Braunschweig. Braunschweiger Chefarzt: Die Nebenwirkungen aller Corona-Impfstoffe liegen insgesamt im Bereich des Erwarteten – und des Akzeptablen.

Der Brot-und-Butter-Corona-Impfstoff kämpft mit einem Imageproblem. Einerseits nimmt die Zahl der Impfungen mit dem Astrazeneca-Präparat – dem mit Abstand günstigsten der derzeit zugelassenen Vakzine – kontinuierlich zu. Am Dienstag wurden laut niedersächsischem Gesundheitsministerium erstmals mehr als 3000 Personen an einem Tag im Bundesland damit geimpft. Gleichzeitig häufen sich Berichte über mangelnden Immunschutz der Geimpften gegen mutierte Corona-Varianten und über Nebenwirkungen wie Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und Mattigkeit. Laut einer Umfrage des Hamburg Center for Health Economics würden sich aktuell nur zwei Prozent der Menschen freiwillig für dieses Vakzin entscheiden. Doch ist der Astrazeneca-Impfstoff zurecht in Verruf?

Ministerin Reimann: Impfstoff ist hochwirksam und sicher

Mit einem klaren Nein antwortet hierauf Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann: „Die Debatte über den Impfstoff von Astrazeneca geht in den letzten Tagen aus meiner Sicht in die völlig

Aus Sicht von Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) geht die Debatte um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca „in die völlig falsche Richtung“.
Aus Sicht von Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) geht die Debatte um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca „in die völlig falsche Richtung“. © dpa | Ole Spata

falsche Richtung“, heißt es in einer Stellungnahme der Sozialdemokratin auf Anfrage unserer Zeitung. Der Impfstoff sei hochwirksam und sicher und habe nicht von ungefähr die reguläre Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur erfolgreich durchlaufen. „Wir setzen auf diesen Impfstoff, um möglichst vielen Menschen in Niedersachsen schnell ein Impfangebot machen zu können“, heißt es in dem Reimann-Statement. Und weiter: „Jede und jeder, der oder die impfberechtigt ist und die Möglichkeit erhält, sollte sich mit dem Vakzin von Astrazeneca impfen lassen.“

Mit dieser Überzeugung ist Niedersachsens Gesundheitsministerin keineswegs allein. Viele Virologen und Politiker warnten zuletzt davor, über dem Impfstoff voreilig den Stab zu brechen. Christian Drosten, prominenter Chefvirologe der Charité, sagt, alle in der EU zugelassenen Impfstoffe seien sehr gut. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder Ärztepräsident Klaus Reinhardt warben für das Vakzin.

Impfreaktion weist auf aktives Immunsystem hin

„Impfreaktionen treten bei allen Impfungen auf. Sie zeigen an, dass das Immunsystem das dargebotene Antigen erkennt und darauf reagiert“, erklärt Dr. Thomas Bitter, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin am Städtischen Klinikum Braunschweig, im Telefongespräch mit unserer Zeitung die auftretenden Nebenwirkungen. „Wer eine Impfreaktion zeigt, der wird später vermutlich auch einen relativ guten Schutz haben.“

Besonders ausgeprägt seien die Symptome bei jüngeren Menschen unter 55 Jahren. „Das liegt daran, dass die Jüngeren auch ein deutlich aktiveres Immunsystem haben“. Dieser Umstand könnte auch erklären, dass Nebenwirkungen vermehrt auftraten, nachdem das Personal von Krankenhäusern geimpft wurde – und deutlich weniger bei hochbetagten Geimpften.

Moderate Nebenwirkungen bei allen Impfstoffen

Nebenwirkungen beziehungsweise Impfreaktionen gebe es aber keineswegs nur bei Impfungen mit dem Astrazeneca-Präparat, unterstreicht der Mediziner. Auch die Erfahrungen des Städtischen Klinikums Braunschweig, wo Mitarbeitenden bisher ausschließlich der Impfstoff von Biontec verabreicht wurde, zeigten dies: 15 bis 18 Prozent der dort geimpften Angestellten mussten in der Folge krankheitsbedingt zu Hause bleiben – im Schnitt zweieinhalb Tage lang. „Das war in dieser Dimension und Intensität schon überraschend“, so Bitter.

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Allerdings seien die Nebenwirkungen der Impfstoffe – Astrazeneca eingeschlossen – auch nicht völlig außerhalb des Erwartbaren. „Was die Art und die Zahl der Nebenwirkungen angeht, ist uns das aus den einschlägigen Fachinformationen bekannt“, sagt Bitter. Rund die Hälfte aller Geimpften fühle sich nachher leicht matt und abgeschlagen. Einen Unterschied gibt es jedoch: Bei dem Vektorimpfstoff von Astrazeneca deute einiges darauf hin, dass die stärkere Impfreaktion nach der ersten Impfdosis auftrete. Bei den anderen beiden zugelassenen Impfstoffen – beide sind mRNA-Vakzine – sei dies eindeutig eher nach der zweiten Dosis, der sogenannten Booster-Impfung, der Fall.

Impfung bremst schwere Covid-19-Verläufe

Auch Bitter findet es verständlich, dass der Astrazeneca-Impfstoff jetzt „stark beäugt“ werde, allerdings warnt er, wie Ministerin Reimann, vor Verurteilungen. Letztendlich gelte: „Lieber einen Tag lang erhöhte Temperaturen in Kauf nehmen, als an Covid-19 erkranken und unter den Langzeitfolgen leiden. Eine

Privatdozent Dr. Thomas Bitter vom Städtischen Klinikum Braunschweig sagt: „Lieber einen Tag lang erhöhte Temperaturen in Kauf nehmen, als an Covid-19 erkranken und unter den Langzeitfolgen leiden.“
Privatdozent Dr. Thomas Bitter vom Städtischen Klinikum Braunschweig sagt: „Lieber einen Tag lang erhöhte Temperaturen in Kauf nehmen, als an Covid-19 erkranken und unter den Langzeitfolgen leiden.“ © Peter Sierigk/Klinikum Braunschweig

Impfreaktion steht dazu in keinem Verhältnis.“ Auch die geäußerten Bedenken über die Wirksamkeit des Astrazeneca-Präparats sind aus Sicht des Braunschweiger Chefarztes nicht gerechtfertigt. Zwar habe der Impfstoff eine leicht geringere Wirksamkeit als die mRNA-Vakzine der Hersteller Biontech und Moderna, die jeweils rund 95 Prozent betrage. Allerdings liege selbst die Wirksamkeit des Astrazeneca-Vakzins (70 Prozent) deutlich über der der alljährlich empfohlenen Grippeimpfung. Zudem könne die Effektivität des Astrazeneca-Stoffs noch weiter erhöht werden, indem man zwischen Erst- und Zweitimpfung mehr Zeit verstreichen lässt. Das Entscheidende für Bitter ist aber: Niemand der in den klinischen Studien mit Astrazeneca Geimpften erkrankte noch so schwer an Corona, dass er oder sie im Krankenhaus hätte behandelt werden müssen. „Von denen hatte keiner mehr einen schweren Verlauf“, betont der Lungenspezialist. „Und das ist für mich die wichtigste Aussage. Denn natürlich wollen wir vor allem vermeiden, dass die Leute ins Krankenhaus kommen, intensiv behandelt oder sogar künstlich beatmet werden müssen.“

Der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca ist aus Bitters Sicht der wichtigste Impfstoff, um schnell weite Teile Bevölkerung zu impfen – zum einen weil seine Lagerung und Handhabung weniger logistischen Aufwand erfordert, zum anderen, weil er deutlich kostengünstiger ist als die mRNA-Impfstoffe. Deswegen, so Bitter, wäre es besonders fatal, geriete ausgerechnet dieser Impfstoff nachhaltig in Misskredit – „nicht nur, weil wir ihn brauchen, sondern auch, weil er besser ist als sein Ruf.“

Bis der volle Impfschutz einsetzt, braucht es Zeit

Angesichts mehrerer zuletzt bekanntgewordener Corona-Infektionen bei Bewohnern von Altenheimen, welche bereits geimpft waren, dämpft der Chefarzt Befürchtungen, dass es durch die Impfung zu einer Infektion gekommen sein könnte. Dass es auch nach einer Impfung noch zu Erkrankungen gekommen sei, wundere ihn nicht, sagt Bitter. „Das Immunsystem muss die entsprechende Abwehr erst ausbilden. Entsprechende Fälle kennen wir auch aus Studien.“

Es sei durchaus möglich, an Corona zu erkranken, bevor der Impfschutz voll greife. „Bis der vollständige Schutz aufgebaut ist, können nach dem Spritzen der zweiten Dosis noch gut und gerne zwei Wochen ins Land gehen.“