Braunschweig. Wie lange ist man nach überstandener Corona-Erkrankung immun? Peggy Riese erklärt, dass es hierbei nicht nur auf Antikörper ankommt.

Wer ist gegen Corona immun – und wie lange? Deutschlands erster Covid-19-Patient jedenfalls, so berichtete unsere Zeitung, hatte schon wenige Monate nach seiner Erkrankung keine Antikörper gegen das Virus mehr im Blut. Alarmiert wandte sich die Leserin an unsere Redaktion. Sie möchte es genauer wissen. Wir haben nachgefragt bei der Immunologin Peggy Riese. Die promovierte Biologin beschäftigt sich am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung mit der Entwicklung von Impfstoffen. Außerdem forscht sie am Institut für Biotechnologie der Technischen Universität Braunschweig. Wie viele ihrer Kollegen ist sie in den letzten Monaten zur Corona-Expertin geworden.

Frau Riese, wissen wir mittlerweile, wie lange der Immunschutz bei jemandem, der eine Corona-Infektion durchgemacht hat, anhält?

Das hängt davon ab, wie man Immunschutz definiert. Im Moment ist es gängig, zu sagen: Wenn ich Antikörper nachweisen kann, dann ist ein Immunschutz vorhanden. Das stimmt schon, ist aber nur ein Teil der Wahrheit.

Wieso?

Nach einer überstandenen Infektion kann man immer eine Weile lang Antikörper im Blut nachweisen. Aber in gewissem zeitlichem Abstand verschwinden sie auch wieder. Bei manchen Infektionen sind noch Jahre danach Antikörper nachweisbar, bei anderen wiederum – und es sieht so aus, als gehörte Covid-19 dazu – verschwinden sie schneller. Aber wir haben ja nicht nur die Antikörper, sondern auch die Immunzellen. Das heißt: Nur weil in einem Fall keine Antikörper mehr nachweisbar sind, heißt das also nicht, dass der Betreffende im Fall einer Neuinfektion schutzlos ist. Das Immunsystem hat ein Gedächtnis.

Die Immunologin Dr. Peggy Riese vom HZI und der TU Braunschweig.
Die Immunologin Dr. Peggy Riese vom HZI und der TU Braunschweig. © TU Braunschweig | Biotechnologie

Wie funktioniert dieses Gedächtnis des Immunsystems?

Wenn ich schon einmal eine Infektion hatte, dann haben sich durch die erworbene Immunantwort, die das Immunsystem damals gegeben hat, in meinem Körper sogenannte Gedächtniszellen gebildet. Wenn ich mich jetzt erneut infiziere, werden diese Gedächtniszellen sofort aktiviert und produzieren wieder Antikörper – und zwar deutlich schneller als bei einer Erstinfektion.

Ist die Antikörperproduktion die einzige Funktion der Gedächtniszellen?

Bei den Gedächtniszellen unterscheiden wir die B-Zellen und die T-Zellen. Die B-Zellen sind für die Antikörperherstellung verantwortlich. Außerdem gibt es die T-Zellen, die sogenannten Killerzellen. Diese sind zytotoxisch, das heißt, sie können infizierte Körperzellen abtöten. Die Arbeit der B-Zellen und der T-Zellen sind die zwei Arme der erworbenen Immunantwort auf eine virale Infektion.

Wird in der Öffentlichkeit über Immunität gesprochen, dann reden wir meist über Antikörper. Sind diese gar nicht so maßgeblich für unseren Schutz?

Die Antikörper sind schon wichtig – gerade die neutralisierenden, die die Krankheitserreger unschädlich machen. Aber: Nur weil wir nach einer gewissen Zeit im Blut weniger oder gar keine neutralisierenden Antikörper mehr nachweisen können, heißt das nicht unbedingt, dass wir uns erneut infizieren können. Schließlich kennt das Immunsystem den Feind jetzt bereits und kann dementsprechend schnell auf ihn reagieren. Ganz ausschließen kann man eine Re-Infektion zwar nicht, aber voraussichtlich wird sie im zweiten Fall sehr viel milder verlaufen als bei einem Erstinfizierten.

Sind diese Erkenntnisse bereits gesichert?

Das ist zumindest unser momentaner Kenntnisstand. Aber natürlich stehen wir mit unserem Wissen zu Sars-CoV-2 erst am Anfang und lernen immer weiter dazu. Eine neue, vorab veröffentlichte Studie zeigt, dass es auch Patienten – sowohl solche mit leichten als auch solche mit schwereren Symptomen – gibt, bei denen anschließend überhaupt keine Antikörper nachgewiesen werden konnten. Dafür fand man in ihrem Blut die entsprechenden auf Corona programmierten T-Zellen. Welche Faktoren für den Immunschutz gegen Corona letztlich wichtig sind und wie gut dieser funktioniert, wird man wohl erst bei einer zweiten Welle wirklich sehen. Dennoch: Wenn man schon einmal Covid-19 hatte, ist die Wahrscheinlichkeit gering, sich noch einmal zu infizieren und die Krankheit in der gleichen Stärke durchzumachen.

Wie lange erinnern sich die B- und die T-Zellen denn an eine durchgemachte Infektion?

Das hängt einerseits von der Stärke der Immunantwort ab, die sehr unterschiedlich ausfallen kann. Ältere Menschen haben oft eine schwächere Immunantwort, einfach weil das Immunsystem nicht mehr so leistungsfähig ist wie bei jüngeren. Daher hält die Erinnerung des Immun-Gedächtnisses bei ihnen vielleicht nicht mehr ganz so lange an. Aber normalerweise können sich die Gedächtniszellen schon länger erinnern: ein bis zehn Jahre. Man muss aber auch bedenken: Viren können sich verändern. Wenn das Virus sich nun derart verändert, dass es nicht mehr die Proteine ausbildet, auf denen die ursprüngliche Immunantwort mal aufgebaut hat, dann kann unser Körper das Virus nicht mehr erkennen, und die Gedächtniszellen können uns nicht mehr helfen. Wir alle kennen diese Veränderungen von den Influenzaviren. Wegen ihnen ist die jährliche Grippeimpfung ja immer wieder anders zusammengesetzt.

Heißt das, das Gedächtnis des Immunsystems hängt davon ab, wie schwer die Covid-19-Erkrankung war, die ein Patient durchgemacht hat?

Eine Corona-Infektion, die ohne Symptome verläuft, stimuliert das Immunsystem natürlich nicht so stark wie eine schwere Erkrankung. Aber: Auch asymptomatische Infektionen können schon ausreichend sein, um ein gutes Level an Immunität zu schaffen. Es gibt eine gewisse Schwelle, die erreicht werden muss. Ob jemand 20.000 oder 200.000 Antikörper im Blut hat, ist im Prinzip egal, wenn 20.000 ausreichen, um die Krankheit zu bekämpfen. Aber wo diese kritische Schwelle beim neuen Coronavirus liegt, wissen wir noch nicht.

Kommt es für die Dauer des Immunschutzes auf die Zahl der Gedächtniszellen an?

Nur bedingt. Wir werden in unserem Leben ja täglich mit Krankheitserregern konfrontiert und bilden daraufhin ständig Gedächtniszellen – allerdings in eher geringer Zahl. Die Gedächtniszellen im Körper, die beim Neukontakt mit dem Erreger wieder aktiviert werden, sind auf ein Minimum beschränkt.

Das heißt also, bei den Gedächtniszellen zählt Qualität statt Quantität?

Genau.

Und die Gedächtniszellen werden auch bei einer Impfung angesprochen?

Ja, das ist das Ziel der Impfung. Vor allem gegen Viren spielen die T- oder Killerzellen eine maßgebliche Rolle. Neutralisierende Antikörper wirken ja nur so lange, wie das Virus sich im Blut aufhält – also zu Beginn der Infektion oder wenn die Viren von Zelle zu Zelle wanden. Aber die eigentliche Vermehrung der Viren findet in unseren Zellen statt. Indem die Killerzellen die vom Virus infizierten Zellen töten, wird verhindert, dass der Erreger sich weiter vermehrt.

„Abrichtung“ von Killerzellen: Eine dendritische Zelle (gelb) gibt Informationen über Krankheitserreger an T-Zellen (blau) weiter. Diese Gedächtniszellen bekämpfen Viren, indem sie befallene Zellen abtöten.
„Abrichtung“ von Killerzellen: Eine dendritische Zelle (gelb) gibt Informationen über Krankheitserreger an T-Zellen (blau) weiter. Diese Gedächtniszellen bekämpfen Viren, indem sie befallene Zellen abtöten. © HZI | Kurt Dittmar

Wo im Körper befinden sich die B- und die T-Zellen? Gehören sie zu den weißen Blutkörperchen?

Ja, genau. Sie zirkulieren im Blut. Dabei passieren sie die Lymphknoten, die wir an verschiedenen Stellen im Körper haben. Hier kommen sie in Kontakt mit Zellen, die ihnen Teile der Viren präsentieren – sogenannten dendritischen Zellen. Durch diese Weitergabe von Informationen werden die Gedächtniszellen gewissermaßen auf die Bekämpfung eines bestimmten Erregers abgerichtet.

Wenn die Corona-Impfung vor allem die Gedächtniszellen anspricht, besteht dann Hoffnung, dass sie einen längerfristigen Schutz bietet?

Ja, diese Hoffnung hat man. Aber der längerfristige Schutz wird weniger an unserem Immunsystem liegen, als daran, inwieweit sich das Virus von Jahr zu Jahr weiter verändert. Schon heute sehen wir ja, dass unterschiedliche Varianten des Covid-19-Erregers zirkulieren. Und irgendwann schafft es ein Virus auch, eine Variante hervorzubringen, die vom Immunsystem nicht mehr erkannt wird.

In welchem Maße ist denn das Coronavirus schon mutiert?

Die bisherigen Mutationen sind sehr klein. Aber sie erlauben uns zum Beispiel, nachzuverfolgen, wer von wem angesteckt wurde. Wer sich in Schleswig-Holstein infiziert, trägt etwa eine etwas andere Virusvariante in sich als jemand, der sich in München angesteckt hat.

Gehen Sie davon aus, dass, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht, die Impfempfehlung gegen Corona so ähnlich aussehen wird, wie bei der Grippeimpfung – also für besonders gefährdete Personen?

Ich denke schon. Zunächst wird man sich voraussichtlich auf solche Personen konzentrieren, die besonders anfällig sind. Das sind vor allem die Älteren und diejenigen im Gesundheitssystem, die häufig Kontakt mit Risikopersonen haben. nach heutigem Wissensstand wird man im Moment kaum damit anfangen, Kinder zu impfen. Wie lange der Impfschutz dann anhält, muss man sehen. Diese Erfahrungen müssen wir erst noch machen. Ein Stück weit ist das auch learning by doing.