Braunschweig. Der Kreis meldet bis zu 20 neue Covid-Fälle täglich. Man teste sehr umfassend, sagt ein Sprecher. Die entdeckten Neuinfektionen seien ein Resultat.

Ich würde mich freuen, wenn der Landkreis Peine mal eine Einschätzung geben würde, warum gerade die Infektionszahlen (Inzidenzwerte) nicht wirklich runtergehen! Sollten Schulen bald wieder öffnen dürfen – worüber ich mich freuen würde – wie soll das bei einem Wert von über 100 gehen?

Das fragt unser Leser
Michael Aepkers aus Vechelde

Zu dem Thema recherchierte
Dirk Breyvogel

Es ist, wie es der Leser sagt: Die Zahlen des Landkreises Peine sind alles andere als erfreulich. Nur wenige andere Regionen in Niedersachsen weisen aktuell vergleichbare Sieben-Tage-Inzidenzen auf, darunter unter anderem die Stadt Salzgitter.

Für den Kreis Peine ist das keine neue Erfahrung. Eine Verlaufsgrafik auf den Internet-Seiten unserer Zeitung zeigt, dass sich in Peine innerhalb einer Woche, bezogen auf 100.000 Einwohner, mehr Menschen mit Corona anstecken als in Städten wie Braunschweig oder Wolfsburg. Aber auch in den Kreisen Helmstedt, Goslar, Göttingen, Gifhorn oder Wolfenbüttel sind die Zahlen besser. Auch die durchschnittliche Inzidenz des Landes übertrifft er seit langer Zeit deutlich.

Zudem kämpft der Kreis mit einer Vielzahl an sogenannten „laufenden Fällen“, das sind die als erkrankt gemeldeten Personen. So standen am Dienstag dieser Woche 23 Neuinfektionen fast 500 aktuell infizierte Personen gegenüber. Der Landkreis Helmstedt, der an diesem Tag ebenfalls 20 Neuinfektionen meldete, meldete 158 Fälle.

Liegen dieser Kontinuität strukturelle Defizite oder unveränderbare Faktoren zugrunde? Oder ist es nur Zufall, dass Peine noch weit weg ist von einer Inzidenz unter 35? Eine Bestandsaufnahme:

So bewertet der Landkreis die Lage

Die Verlaufsgrafik hat zur Vergleichbarkeit die Inzidenzzahlen jeweils des ersten und letzten Freitags eines Monats seit September genommen. Ausnahme ist der 23. Dezember, ein Mittwoch.
Die Verlaufsgrafik hat zur Vergleichbarkeit die Inzidenzzahlen jeweils des ersten und letzten Freitags eines Monats seit September genommen. Ausnahme ist der 23. Dezember, ein Mittwoch. © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Der Sprecher des Landkreises Peine, Fabian Laaß, bestätigt eine stetige Infektionslage. „Wir haben aktuell im Schnitt um die 20 Neuinfektionen am Tag“, sagt er. Das sei auch der Grund, warum die Zahl der akut Erkrankten nicht signifikant zurückgehe. Seit Beginn der Pandemie habe der Landkreis in seinem Testzentrum 23.000 Tests durchgeführt, erklärte er. „Die hohe Zahl an Tests ist auch ein Grund, warum so viele Infektionen entdeckt werden. Sie machen das Bild klarer“, ist der Sprecher überzeugt. Die britische Mutante sei in Peine nicht wesentlich öfter aufgetreten als im Landesschnitt, erklärt er. „Etwa 20 Prozent der Infizierten weisen diese Virusvariante auf. Aber sie ist mittlerweile in allen Gemeinden des Kreises nachgewiesen worden.“ Nebenan, in der Region Hannover, hatten die zuständigen Behörden zuvor eine Zahl gemeldet, die aufhorchen ließ. Fast 50 Prozent aller entdeckten Covid-Fälle gehen dort bereits auf die britische Mutante zurück, ein Spitzenwert bundesweit.

Welche Rolle spielt der Faktor Mobilität?

Im Landkreis Peine würden die Zahlen aktuell durch verschiedene Infektionsgeschehen in Firmen belastet. Die Fallzahlen in Alten- und Pflegeheimen hätten dagegen ihren Höhepunkt erreicht und beruhigten sich langsam wieder. Immer wieder würden Ansteckungen im privaten Bereich nachgewiesen.

Laaß verweist zudem auf die „spezielle Lage“ zwischen den Oberzentren Braunschweig und Hannover. „Daher gibt es viele Pendlerbewegungen aus und in unseren Landkreis, nicht nur in und aus den genannten Städten, sondern auch in die benachbarten Landkreise“, erklärt er. Das Robert-Koch-Institut (RKI) nennt gegenüber unserer Zeitung „Mobilität als Marker für Kontakte“. Und Kontakte spielten die entscheidende Rolle, so eine Sprecherin. Auch das RKI verweist auf unterschiedliche Situationen und Trends in benachbarten Landkreisen. Die Gründe dafür könne man aber nicht aus der Ferne bewerten. Das müsse vor Ort passieren.

Lesen Sie unseren Kommentar zum Thema:

So schätzen die kommunalen Spitzenverbände die Lage ein

Die Vertreter des niedersächsischen Städte-und Gemeindebundes sowie die des Landkreistages haben keine Hinweise darauf, dass sich der Kreis Peine durch ein besonderes Missmanagement in der Bekämpfung der Pandemie hervortut. Sie haben lediglich Vermutungen und verweisen auf die Regeln der Wissenschaft. Studien haben sie nicht in Auftrag gegeben, die überprüfen, warum bestimmte Kreise und Städte dauerhaft das Ziel niedriger Inzidenzen reißen.

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, verweist darauf, dass die Sieben-Tage-Inzidenz von vielen Faktoren beeinflusst werde, Daher sei der Versuch, eine Vergleichbarkeit herzustellen, zum Scheitern verurteilt. Trips nennt als Beispiel lokal begrenzte Ausbrüche wie zuletzt der in einer Eisfabrik im Raum Osnabrück. Auch die Region Weser-Ems könne davon ein Lied singen. Dort hätten massive Pendlerbewegungen der in der Fleischindustrie tätigen osteuropäischen Arbeitskräfte Folgen für die ganze Bevölkerung gehabt. Generell, sagt Trips, müsse „das Verhalten der Bevölkerung unter die Lupe genommen werden“, wolle man eine ehrliche Analyse machen. Davon ist auch Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Landkreistagstages, überzeugt. In einigen Landkreisen gebe es überproportional viele Alten- und Pflegeheime. „Infektionsgeschehen hier haben Auswirkungen auf die Zahlen im ganzen Kreis.“

Meyer sorgt sich aktuell besonders um die Region Hannover, nicht nur wegen der dort überproportional auftretenden Mutanten. „In der Region Hannover sind die Zahlen seit Monaten zu hoch. Ich denke, hier haben die Menschen mehr Kontakte untereinander, weil alles dichter besiedelt ist“, so seine Erklärung. Auch im flächenmäßig kleinen Kreis Peine lebten viele Menschen. „Das kann auch Auswirkungen auf die Inzidenzen dort haben“, so der Hauptgeschäftsführer. Folgt man Meyers Argumentation, hatte der große Landkreis Gifhorn vermutlich einen Standortvorteil, als Anfang des Jahres durch den dortigen Landrat Ausgangsbeschränkungen verkündet wurden. Am 10. Januar vermeldete der Kreis eine Inzidenz von 261, seit den behördlichen Anordnungen geht diese zurück und liegt nun bei unter 40.

Wie Trips macht Meyer in der Mobilität keinen wesentlichen Treiber der Pandemie aus. „Es sind die Menschen und wie sie sich verhalten.“ Meyer erzählt den Fall einer jungen Frau, der ihm zu Ohren gekommen sei. Diese habe gerade ihr Kind entbunden, alles sei in Ordnung gewesen. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus habe sie Besuch bekommen: jeden Tag eine Person aus einem anderen Haushalt. „Am Ende hat die Frau 30 Haushalte getroffen. Das ist wirklich so passiert. Das habe ich mir nicht ausgedacht.“

Das erklärt das Ministerium

Der Landkreis Peine besitze in Niedersachsen kein Alleinstellungsmerkmal, wenn es um hohe Inzidenzen gehe, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Ein Ministeriumssprecher spricht von einer insgesamt „diffusen Lage“ in Hotspots, oftmals seien Ausbrüche in Alten- und Pflegeeinrichtungen ein Grund für regionale Anstiege. Ob bestimmte soziodemografische Faktoren in der Gesellschaft oder bestimmte Strukturen der Arbeitswelt die Pandemielage erschwerten, wüsste man nicht. Dazu fehlten Daten. Diese würden auch nicht von den Gesundheitsämtern erfasst. Nur soviel: „Grundsätzlich treten Infektionen verstärkt dort auf, wo viele Menschen zusammenkommen und Abstände und andere Hygienemaßnahmen nicht einzuhalten sind oder nicht eingehalten werden.“

Das sagt ein Epidemiologe

Für den Epidemiologen Gérard Krause ist der Sieben-Tage-Wert mit Blick auf mögliche Lockerungen nicht ausreichend. Er halte die Konzentration auf die Inzidenz für problematisch, da sie „kein stabiler Indikator“ sei, der die Schwere der Pandemie abbildet, sagte der Forscher des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zuletzt in einer Experten-Anhörung im niedersächsischen Landtag. So sei der Wert auch abhängig von der Zahl der durchgeführten Tests. Außerdem fehlten Daten über die Ausbreitung des Virus in bestimmten Alters- oder Berufsgruppen, etwa bei den Lehrern.

Krauses Auffassung dürfte vielen Menschen in Kreisen wie Peine Mut machen. Lockerungen sind möglich, auch wenn Inzidenzen hoch sind. Kreissprecher Laaß glaubt zudem nicht daran, dass man bei Öffnungsstrategien einzelne Regionen isolieren könne, während andernorts Restaurants und Geschäfte aufsperren. „Wer will das denn kontrollieren?“ Das Landesgesundheitsministerium sieht das ähnlich. Es verweist auf den Stufenplan des Landes, der sich Lockerungen nur auf Grundlage der landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz vorbehält.