verlagert. Das ist für das gemeinsame bestreiten des Studiums natürlich nicht förderlich und insbesondere die Studierenden, die vorher keine Präsenzsemester hatten, finden nur schwer Anschluss.“

So geht die TU Braunschweig mit der Situation um

An der TU findet die Lehre derzeit ausschließlich digital statt. Das geht aus der Antwort von Regina Eckhoff, Pressereferentin an der TU, auf eine Anfrage hervor. Ausgenommen seien praktische Lehrveranstaltungen, die am Studienende liegen und die letzte Studienleistung vor der Anmeldung einer Abschlussarbeit oder einer Staatsexamensprüfung darstellen, und die Abschlussarbeiten selbst, sofern sie mit praktischen Anteilen verbunden sind. Also die Veranstaltungen, deren Aufschieben eine Verlängerung des Studiums zur Folge hätte.

Die Ostfalia hat Standorte in Wolfenbüttel, Wolfsburg, Suderburg und Salzgitter

An der Ostfalia Hochschule gibt es, so Pressereferentin Nadine Zimmer, auch überwiegend Online-Formate. Wenige Ausnahmen seien für Labore und praktische Übungen möglich, die nicht digital stattfinden können sowie bei Formaten für Erst- und Zweitsemester, um den Studieneinstieg zu unterstützen – immer unter Einhaltung des Hygieneplans der Hochschule und auch nur sofern es die aktuell geltenden gesetzlichen Vorgaben und Inzidenzzahlen zulassen. Damit auch praktische Übungen ohne Präsenz stattfinden können, gehen die Lehrenden kreative Wege – beispielsweise seien an der Fakultät Maschinenbau mobile Labore entwickelt worden, die Studierende mit nach Hause nehmen können.

Die HBK Braunschweig kann auch nicht alles online machen

Ähnlich ist es auch an der Hochschule für Bildende Künste (HBK). Das, was geht, wird digital gelehrt. „Es gibt aber Bereiche, die man nicht in einer Videokonferenz abarbeiten kann. Ein Bronzeguss lässt sich beispielsweise nicht sinnvoll rein online erproben“, so Rainer Heuer, Hauptberuflicher Vizepräsident der HBK. „Die Werkstätten und Ateliers sind daher offen – mit einem sehr detaillierten Hygienekonzept, das immer je nach Lage neu justiert wird.“

Online-Formate haben jedoch ihre Tücken. „Ablenkungspotenziale vor einem Bildschirm sind größer, als wenn man sich bei einer Vorlesung in einem Raum befindet“, sagt Marc Walter, Professor für Anorganische Chemie an der TU. Auch für Lehrende ist das nicht immer einfach – vor allem, wenn Studierende ihre Mikrofone und Kameras ausgeschaltet haben. Thomas Rentmeister, Professor für Skulptur an der HBK, sagt dazu: „Wenn ich vor dem Screen sitze, habe ich das Gefühl in ein schwarzes Loch zu sprechen. Ich bin heilfroh, wenn das vorbei ist.“ Ähnlich sieht es Hendrik Heissenberg, der Freie Kunst an der HBK studiert. Vieles laufe immer besser. „Bildung kommt aber nicht nur aus Bücherwissen. Bildung ist so viel mehr, was den Geist erweitert und herausfordert. Das geht nur durch den direkten Austausch. Derzeit würde ich niemandem ein Studium empfehlen.“

Einladung zum Schummeln?

Johann Müller ist Professor an einer der genannten Hochschulen. Er möchte anonym bleiben, sein Name ist geändert. An der Fakultät, an der er lehrt, war es nicht erlaubt, bei den Online-Prüfungen die Studierenden dazu aufzufordern, ihre Kameras anzulassen – aus Datenschutzgründen. Er sagt: „Wir wissen noch nicht einmal ob auf der anderen Seite die Person sitzt, die geprüft werden soll. Einzige Absicherung: Eine ehrenwörtliche Erklärung, dass sie keine unerlaubten Hilfsmittel benutzen.“ So ging es auch Walter von der TU. Er gehe jedoch davon aus, dass die Studierenden die Klausuren selbst geschrieben haben – die Ergebnisse stimmten mit seinem Eindruck überein. Kleinere Prüfungen fanden mündlich statt.

Laut Karla Kroker, die an der Ostfalia Medienkommunikation studiert, wurden manche Prüfungsleistungen kurzfristig geändert. „Das hat zu zusätzlichem Stress geführt.“

Die Hochschulen gehen unterschiedlich mit der Situation um

An der Fakultät Elektrotechnik seien in der letzten Prüfungsphase 2800 Online-Klausuren mit 550 Studierenden geschrieben worden – mit laufenden Kameras. Das berichtet der Studiendekan der Fakultät, Thorsten Uelzen. Das Filmen sei möglich gewesen, da die Prüflinge selbst entscheiden konnten, ob das für sie in Ordnung sei. Sonst hätten sie eine Ersatzprüfung bekommen. Es war jedoch für alle in Ordnung.

An der HBK wurde im letzten Jahr die Lehrbetreuung bis in die vorlesungsfreie Zeit hinein ausgeweitet, um die Schließung während des Lockdowns zu kompensieren. Die Diplomarbeiten fanden erst im September statt. „Ich hatte am Ende das Gefühl, den Studierenden damit ein vollwertiges Semester anbieten zu können“, so Rentmeister.

Der Druck wächst

Im dritten Semester haben sich viele Prozesse eingespielt. Ob die Studierenden mit der Situation umgehen können, ist aber von individuell unterschiedlich. „Dadurch, dass es keine Ablenkung gab, hat man mehr Zeit für die Bearbeitung der Aufgaben“, versucht die Architekturstudentin Alena Engel dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. Doch sie fügt hinzu: „Allerdings fehlt dadurch auch der Ausgleich und der innere Druck steigt, unter dem dann auch wieder die Arbeit leidet. In Zeichensälen wäre man sicher gemeinsam schneller zu Lösungen gekommen, als allein zuhause.“ Dass die Situation für viele belastend ist, bestätigt auch das Studentenwerk Ost-Niedersachsen. Im Herbst 2020 habe es so viele Anmeldungen zur psychotherapeutischen Beratung gegen, dass man erst nach rund acht bis zehn Wochen einen Ersttermin bekommen konnte, berichtet Christiane Thoroe, Pressesprecherin des Studentenwerks OstNiedersachsen. Laut den Beraterinnen und Berater gebe es kaum Beratungsgespräche, in denen Corona keine Rolle spiele.

„Auch Menschen, die vorher keine Probleme mit Motivation oder dem Schaffen einer Alltagsstruktur hatten, kommen mitunter an ihre Grenzen oder sind gestresster, als sie es im analogen Studien-Alltag waren. Das Leben, das zwischen Bett, Küchentisch und Bildschirm stattfindet – für viele trostlos“, berichtet Karina Bostelmann, psychologische Beraterin beim Studentenwerk Ost-Niedersachsen in Lüneburg. „Manche Studierende sitzen von morgens bis abends vor dem Computer und verlassen die Wohnung nur zum Einkaufen oder um mal einen kurzen Spaziergang zu machen. Da fällt es vielen schwer, sich zu organisieren, eine Struktur zu finden und motiviert zu bleiben.“

Die Kontrolle bleibt aus

Karla Kroker ist Langschläferin. Für sie war es gut, morgens in die Hochschule zu fahren. Sie sagt: „Ich habe auch mal morgens Veranstaltungen aus dem Bett heraus verfolgt und bin dabei eingeschlafen. Das ist nicht nur unangenehm, sondern man verpasst auch einiges.“

Bei Online-Veranstaltungen falle zudem die soziale Kontrolle weg, so Studiendekan Uelzen. Wenn jemand wochenlang nicht in die Hochschule komme, falle dies dem Sitznachbarn auf, der vielleicht eine kurze SMS schreibt, ob alles in Ordnung ist. Online halte er dies für unwahrscheinlicher.

Wenn das Geld fehlt

Nicht nur die Psyche leidet, auch der Geldbeutel – bei Studierenden ohnehin oft nicht zu prall gefüllt – wird immer dünner. „Studijobs sind meist nur Aushilfsjobs – also sind Studierende oft die ersten, die ihre Beschäftigung verlieren“, sagt Lisa-Marie Wünsch, die an der TU studiert. Sie hat im Stadion gearbeitet. Als keine Fußballspiele stattfanden kam die Kurzarbeit. Sie hatte Glück – zweieinhalb Monate später findet sie einen neuen Job.

Kunststudent Heissenberg merkt an, dass manche sich einfach keine schnelle Internetanbindung oder passende Geräte leisten könnten. Diese nähmen teilweise mit Smartphones an den Veranstaltungen teil und hätten dadurch sicherlich einen Nachteil gegenüber anderen.

Manche sind in finanzieller Notlage

„Studierende waren in der Pandemie die Ersten, die ihre (Neben-)Jobs verloren haben, da Studierende meist in prekären Verhältnissen angestellt sind und keinen Kündigungsschutz genießen. Hierdurch entstehen neben den Schwierigkeiten im Studium existenzielle Ängste. Es gibt Studierende, die aufgrund der finanziellen Situation ihr Studium abbrechen müssen“, so Luca Kienel von Asta.

Die Studierenden, die sich an die Sozialberatung des Studentenwerks Ost-Niedersachsen wenden, sind meist in einer echten finanziellen Notlage. Manchmal hätte sich auch die Studiendauer verlängert und dadurch seien zusätzliche Semesterbeiträge angefallen. Vor allem seien laut Soziarbeitern und Sozialarbeiterinnen internationale Studierende hier benachteiligt, berichtet Thoroe. Diese könnten zwar Überbrückungshilfe beantragen, die jedoch nicht von allen bezogen werden könne und auch nicht immer ausreichend sei. Im Herbst hat das Studentenwerk einen Notfonds in Höhe von 200.000 Euro eingerichtet – für Studierende, die sich in einer Notlage befinden.

Von der Politik im Stich gelassen?

Öffentlich gibt es Debatten um Kitas und Schulen. Von Hochschulen ist selten die Rede. Hochschulen werden im neu beschlossenen Infektionsschutzgesetz mit Schulen gleichgestellt. Hat die Politik sie vergessen? Heuer von der HBK findet, das Ganze habe zwei Seiten: „Die Hochschulen genießen in Niedersachsen eine gewisse Autonomie. Deshalb ist die Erwartung da, dass sie eigenständig reagieren. Allerdings werden die Studierenden in manchen Belangen vergessen. Die Corona-Tests sind beispielsweise für Schüler verfügbar, für Studierende nicht. Da werden sie gar nicht berücksichtigt.“

Nicht alles ist schlecht

Doch aus Krisen kann auch Positives hervorgehen. Rentmeister bewundert die Geduld und das Verantwortungsgefühl der Studierenden. Er versucht zu allen regelmäßig Kontakt zu halten. Um dem Leerlauf während Corona entgegenzuwirken, plant er eine Ausstellung in Berlin. „Ausstellungen sind für die Studierenden immer Lichtblicke und haben einen hohen pädagogischen Wert. Ich war beeindruckt von der Qualität des Konzeptvorschlags meiner Klasse für die Förderantragsstellung. Ob Corona zum Thema von künstlerischen Arbeiten werden wird, kann ich noch nicht sagen. Aber die Ausstellung in Berlin heißt kon.:takt.“

Uelzen von der Ostfalia spricht gar von einem Innovationsschub, den Corona in den Köpfen ausgelöst habe. Im letzten Jahr hat er Videotutorials erstellt, die er nun immer noch nutzt. Diese können die Studierenden in ihrem eigenen Tempo anschauen. „Und die Präsenzzeiten können wir nun dazu nutzen, zusammen zu üben“, sagt er. Er könne sich auch vorstellen, das nach der Krise beizubehalten.

Der Wunsch nach Normalität

Laut Uelzen gebe es auch durchaus witzige Momente – wenn jemand mal vergesse, das Bluetooth-Headset beim Toilettengang abzunehmen oder eine Katze durchs Bild laufe. Studentin Wünsch sagt: „Manchmal vergessen Leute, die noch im Bett liegen, ihre Kamera auszuschalten. Da beginnt der Tag schon ganz witzig.“

Alena Engel wollte trotzdem neue Kontakte knüpfen. Deshalb hat sie Kommilitoninnen nach Online-Veranstaltungen angeschrieben und gefragt, ob sie nicht mal spazieren gehen wollten. Das habe Überwindung gekostet, sich aber gelohnt. Dennoch hofft sie – wie alle die hier zu Wort kommen – dass die Situation sich bald normalisiert. „Das Studium soll ja eine Zeit sein, die man für immer in guter Erinnerung behalten will. Aber nun müssen wir das Beste draus machen.“